Ungern-Sternberg, Alexander von: Scholastika. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 20. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–102. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.Andern das Zimmer, denn die Kranke, der Eintretenden die magern Arme entgegenstreckend, rief: Da kommt sie! Sie ist noch da! der feurige Wagen hat sie noch nicht in das Flammenmeer getragen! Geht, ich will mit ihr allein sein! Als Stille und Einsamkeit in der Zelle herrschten, richtete sich die Kranke auf dem Lager empor, und aus ihren weitaufgerissenen starren Augen sprühte ein unheimlicher Geist. So eben, rief sie, komme ich von dem Orte der Pein zurück, von dem Platze, der den Verdammten eingeräumt ist. O, mit welchem Namen nenne ich die Schrecken, die ich erschaut! So höre, daß ich in eine Stadt einging, die siebenzig Millionen Thore zählte, und alle diese Thore waren nicht genug, um die Zahl derer einzulassen, die stündlich von der Erde eindrangen, als Verdammte und Ausgestoßene. Welches furchtbare Gedränge auf den Straßen dieser Hauptstadt des Fluchs! welch ein Stoßen und Treiben, um die Menge in die einzelnen Häuser und Paläste einzupferchen, wohin sie gehörten und wo besondere Anstalten von Qualen und Martern ihnen zubereitet waren! In Paläste gingen Die ein, die in Hütten gesündiget hatten, in Hütten Solche, deren Vergehungen in dem trüben Glanze der irdischen Paläste stattgefunden. Es lag ein grausamer Hohn darin, Jenen, die Verbrechen begangen hatten, um Reichthum und Glanz zu erstreben, jetzt Paläste zu ihrem Wohnort zu ertheilen und sie inmitten dieser Flammenwände, Andern das Zimmer, denn die Kranke, der Eintretenden die magern Arme entgegenstreckend, rief: Da kommt sie! Sie ist noch da! der feurige Wagen hat sie noch nicht in das Flammenmeer getragen! Geht, ich will mit ihr allein sein! Als Stille und Einsamkeit in der Zelle herrschten, richtete sich die Kranke auf dem Lager empor, und aus ihren weitaufgerissenen starren Augen sprühte ein unheimlicher Geist. So eben, rief sie, komme ich von dem Orte der Pein zurück, von dem Platze, der den Verdammten eingeräumt ist. O, mit welchem Namen nenne ich die Schrecken, die ich erschaut! So höre, daß ich in eine Stadt einging, die siebenzig Millionen Thore zählte, und alle diese Thore waren nicht genug, um die Zahl derer einzulassen, die stündlich von der Erde eindrangen, als Verdammte und Ausgestoßene. Welches furchtbare Gedränge auf den Straßen dieser Hauptstadt des Fluchs! welch ein Stoßen und Treiben, um die Menge in die einzelnen Häuser und Paläste einzupferchen, wohin sie gehörten und wo besondere Anstalten von Qualen und Martern ihnen zubereitet waren! In Paläste gingen Die ein, die in Hütten gesündiget hatten, in Hütten Solche, deren Vergehungen in dem trüben Glanze der irdischen Paläste stattgefunden. Es lag ein grausamer Hohn darin, Jenen, die Verbrechen begangen hatten, um Reichthum und Glanz zu erstreben, jetzt Paläste zu ihrem Wohnort zu ertheilen und sie inmitten dieser Flammenwände, <TEI> <text> <body> <div n="2"> <p><pb facs="#f0070"/> Andern das Zimmer, denn die Kranke, der Eintretenden die magern Arme entgegenstreckend, rief: Da kommt sie! Sie ist noch da! der feurige Wagen hat sie noch nicht in das Flammenmeer getragen! Geht, ich will mit ihr allein sein!</p><lb/> <p>Als Stille und Einsamkeit in der Zelle herrschten, richtete sich die Kranke auf dem Lager empor, und aus ihren weitaufgerissenen starren Augen sprühte ein unheimlicher Geist.</p><lb/> <p>So eben, rief sie, komme ich von dem Orte der Pein zurück, von dem Platze, der den Verdammten eingeräumt ist. O, mit welchem Namen nenne ich die Schrecken, die ich erschaut! So höre, daß ich in eine Stadt einging, die siebenzig Millionen Thore zählte, und alle diese Thore waren nicht genug, um die Zahl derer einzulassen, die stündlich von der Erde eindrangen, als Verdammte und Ausgestoßene. Welches furchtbare Gedränge auf den Straßen dieser Hauptstadt des Fluchs! welch ein Stoßen und Treiben, um die Menge in die einzelnen Häuser und Paläste einzupferchen, wohin sie gehörten und wo besondere Anstalten von Qualen und Martern ihnen zubereitet waren! In Paläste gingen Die ein, die in Hütten gesündiget hatten, in Hütten Solche, deren Vergehungen in dem trüben Glanze der irdischen Paläste stattgefunden. Es lag ein grausamer Hohn darin, Jenen, die Verbrechen begangen hatten, um Reichthum und Glanz zu erstreben, jetzt Paläste zu ihrem Wohnort zu ertheilen und sie inmitten dieser Flammenwände,<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0070]
Andern das Zimmer, denn die Kranke, der Eintretenden die magern Arme entgegenstreckend, rief: Da kommt sie! Sie ist noch da! der feurige Wagen hat sie noch nicht in das Flammenmeer getragen! Geht, ich will mit ihr allein sein!
Als Stille und Einsamkeit in der Zelle herrschten, richtete sich die Kranke auf dem Lager empor, und aus ihren weitaufgerissenen starren Augen sprühte ein unheimlicher Geist.
So eben, rief sie, komme ich von dem Orte der Pein zurück, von dem Platze, der den Verdammten eingeräumt ist. O, mit welchem Namen nenne ich die Schrecken, die ich erschaut! So höre, daß ich in eine Stadt einging, die siebenzig Millionen Thore zählte, und alle diese Thore waren nicht genug, um die Zahl derer einzulassen, die stündlich von der Erde eindrangen, als Verdammte und Ausgestoßene. Welches furchtbare Gedränge auf den Straßen dieser Hauptstadt des Fluchs! welch ein Stoßen und Treiben, um die Menge in die einzelnen Häuser und Paläste einzupferchen, wohin sie gehörten und wo besondere Anstalten von Qualen und Martern ihnen zubereitet waren! In Paläste gingen Die ein, die in Hütten gesündiget hatten, in Hütten Solche, deren Vergehungen in dem trüben Glanze der irdischen Paläste stattgefunden. Es lag ein grausamer Hohn darin, Jenen, die Verbrechen begangen hatten, um Reichthum und Glanz zu erstreben, jetzt Paläste zu ihrem Wohnort zu ertheilen und sie inmitten dieser Flammenwände,
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription.
(2017-03-16T12:43:38Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2017-03-16T12:43:38Z)
Weitere Informationen:Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |