Uhland, Ludwig: Gedichte. Stuttgart u. a., 1815.Noch stehn die Fechter alle stumm, Tritt keiner aus dem Reihn, Der blinde König kehrt sich um: "Bin ich denn ganz allein?" Da faßt des Vaters Rechte Sein junger Sohn so warm: "Vergönn mir's, daß ich fechte! Wohl fühl' ich Kraft im Arm." "O Sohn! der Feind ist riesenstark, Ihm hielt noch Keiner Stand. Und doch! in dir ist edles Mark, Ich fühl's am Druck der Hand. Nimm hier die alte Klinge! Sie ist der Skalden Preis. Und fällst du, so verschlinge Die Flut mich armen Greis!" Und horch! es schäumet und es rauscht Der Nachen über's Meer. Der blinde König steht und lauscht, Und Alles schweigt umher; Bis drüben sich erhoben Der Schild' und Schwerdter Schall, Und Kampfgeschrei und Toben, Und dumpfer Wiederhall. Noch ſtehn die Fechter alle ſtumm, Tritt keiner aus dem Reihn, Der blinde König kehrt ſich um: „Bin ich denn ganz allein?“ Da faßt des Vaters Rechte Sein junger Sohn ſo warm: „Vergönn mir’s, daß ich fechte! Wohl fühl’ ich Kraft im Arm.“ „O Sohn! der Feind iſt rieſenſtark, Ihm hielt noch Keiner Stand. Und doch! in dir iſt edles Mark, Ich fühl’s am Druck der Hand. Nimm hier die alte Klinge! Sie iſt der Skalden Preis. Und fällſt du, ſo verſchlinge Die Flut mich armen Greis!“ Und horch! es ſchäumet und es rauſcht Der Nachen über’s Meer. Der blinde König ſteht und lauſcht, Und Alles ſchweigt umher; Bis drüben ſich erhoben Der Schild’ und Schwerdter Schall, Und Kampfgeſchrei und Toben, Und dumpfer Wiederhall. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <lg type="poem"> <pb facs="#f0172" n="166"/> <lg n="4"> <l>Noch ſtehn die Fechter alle ſtumm,</l><lb/> <l>Tritt keiner aus dem Reihn,</l><lb/> <l>Der blinde König kehrt ſich um:</l><lb/> <l>„Bin ich denn ganz allein?“</l><lb/> <l>Da faßt des Vaters Rechte</l><lb/> <l>Sein junger Sohn ſo warm:</l><lb/> <l>„Vergönn mir’s, daß ich fechte!</l><lb/> <l>Wohl fühl’ ich Kraft im Arm.“</l> </lg><lb/> <lg n="5"> <l>„O Sohn! der Feind iſt rieſenſtark,</l><lb/> <l>Ihm hielt noch Keiner Stand.</l><lb/> <l>Und doch! in dir iſt edles Mark,</l><lb/> <l>Ich fühl’s am Druck der Hand.</l><lb/> <l>Nimm hier die alte Klinge!</l><lb/> <l>Sie iſt der Skalden Preis.</l><lb/> <l>Und fällſt du, ſo verſchlinge</l><lb/> <l>Die Flut mich armen Greis!“</l> </lg><lb/> <lg n="6"> <l>Und horch! es ſchäumet und es rauſcht</l><lb/> <l>Der Nachen über’s Meer.</l><lb/> <l>Der blinde König ſteht und lauſcht,</l><lb/> <l>Und Alles ſchweigt umher;</l><lb/> <l>Bis drüben ſich erhoben</l><lb/> <l>Der Schild’ und Schwerdter Schall,</l><lb/> <l>Und Kampfgeſchrei und Toben,</l><lb/> <l>Und dumpfer Wiederhall.</l> </lg><lb/> </lg> </div> </div> </body> </text> </TEI> [166/0172]
Noch ſtehn die Fechter alle ſtumm,
Tritt keiner aus dem Reihn,
Der blinde König kehrt ſich um:
„Bin ich denn ganz allein?“
Da faßt des Vaters Rechte
Sein junger Sohn ſo warm:
„Vergönn mir’s, daß ich fechte!
Wohl fühl’ ich Kraft im Arm.“
„O Sohn! der Feind iſt rieſenſtark,
Ihm hielt noch Keiner Stand.
Und doch! in dir iſt edles Mark,
Ich fühl’s am Druck der Hand.
Nimm hier die alte Klinge!
Sie iſt der Skalden Preis.
Und fällſt du, ſo verſchlinge
Die Flut mich armen Greis!“
Und horch! es ſchäumet und es rauſcht
Der Nachen über’s Meer.
Der blinde König ſteht und lauſcht,
Und Alles ſchweigt umher;
Bis drüben ſich erhoben
Der Schild’ und Schwerdter Schall,
Und Kampfgeſchrei und Toben,
Und dumpfer Wiederhall.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/uhland_gedichte_1815 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/uhland_gedichte_1815/172 |
Zitationshilfe: | Uhland, Ludwig: Gedichte. Stuttgart u. a., 1815, S. 166. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/uhland_gedichte_1815/172>, abgerufen am 23.07.2024. |