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Ungern-Sternberg, Alexander von: Scholastika. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 20. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–102. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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Feodora, was blickst du uns so an, als wären wir Nachtgespenster? Beliebt es dir endlich, faule Marfa, aus deinem Schlaf aufzuwachen? Geh und öffne, der Kosak ist vor der Thür.

Die Gescholtene, ein junges Mädchen, das die echt russische Nationalphysiognomie zeigte, ein breites, rundes Gesicht, einen lachenden, starklippigen Mund, Grübchen in den Wangen, kleine, schwarze, blitzende Augen und ein keckes Stumpfnäschen, sprang, ohne ein Wort zu erwidern, in die Ecke der Halle, brachte die Laterne hervor, zündete das Stümpfchen Licht an und ging lachend hinaus.

Der Ankömmling, der unter dem Namen "der Kosak" angekündigt worden, war eine Bewohnerin dieser heiligen Mauern, aber nirgends hätte man eine Gestalt wie diese weniger gesucht, als gerade hier. Wir wollen sie ankommen sehen. Marfa bleibt in einiger Entfernung halb im Thorwege stehen, denn die Massen flockigen Schnees, die ihr entgegengewirbelt werden, verhindern ihr Vorwärtsschreiten; sie begnügt sich, die Laterne so hoch und so weit hinauszuhalten, als es ihr Arm vermag. Beim Schein dieser Leuchte sehen wir aus dem Schneegewölk und den Nebeln der Nacht eine abenteuerliche Gestalt sich entwickeln. Auf einem kleinen, widerspenstigen und borstigen Rosse hockt ein in Pelze gehülltes Wesen, von dem man nicht erräth, ob es Mann oder Weib ist. Der Kopf ist in Tücher gewickelt, die über die Pelzmütze hinlaufen und unten am Kinn ge-

Feodora, was blickst du uns so an, als wären wir Nachtgespenster? Beliebt es dir endlich, faule Marfa, aus deinem Schlaf aufzuwachen? Geh und öffne, der Kosak ist vor der Thür.

Die Gescholtene, ein junges Mädchen, das die echt russische Nationalphysiognomie zeigte, ein breites, rundes Gesicht, einen lachenden, starklippigen Mund, Grübchen in den Wangen, kleine, schwarze, blitzende Augen und ein keckes Stumpfnäschen, sprang, ohne ein Wort zu erwidern, in die Ecke der Halle, brachte die Laterne hervor, zündete das Stümpfchen Licht an und ging lachend hinaus.

Der Ankömmling, der unter dem Namen „der Kosak“ angekündigt worden, war eine Bewohnerin dieser heiligen Mauern, aber nirgends hätte man eine Gestalt wie diese weniger gesucht, als gerade hier. Wir wollen sie ankommen sehen. Marfa bleibt in einiger Entfernung halb im Thorwege stehen, denn die Massen flockigen Schnees, die ihr entgegengewirbelt werden, verhindern ihr Vorwärtsschreiten; sie begnügt sich, die Laterne so hoch und so weit hinauszuhalten, als es ihr Arm vermag. Beim Schein dieser Leuchte sehen wir aus dem Schneegewölk und den Nebeln der Nacht eine abenteuerliche Gestalt sich entwickeln. Auf einem kleinen, widerspenstigen und borstigen Rosse hockt ein in Pelze gehülltes Wesen, von dem man nicht erräth, ob es Mann oder Weib ist. Der Kopf ist in Tücher gewickelt, die über die Pelzmütze hinlaufen und unten am Kinn ge-

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T12:43:38Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-16T12:43:38Z)

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Zitationshilfe: Ungern-Sternberg, Alexander von: Scholastika. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 20. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–102. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ungern_scholastika_1910/27>, abgerufen am 21.11.2024.