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Ungern-Sternberg, Alexander von: Scholastika. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 20. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–102. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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schaute nieder, dort war der Tod, ich schaute aufwärts, dort war die ewige Nacht, ich schaute zur Seite, ich sah zu meiner Rechten wie zu meiner Linken die Verzweiflung und die ewige Pein sitzen, da erhob ich meine Hände und warf einen ewig theuern Namen an die Gewölbe der Decke, es gab einen klingenden Schall, die Felsen wichen, und rasch wie eine befreite Taube aus dem Felsspalt, in den der Geier sie geschleppt, schwang ich mich in die helle Bläue des Himmels hinauf. Dort angelangt, that ich einen langen, frischen Athemzug. Meine Arme waren verdorrt, mein Antlitz entzündet von der Glut, ich badete mich in den Wellen des Aethers, ich ging, um meine brennenden Füße zu kühlen, auf feuchten Morgenwolken lobsingend auf und nieder. Ich hörte die Harfen der Engel, und ihr süßer Gesang wehte mich an wie der Morgenwind, der über den Kelch der Rose daherweht. Es kamen Wolken dahergeschwommen, ich ließ ihren weißen, kalten Duft an meiner brennenden Stirn branden und sich zertheilen und hielt dem frischen Bade meine offene Brust entgegen; dann warf ich mich auf das weiche Bette einer Wolke nieder und ließ die Nacht herankommen und ließ über mich hin den Mond wandeln. Er kam durch die krystallenen Gemächer der Nacht und ging leise, wie ein Freund, der seine Freundin aus dem Schlummer nicht wecken will, an meinem Haupte vorüber. Ich sah ihm nach und drückte mich tiefer in die weiche Wolke hinein, selig lächelnd und von allem Schmerz und aller Pein befreit. So glitt ich auf meiner Wolke

schaute nieder, dort war der Tod, ich schaute aufwärts, dort war die ewige Nacht, ich schaute zur Seite, ich sah zu meiner Rechten wie zu meiner Linken die Verzweiflung und die ewige Pein sitzen, da erhob ich meine Hände und warf einen ewig theuern Namen an die Gewölbe der Decke, es gab einen klingenden Schall, die Felsen wichen, und rasch wie eine befreite Taube aus dem Felsspalt, in den der Geier sie geschleppt, schwang ich mich in die helle Bläue des Himmels hinauf. Dort angelangt, that ich einen langen, frischen Athemzug. Meine Arme waren verdorrt, mein Antlitz entzündet von der Glut, ich badete mich in den Wellen des Aethers, ich ging, um meine brennenden Füße zu kühlen, auf feuchten Morgenwolken lobsingend auf und nieder. Ich hörte die Harfen der Engel, und ihr süßer Gesang wehte mich an wie der Morgenwind, der über den Kelch der Rose daherweht. Es kamen Wolken dahergeschwommen, ich ließ ihren weißen, kalten Duft an meiner brennenden Stirn branden und sich zertheilen und hielt dem frischen Bade meine offene Brust entgegen; dann warf ich mich auf das weiche Bette einer Wolke nieder und ließ die Nacht herankommen und ließ über mich hin den Mond wandeln. Er kam durch die krystallenen Gemächer der Nacht und ging leise, wie ein Freund, der seine Freundin aus dem Schlummer nicht wecken will, an meinem Haupte vorüber. Ich sah ihm nach und drückte mich tiefer in die weiche Wolke hinein, selig lächelnd und von allem Schmerz und aller Pein befreit. So glitt ich auf meiner Wolke

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[0074] schaute nieder, dort war der Tod, ich schaute aufwärts, dort war die ewige Nacht, ich schaute zur Seite, ich sah zu meiner Rechten wie zu meiner Linken die Verzweiflung und die ewige Pein sitzen, da erhob ich meine Hände und warf einen ewig theuern Namen an die Gewölbe der Decke, es gab einen klingenden Schall, die Felsen wichen, und rasch wie eine befreite Taube aus dem Felsspalt, in den der Geier sie geschleppt, schwang ich mich in die helle Bläue des Himmels hinauf. Dort angelangt, that ich einen langen, frischen Athemzug. Meine Arme waren verdorrt, mein Antlitz entzündet von der Glut, ich badete mich in den Wellen des Aethers, ich ging, um meine brennenden Füße zu kühlen, auf feuchten Morgenwolken lobsingend auf und nieder. Ich hörte die Harfen der Engel, und ihr süßer Gesang wehte mich an wie der Morgenwind, der über den Kelch der Rose daherweht. Es kamen Wolken dahergeschwommen, ich ließ ihren weißen, kalten Duft an meiner brennenden Stirn branden und sich zertheilen und hielt dem frischen Bade meine offene Brust entgegen; dann warf ich mich auf das weiche Bette einer Wolke nieder und ließ die Nacht herankommen und ließ über mich hin den Mond wandeln. Er kam durch die krystallenen Gemächer der Nacht und ging leise, wie ein Freund, der seine Freundin aus dem Schlummer nicht wecken will, an meinem Haupte vorüber. Ich sah ihm nach und drückte mich tiefer in die weiche Wolke hinein, selig lächelnd und von allem Schmerz und aller Pein befreit. So glitt ich auf meiner Wolke

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Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-16T12:43:38Z)

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Zitationshilfe: Ungern-Sternberg, Alexander von: Scholastika. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 20. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–102. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ungern_scholastika_1910/74>, abgerufen am 21.11.2024.