Uhland, Ludwig: Gedichte. Stuttgart u. a., 1815.Schlußsonett. Wie, wenn man auch die Glocke nicht mehr ziehet, Es lange dauert, bis sie ausgeklungen; Wie, wer von einem Berge kam gesprungen, Umsonst, den Lauf zu hemmen, sich bemühet; Wie oft aus Bränden, welche längst verglühet, Ein Flämmchen unversehens sich geschwungen; Und spät noch eine Blüthe vorgedrungen Aus Aesten, die sonst völlig abgeblühet; Wie den Gesang, den zu des Liebchens Preise Der Schäfer angestimmt aus voller Seele, Gedankenlose Halle weiter treiben: So geht es mir mit der Sonettenweise: Ob mir's an Zweck und an Gedanken fehle, Muß ich zum Schlusse dies Sonett doch schreiben. Schlußſonett. Wie, wenn man auch die Glocke nicht mehr ziehet, Es lange dauert, bis ſie ausgeklungen; Wie, wer von einem Berge kam geſprungen, Umſonſt, den Lauf zu hemmen, ſich bemühet; Wie oft aus Bränden, welche längſt verglühet, Ein Flämmchen unverſehens ſich geſchwungen; Und ſpät noch eine Blüthe vorgedrungen Aus Aeſten, die ſonſt völlig abgeblühet; Wie den Geſang, den zu des Liebchens Preiſe Der Schäfer angeſtimmt aus voller Seele, Gedankenloſe Halle weiter treiben: So geht es mir mit der Sonettenweiſe: Ob mir’s an Zweck und an Gedanken fehle, Muß ich zum Schluſſe dies Sonett doch ſchreiben. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0122" n="116"/> <div n="2"> <head><hi rendition="#g">Schlußſonett</hi>.</head><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/> <lg type="poem"> <lg n="1"> <l>Wie, wenn man auch die Glocke nicht mehr ziehet,</l><lb/> <l>Es lange dauert, bis ſie ausgeklungen;</l><lb/> <l>Wie, wer von einem Berge kam geſprungen,</l><lb/> <l>Umſonſt, den Lauf zu hemmen, ſich bemühet;</l> </lg><lb/> <lg n="2"> <l>Wie oft aus Bränden, welche längſt verglühet,</l><lb/> <l>Ein Flämmchen unverſehens ſich geſchwungen;</l><lb/> <l>Und ſpät noch eine Blüthe vorgedrungen</l><lb/> <l>Aus Aeſten, die ſonſt völlig abgeblühet;</l> </lg><lb/> <lg n="3"> <l>Wie den Geſang, den zu des Liebchens Preiſe</l><lb/> <l>Der Schäfer angeſtimmt aus voller Seele,</l><lb/> <l>Gedankenloſe Halle weiter treiben:</l> </lg><lb/> <lg n="4"> <l>So geht es mir mit der Sonettenweiſe:</l><lb/> <l>Ob mir’s an Zweck und an Gedanken fehle,</l><lb/> <l>Muß ich zum Schluſſe dies Sonett doch ſchreiben.</l> </lg> </lg> </div><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/> </div> </body> </text> </TEI> [116/0122]
Schlußſonett.
Wie, wenn man auch die Glocke nicht mehr ziehet,
Es lange dauert, bis ſie ausgeklungen;
Wie, wer von einem Berge kam geſprungen,
Umſonſt, den Lauf zu hemmen, ſich bemühet;
Wie oft aus Bränden, welche längſt verglühet,
Ein Flämmchen unverſehens ſich geſchwungen;
Und ſpät noch eine Blüthe vorgedrungen
Aus Aeſten, die ſonſt völlig abgeblühet;
Wie den Geſang, den zu des Liebchens Preiſe
Der Schäfer angeſtimmt aus voller Seele,
Gedankenloſe Halle weiter treiben:
So geht es mir mit der Sonettenweiſe:
Ob mir’s an Zweck und an Gedanken fehle,
Muß ich zum Schluſſe dies Sonett doch ſchreiben.
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