Uhland, Ludwig: Gedichte. Stuttgart u. a., 1815.
Er sprengt auf das Geschrei im Flug heran, Er treibt sein Pferdchen muthig in die See Und meint das blum'ge Fahrzeug zu erschwimmen. Kaum aber prüft das Thier die kalte Flut, So schüttelt sich's und wendet störrig um Und reißt den Reiter an den Strand zurück. Derweil hat schon der Nachen mit dem Kind Hinausgetrieben aus der stillen Bucht, Und frisches Wehen auf der offnen See Entführt ihn bald den Blicken. Richard. Armes Kind! Die heil'gen Engel mögen dich umschweben! Balder. Dem Vater kömmt die Schreckensbotschaft zu, Gleich läßt er alle Schiffe, groß und klein, Auslaufen und das schnellste trägt ihn selbst. Doch spurlos ist das Meer, der Abend sinkt, Die Winde wechseln, nächtlich tobt der Sturm. Von mondenlangem Suchen bringen sie Den leeren, morschen Nachen nur zurück, Mit abgewelkten Kränzen -- Richard. Was stört dich in der Rede, werther Gast? Du stockst, du athmest tief. Balder. Ich fahre fort. Seit jenem Unfall freute sich der Knabe Nicht mehr des Rosselenkens, wie zuvor,
Er ſprengt auf das Geſchrei im Flug heran, Er treibt ſein Pferdchen muthig in die See Und meint das blum’ge Fahrzeug zu erſchwimmen. Kaum aber prüft das Thier die kalte Flut, So ſchüttelt ſich’s und wendet ſtörrig um Und reißt den Reiter an den Strand zurück. Derweil hat ſchon der Nachen mit dem Kind Hinausgetrieben aus der ſtillen Bucht, Und friſches Wehen auf der offnen See Entführt ihn bald den Blicken. Richard. Armes Kind! Die heil’gen Engel mögen dich umſchweben! Balder. Dem Vater kömmt die Schreckensbotſchaft zu, Gleich läßt er alle Schiffe, groß und klein, Auslaufen und das ſchnellſte trägt ihn ſelbſt. Doch ſpurlos iſt das Meer, der Abend ſinkt, Die Winde wechſeln, nächtlich tobt der Sturm. Von mondenlangem Suchen bringen ſie Den leeren, morſchen Nachen nur zurück, Mit abgewelkten Kränzen — Richard. Was ſtört dich in der Rede, werther Gaſt? Du ſtockſt, du athmeſt tief. Balder. Ich fahre fort. Seit jenem Unfall freute ſich der Knabe Nicht mehr des Roſſelenkens, wie zuvor, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <sp who="#BAL"> <p><pb facs="#f0153" n="147"/> Er ſprengt auf das Geſchrei im Flug heran,<lb/> Er treibt ſein Pferdchen muthig in die See<lb/> Und meint das blum’ge Fahrzeug zu erſchwimmen.<lb/> Kaum aber prüft das Thier die kalte Flut,<lb/> So ſchüttelt ſich’s und wendet ſtörrig um<lb/> Und reißt den Reiter an den Strand zurück.<lb/> Derweil hat ſchon der Nachen mit dem Kind<lb/> Hinausgetrieben aus der ſtillen Bucht,<lb/> Und friſches Wehen auf der offnen See<lb/> Entführt ihn bald den Blicken.</p> </sp><lb/> <sp who="#RICH"> <speaker><hi rendition="#g">Richard</hi>.</speaker><lb/> <p>Armes Kind!</p><lb/> <p>Die heil’gen Engel mögen dich umſchweben!</p> </sp><lb/> <sp who="#BAL"> <speaker><hi rendition="#g">Balder</hi>.</speaker><lb/> <p>Dem Vater kömmt die Schreckensbotſchaft zu,<lb/> Gleich läßt er alle Schiffe, groß und klein,<lb/> Auslaufen und das ſchnellſte trägt ihn ſelbſt.<lb/> Doch ſpurlos iſt das Meer, der Abend ſinkt,<lb/> Die Winde wechſeln, nächtlich tobt der Sturm.<lb/> Von mondenlangem Suchen bringen ſie<lb/> Den leeren, morſchen Nachen nur zurück,<lb/> Mit abgewelkten Kränzen —</p> </sp><lb/> <sp who="#RICH"> <speaker><hi rendition="#g">Richard</hi>.</speaker><lb/> <p>Was ſtört dich in der Rede, werther Gaſt?<lb/> Du ſtockſt, du athmeſt tief.</p> </sp><lb/> <sp who="#BAL"> <speaker><hi rendition="#g">Balder</hi>.</speaker><lb/> <p>Ich fahre fort.<lb/> Seit jenem Unfall freute ſich der Knabe<lb/> Nicht mehr des Roſſelenkens, wie zuvor,<lb/></p> </sp> </div> </div> </body> </text> </TEI> [147/0153]
Er ſprengt auf das Geſchrei im Flug heran,
Er treibt ſein Pferdchen muthig in die See
Und meint das blum’ge Fahrzeug zu erſchwimmen.
Kaum aber prüft das Thier die kalte Flut,
So ſchüttelt ſich’s und wendet ſtörrig um
Und reißt den Reiter an den Strand zurück.
Derweil hat ſchon der Nachen mit dem Kind
Hinausgetrieben aus der ſtillen Bucht,
Und friſches Wehen auf der offnen See
Entführt ihn bald den Blicken.
Richard.
Armes Kind!
Die heil’gen Engel mögen dich umſchweben!
Balder.
Dem Vater kömmt die Schreckensbotſchaft zu,
Gleich läßt er alle Schiffe, groß und klein,
Auslaufen und das ſchnellſte trägt ihn ſelbſt.
Doch ſpurlos iſt das Meer, der Abend ſinkt,
Die Winde wechſeln, nächtlich tobt der Sturm.
Von mondenlangem Suchen bringen ſie
Den leeren, morſchen Nachen nur zurück,
Mit abgewelkten Kränzen —
Richard.
Was ſtört dich in der Rede, werther Gaſt?
Du ſtockſt, du athmeſt tief.
Balder.
Ich fahre fort.
Seit jenem Unfall freute ſich der Knabe
Nicht mehr des Roſſelenkens, wie zuvor,
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |