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Ungern-Sternberg, Alexander von: Scholastika. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 20. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–102. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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mir versah, dicht vor mir stand und ein leichter Wind den Zipfel ihres Mantels auf meine nackten Füße heranspielte. Ihr Antlitz schimmerte in einem süßen Lächeln, ihre weißen, vollen Schultern blühten wie zwei Schneehügel unter dem dunkelblauen, weichen, wolligen Mantelüberwurf hervor. In ihren Augen lachte eine Schalkheit des Himmels, so ungefähr wie man sich eine junge Heilige, berauscht von den üppigen Freuden des Paradieses in glücklicher Wonne erglühend, denken mag. Sie legte ihre Hand auf meine Stirn, und eine holdselige Stimme rief: Male mich so, wie ich bin, nicht wie der traurige Erdentraum mich gestaltete. Ich bin schön, ich bin eine Blume, ich bin ein Engel! -- Damit entschwand sie. Der Zauber ihrer Schönheit lag noch lange auf mir, wie eine Blütendecke auf dem schwarzen Erdreich. Als die Nachtglocke zum Gebet rief, ging die schöne Heilige mir zur Seite und färbte wie mit Rosenschimmer die dunkeln Gewölbe des Kreuzganges; überall sah ich sie. Als der Morgen erglühte, stand ich, von Kummer und Schrecken erdrückt, vor der Staffelei. Welch ein mattes, farb- und glanzloses Antlitz sah mir von der Tafel entgegen! Das sollte meine blühende Anna sein? Das die schöne Erkorene der Heiligen? Das das hübsche Weib, das durch ihr Lächeln die Thräne von den Wangen des Märtyrers küßte, das mit weicher Hand den ehrwürdigen Bart des Apostels kosend berühren durfte? Nimmermehr. Mit raschem Pinselzug überfuhr ich die eckigen, gebrochenen Linien, unter denen das schöne Bild

mir versah, dicht vor mir stand und ein leichter Wind den Zipfel ihres Mantels auf meine nackten Füße heranspielte. Ihr Antlitz schimmerte in einem süßen Lächeln, ihre weißen, vollen Schultern blühten wie zwei Schneehügel unter dem dunkelblauen, weichen, wolligen Mantelüberwurf hervor. In ihren Augen lachte eine Schalkheit des Himmels, so ungefähr wie man sich eine junge Heilige, berauscht von den üppigen Freuden des Paradieses in glücklicher Wonne erglühend, denken mag. Sie legte ihre Hand auf meine Stirn, und eine holdselige Stimme rief: Male mich so, wie ich bin, nicht wie der traurige Erdentraum mich gestaltete. Ich bin schön, ich bin eine Blume, ich bin ein Engel! — Damit entschwand sie. Der Zauber ihrer Schönheit lag noch lange auf mir, wie eine Blütendecke auf dem schwarzen Erdreich. Als die Nachtglocke zum Gebet rief, ging die schöne Heilige mir zur Seite und färbte wie mit Rosenschimmer die dunkeln Gewölbe des Kreuzganges; überall sah ich sie. Als der Morgen erglühte, stand ich, von Kummer und Schrecken erdrückt, vor der Staffelei. Welch ein mattes, farb- und glanzloses Antlitz sah mir von der Tafel entgegen! Das sollte meine blühende Anna sein? Das die schöne Erkorene der Heiligen? Das das hübsche Weib, das durch ihr Lächeln die Thräne von den Wangen des Märtyrers küßte, das mit weicher Hand den ehrwürdigen Bart des Apostels kosend berühren durfte? Nimmermehr. Mit raschem Pinselzug überfuhr ich die eckigen, gebrochenen Linien, unter denen das schöne Bild

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Zitationshilfe: Ungern-Sternberg, Alexander von: Scholastika. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 20. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–102. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ungern_scholastika_1910/23>, abgerufen am 21.11.2024.