Uhland, Ludwig: Gedichte. Stuttgart u. a., 1815.Da war ein alter Ritter In Siegelindens Chor, Dem war es leid und bitter, Gar zornig trat er vor: "Muß ich dich Hofzucht lehren? Darfst du vom Kranz der Ehren Ein Läublein nur begehren?" O weh dem Garten immer, Der solche Rosen bracht'! O Heil den Linden nimmer, Wo solcher Streit erwacht! Wie klangen da die Degen, Bis unter wilden Schlägen Der Jüngling todt erlegen! Sieglinde beugt' sich nieder Und nahm die Ros' empor, Steckt' in den Kranz sie wieder, Und ging zur Kirche vor. Sie ging in Gold und Seide, Mit Blumen und Geschmeide, Wer thät ihr was zu Leide? Vor Sankt Mariens Bilde Nahm sie herab die Kron': "Nimm du sie, Reine, Milde! Kein Blümlein kam davon. Der Welt will ich entsagen, Den heil'gen Schleier tragen Und um die Todten klagen." Da war ein alter Ritter In Siegelindens Chor, Dem war es leid und bitter, Gar zornig trat er vor: „Muß ich dich Hofzucht lehren? Darfſt du vom Kranz der Ehren Ein Läublein nur begehren?“ O weh dem Garten immer, Der ſolche Roſen bracht’! O Heil den Linden nimmer, Wo ſolcher Streit erwacht! Wie klangen da die Degen, Bis unter wilden Schlägen Der Jüngling todt erlegen! Sieglinde beugt’ ſich nieder Und nahm die Roſ’ empor, Steckt’ in den Kranz ſie wieder, Und ging zur Kirche vor. Sie ging in Gold und Seide, Mit Blumen und Geſchmeide, Wer thät ihr was zu Leide? Vor Sankt Mariens Bilde Nahm ſie herab die Kron’: „Nimm du ſie, Reine, Milde! Kein Blümlein kam davon. Der Welt will ich entſagen, Den heil’gen Schleier tragen Und um die Todten klagen.“ <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <lg type="poem"> <pb facs="#f0333" n="327"/> <lg n="4"> <l>Da war ein alter Ritter</l><lb/> <l>In Siegelindens Chor,</l><lb/> <l>Dem war es leid und bitter,</l><lb/> <l>Gar zornig trat er vor:</l><lb/> <l>„Muß ich dich Hofzucht lehren?</l><lb/> <l>Darfſt du vom Kranz der Ehren</l><lb/> <l>Ein Läublein nur begehren?“</l> </lg><lb/> <lg n="5"> <l>O weh dem Garten immer,</l><lb/> <l>Der ſolche Roſen bracht’!</l><lb/> <l>O Heil den Linden nimmer,</l><lb/> <l>Wo ſolcher Streit erwacht!</l><lb/> <l>Wie klangen da die Degen,</l><lb/> <l>Bis unter wilden Schlägen</l><lb/> <l>Der Jüngling todt erlegen!</l> </lg><lb/> <lg n="6"> <l>Sieglinde beugt’ ſich nieder</l><lb/> <l>Und nahm die Roſ’ empor,</l><lb/> <l>Steckt’ in den Kranz ſie wieder,</l><lb/> <l>Und ging zur Kirche vor.</l><lb/> <l>Sie ging in Gold und Seide,</l><lb/> <l>Mit Blumen und Geſchmeide,</l><lb/> <l>Wer thät ihr was zu Leide?</l> </lg><lb/> <lg n="7"> <l>Vor Sankt Mariens Bilde</l><lb/> <l>Nahm ſie herab die Kron’:</l><lb/> <l>„Nimm du ſie, Reine, Milde!</l><lb/> <l>Kein Blümlein kam davon.</l><lb/> <l>Der Welt will ich entſagen,</l><lb/> <l>Den heil’gen Schleier tragen</l><lb/> <l>Und um die Todten klagen.“</l> </lg> </lg> </div><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/> </div> </body> </text> </TEI> [327/0333]
Da war ein alter Ritter
In Siegelindens Chor,
Dem war es leid und bitter,
Gar zornig trat er vor:
„Muß ich dich Hofzucht lehren?
Darfſt du vom Kranz der Ehren
Ein Läublein nur begehren?“
O weh dem Garten immer,
Der ſolche Roſen bracht’!
O Heil den Linden nimmer,
Wo ſolcher Streit erwacht!
Wie klangen da die Degen,
Bis unter wilden Schlägen
Der Jüngling todt erlegen!
Sieglinde beugt’ ſich nieder
Und nahm die Roſ’ empor,
Steckt’ in den Kranz ſie wieder,
Und ging zur Kirche vor.
Sie ging in Gold und Seide,
Mit Blumen und Geſchmeide,
Wer thät ihr was zu Leide?
Vor Sankt Mariens Bilde
Nahm ſie herab die Kron’:
„Nimm du ſie, Reine, Milde!
Kein Blümlein kam davon.
Der Welt will ich entſagen,
Den heil’gen Schleier tragen
Und um die Todten klagen.“
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