Ungern-Sternberg, Alexander von: Scholastika. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 20. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–102. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.und an einem leisen Silberschimmer durch die Nacht die Fläche des Sees. Wie sie eben um eine Baumgruppe wendeten, erblickten sie auf einem der schroffen Ufer des Sees zwei Gestalten, die wunderlich hüpfend sich bewegten und die der aufgehende Mond nur unstät und unvollkommen beleuchtete. Wie die Fliehenden näher kamen, erkannte Scholastika die alte Nonne Ljubow, die eine Ziege an beiden Vorderfüßen hielt und sich mit ihr unter lautem Lachen und Singen tanzend herumschwenkte. Die Nonne und die Ziege, auf der Felsspitze im Mondschein um Mitternacht tanzend, gab einen zu wunderlichen, aufregenden Anblick, als daß unser Paar, trotz der Eile, die es hatte, nicht einige Secunden stille gestanden hätte, um zuzusehen. Die alte Nonne ließ sich nicht stören, sie sang schmetternd ihre Lieder ab, und sobald eine Strophe vollendet war, wirbelte sie sich von neuem mit der Ziege herum, so daß ihre Schleier im Nachtwinde flatterten und ihre Röcke im Kreise herumflogen. -- Dimitri! scholl es durch die Nacht. Ich komme! entgegnete der junge Mann und zog seine schöne Beute rasch nach sich. Als sie in die Postkutsche stiegen, auf dessen Kutschersitz Gregor Platz genommen hatte, hörten sie noch den Gesang der Nonne, unterbrochen von dem Plätschern der Wogen des Sees und den einzelnen Stößen des Sturmwindes. Der Wagen fuhr eilig über die schlechten Holzbrücken eines Nebenweges, und unter Flüchen und Einpeitschen auf die Pferde erreichte man und an einem leisen Silberschimmer durch die Nacht die Fläche des Sees. Wie sie eben um eine Baumgruppe wendeten, erblickten sie auf einem der schroffen Ufer des Sees zwei Gestalten, die wunderlich hüpfend sich bewegten und die der aufgehende Mond nur unstät und unvollkommen beleuchtete. Wie die Fliehenden näher kamen, erkannte Scholastika die alte Nonne Ljubow, die eine Ziege an beiden Vorderfüßen hielt und sich mit ihr unter lautem Lachen und Singen tanzend herumschwenkte. Die Nonne und die Ziege, auf der Felsspitze im Mondschein um Mitternacht tanzend, gab einen zu wunderlichen, aufregenden Anblick, als daß unser Paar, trotz der Eile, die es hatte, nicht einige Secunden stille gestanden hätte, um zuzusehen. Die alte Nonne ließ sich nicht stören, sie sang schmetternd ihre Lieder ab, und sobald eine Strophe vollendet war, wirbelte sie sich von neuem mit der Ziege herum, so daß ihre Schleier im Nachtwinde flatterten und ihre Röcke im Kreise herumflogen. — Dimitri! scholl es durch die Nacht. Ich komme! entgegnete der junge Mann und zog seine schöne Beute rasch nach sich. Als sie in die Postkutsche stiegen, auf dessen Kutschersitz Gregor Platz genommen hatte, hörten sie noch den Gesang der Nonne, unterbrochen von dem Plätschern der Wogen des Sees und den einzelnen Stößen des Sturmwindes. Der Wagen fuhr eilig über die schlechten Holzbrücken eines Nebenweges, und unter Flüchen und Einpeitschen auf die Pferde erreichte man <TEI> <text> <body> <div n="2"> <p><pb facs="#f0078"/> und an einem leisen Silberschimmer durch die Nacht die Fläche des Sees. Wie sie eben um eine Baumgruppe wendeten, erblickten sie auf einem der schroffen Ufer des Sees zwei Gestalten, die wunderlich hüpfend sich bewegten und die der aufgehende Mond nur unstät und unvollkommen beleuchtete. Wie die Fliehenden näher kamen, erkannte Scholastika die alte Nonne Ljubow, die eine Ziege an beiden Vorderfüßen hielt und sich mit ihr unter lautem Lachen und Singen tanzend herumschwenkte. Die Nonne und die Ziege, auf der Felsspitze im Mondschein um Mitternacht tanzend, gab einen zu wunderlichen, aufregenden Anblick, als daß unser Paar, trotz der Eile, die es hatte, nicht einige Secunden stille gestanden hätte, um zuzusehen. Die alte Nonne ließ sich nicht stören, sie sang schmetternd ihre Lieder ab, und sobald eine Strophe vollendet war, wirbelte sie sich von neuem mit der Ziege herum, so daß ihre Schleier im Nachtwinde flatterten und ihre Röcke im Kreise herumflogen. — Dimitri! scholl es durch die Nacht. Ich komme! entgegnete der junge Mann und zog seine schöne Beute rasch nach sich. Als sie in die Postkutsche stiegen, auf dessen Kutschersitz Gregor Platz genommen hatte, hörten sie noch den Gesang der Nonne, unterbrochen von dem Plätschern der Wogen des Sees und den einzelnen Stößen des Sturmwindes. Der Wagen fuhr eilig über die schlechten Holzbrücken eines Nebenweges, und unter Flüchen und Einpeitschen auf die Pferde erreichte man<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0078]
und an einem leisen Silberschimmer durch die Nacht die Fläche des Sees. Wie sie eben um eine Baumgruppe wendeten, erblickten sie auf einem der schroffen Ufer des Sees zwei Gestalten, die wunderlich hüpfend sich bewegten und die der aufgehende Mond nur unstät und unvollkommen beleuchtete. Wie die Fliehenden näher kamen, erkannte Scholastika die alte Nonne Ljubow, die eine Ziege an beiden Vorderfüßen hielt und sich mit ihr unter lautem Lachen und Singen tanzend herumschwenkte. Die Nonne und die Ziege, auf der Felsspitze im Mondschein um Mitternacht tanzend, gab einen zu wunderlichen, aufregenden Anblick, als daß unser Paar, trotz der Eile, die es hatte, nicht einige Secunden stille gestanden hätte, um zuzusehen. Die alte Nonne ließ sich nicht stören, sie sang schmetternd ihre Lieder ab, und sobald eine Strophe vollendet war, wirbelte sie sich von neuem mit der Ziege herum, so daß ihre Schleier im Nachtwinde flatterten und ihre Röcke im Kreise herumflogen. — Dimitri! scholl es durch die Nacht. Ich komme! entgegnete der junge Mann und zog seine schöne Beute rasch nach sich. Als sie in die Postkutsche stiegen, auf dessen Kutschersitz Gregor Platz genommen hatte, hörten sie noch den Gesang der Nonne, unterbrochen von dem Plätschern der Wogen des Sees und den einzelnen Stößen des Sturmwindes. Der Wagen fuhr eilig über die schlechten Holzbrücken eines Nebenweges, und unter Flüchen und Einpeitschen auf die Pferde erreichte man
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription.
(2017-03-16T12:43:38Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2017-03-16T12:43:38Z)
Weitere Informationen:Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |