Uhland, Ludwig: Gedichte. Stuttgart u. a., 1815.
Noch schmerzlicher -- wann sich der Lenz belebt, Da will des Greisen Wange neu sich röthen, Sich zu verjüngen meint das matte Herz; Ach! kurze Täuschung nur! Der dürre Stamm, er treibt ein schwaches Laub, Doch zu gesunder Blüthe bringt er's nicht. Drum lob' ich diese wechsellose Gegend, Wo nichts im Herzen weckt der Sehnsucht Qual. Dietwald (seitwärts zum Herzog.) Der Pred'ger in der Wüste hier hat wohl Seit langer Zeit sich nicht mehr ausgesprochen. Einsiedler. Es ist, als wäre diese Gegend früh Zurückgeblieben hinter'm Schritt der Zeit. Die weiten, stillen Wälder, wo der Mensch, Des Schöpfers letztes Werk, noch fehlt. Und dort noch in der Ferne das Gebirg, Das liegt nun vollends außer aller Zeit. Auch nicht das Pflanzenreich ist dort geschaffen; Die Elemente sind noch nicht geschieden. Ein Chaos ungeheurer Felsenblöcke, Voll tiefer Klüfte, drein kein Licht noch fiel, Nur daß oft Flammen aus dem Abgrund zucken! Die dunkeln Wasser rauschen schaurig drunten, Und Wolken liegen in den Schluchten hin. Es kam mich einsmals dort gar seltsam an, Als ich so über die todten Massen In eigner kräftiger Bewegung schritt. Es glüht mein Aug', es hebet sich mein Arm, Mein Mantel wallt, es flattern meine Locken,
Noch ſchmerzlicher — wann ſich der Lenz belebt, Da will des Greiſen Wange neu ſich röthen, Sich zu verjüngen meint das matte Herz; Ach! kurze Täuſchung nur! Der dürre Stamm, er treibt ein ſchwaches Laub, Doch zu geſunder Blüthe bringt er’s nicht. Drum lob’ ich dieſe wechſelloſe Gegend, Wo nichts im Herzen weckt der Sehnſucht Qual. Dietwald (ſeitwärts zum Herzog.) Der Pred’ger in der Wüſte hier hat wohl Seit langer Zeit ſich nicht mehr ausgeſprochen. Einſiedler. Es iſt, als wäre dieſe Gegend früh Zurückgeblieben hinter’m Schritt der Zeit. Die weiten, ſtillen Wälder, wo der Menſch, Des Schöpfers letztes Werk, noch fehlt. Und dort noch in der Ferne das Gebirg, Das liegt nun vollends außer aller Zeit. Auch nicht das Pflanzenreich iſt dort geſchaffen; Die Elemente ſind noch nicht geſchieden. Ein Chaos ungeheurer Felſenblöcke, Voll tiefer Klüfte, drein kein Licht noch fiel, Nur daß oft Flammen aus dem Abgrund zucken! Die dunkeln Waſſer rauſchen ſchaurig drunten, Und Wolken liegen in den Schluchten hin. Es kam mich einsmals dort gar ſeltſam an, Als ich ſo über die todten Maſſen In eigner kräftiger Bewegung ſchritt. Es glüht mein Aug’, es hebet ſich mein Arm, Mein Mantel wallt, es flattern meine Locken, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <sp who="#EINS"> <p><pb facs="#f0141" n="135"/> Noch ſchmerzlicher — wann ſich der Lenz belebt,<lb/> Da will des Greiſen Wange neu ſich röthen,<lb/> Sich zu verjüngen meint das matte Herz;<lb/> Ach! kurze Täuſchung nur!<lb/> Der dürre Stamm, er treibt ein ſchwaches Laub,<lb/> Doch zu geſunder Blüthe bringt er’s nicht.<lb/> Drum lob’ ich dieſe wechſelloſe Gegend,<lb/> Wo nichts im Herzen weckt der Sehnſucht Qual.</p> </sp><lb/> <sp who="#DIE"> <speaker> <hi rendition="#g">Dietwald</hi> </speaker> <stage>(ſeitwärts zum Herzog.)</stage><lb/> <p>Der Pred’ger in der Wüſte hier hat wohl<lb/> Seit langer Zeit ſich nicht mehr ausgeſprochen.</p> </sp><lb/> <sp who="#EINS"> <speaker><hi rendition="#g">Einſiedler</hi>.</speaker><lb/> <p>Es iſt, als wäre dieſe Gegend früh<lb/> Zurückgeblieben hinter’m Schritt der Zeit.<lb/> Die weiten, ſtillen Wälder, wo der Menſch,<lb/> Des Schöpfers letztes Werk, noch fehlt.<lb/> Und dort noch in der Ferne das Gebirg,<lb/> Das liegt nun vollends außer aller Zeit.<lb/> Auch nicht das Pflanzenreich iſt dort geſchaffen;<lb/> Die Elemente ſind noch nicht geſchieden.<lb/> Ein Chaos ungeheurer Felſenblöcke,<lb/> Voll tiefer Klüfte, drein kein Licht noch fiel,<lb/> Nur daß oft Flammen aus dem Abgrund zucken!<lb/> Die dunkeln Waſſer rauſchen ſchaurig drunten,<lb/> Und Wolken liegen in den Schluchten hin.<lb/> Es kam mich einsmals dort gar ſeltſam an,<lb/> Als ich ſo über die todten Maſſen<lb/> In eigner kräftiger Bewegung ſchritt.<lb/> Es glüht mein Aug’, es hebet ſich mein Arm,<lb/> Mein Mantel wallt, es flattern meine Locken,<lb/></p> </sp> </div> </div> </body> </text> </TEI> [135/0141]
Noch ſchmerzlicher — wann ſich der Lenz belebt,
Da will des Greiſen Wange neu ſich röthen,
Sich zu verjüngen meint das matte Herz;
Ach! kurze Täuſchung nur!
Der dürre Stamm, er treibt ein ſchwaches Laub,
Doch zu geſunder Blüthe bringt er’s nicht.
Drum lob’ ich dieſe wechſelloſe Gegend,
Wo nichts im Herzen weckt der Sehnſucht Qual.
Dietwald (ſeitwärts zum Herzog.)
Der Pred’ger in der Wüſte hier hat wohl
Seit langer Zeit ſich nicht mehr ausgeſprochen.
Einſiedler.
Es iſt, als wäre dieſe Gegend früh
Zurückgeblieben hinter’m Schritt der Zeit.
Die weiten, ſtillen Wälder, wo der Menſch,
Des Schöpfers letztes Werk, noch fehlt.
Und dort noch in der Ferne das Gebirg,
Das liegt nun vollends außer aller Zeit.
Auch nicht das Pflanzenreich iſt dort geſchaffen;
Die Elemente ſind noch nicht geſchieden.
Ein Chaos ungeheurer Felſenblöcke,
Voll tiefer Klüfte, drein kein Licht noch fiel,
Nur daß oft Flammen aus dem Abgrund zucken!
Die dunkeln Waſſer rauſchen ſchaurig drunten,
Und Wolken liegen in den Schluchten hin.
Es kam mich einsmals dort gar ſeltſam an,
Als ich ſo über die todten Maſſen
In eigner kräftiger Bewegung ſchritt.
Es glüht mein Aug’, es hebet ſich mein Arm,
Mein Mantel wallt, es flattern meine Locken,
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/uhland_gedichte_1815 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/uhland_gedichte_1815/141 |
Zitationshilfe: | Uhland, Ludwig: Gedichte. Stuttgart u. a., 1815, S. 135. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/uhland_gedichte_1815/141>, abgerufen am 16.07.2024. |