Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ungern-Sternberg, Alexander von: Scholastika. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 20. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–102. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

Welt Liebe nennt, und verlangte das, was man im Himmel Liebe nennt. Der Zögling der Welt verstand mich nicht. Er hatte mich eben von meinem Heimatsboden losgerissen, wie man eine Feldblume der Luft und der Erde, die ihr angewiesen, entrafft, um sie nach einem Augenblicke des Genießens fortzuschleudern. Wir kamen hier in Paris an und hier entdeckte er mir, daß ich nicht seine Gemahlin werden könne, daß ich aber fortfahren möge, ihn als meinen Freund zu betrachten. Voll Unmuth schied ich von ihm; aber wo nun hin in dieser Häuserwüste, in diesem kolossalen, unermeßlichen Paris? Ohne Obdach, ohne Schutz, irrte ich einige Tage, dem Wahnsinn nahe, umher. Zu ihm, der mich verrathen, den ich haßte, wollte ich nicht zurückkehren, lieber wählte ich den Tod. Es war nahe daran, daß ich diesen fand. Die Entbehrungen, die ich mir auferlegt hatte, um mit einer kleinen Summe, die ich als mein Eigenthum betrachten durfte, so lange als möglich auszureichen, die Zerrüttung, in welcher sich, in Folge des Kummers und der Hoffnungslosigkeit, mein Gemüth befand, alles dieses zusammen beugte meine Seele und raubte ihr allen Muth. Ich hatte nie eine Ahnung von den Schrecken eines solchen Lebens gehabt. Die Klostermauern, hatten sie mir den Glanz und die Schönheit dieser Welt auch entzogen, so waren sie doch auch zugleich schützende Vorhänge gewesen vor den Gemälden der Entsittlichung und des Elends, die ich jetzt schaudernd anschauen mußte. Es kam so weit, daß ich vor jeder menschlichen Berüh-

Welt Liebe nennt, und verlangte das, was man im Himmel Liebe nennt. Der Zögling der Welt verstand mich nicht. Er hatte mich eben von meinem Heimatsboden losgerissen, wie man eine Feldblume der Luft und der Erde, die ihr angewiesen, entrafft, um sie nach einem Augenblicke des Genießens fortzuschleudern. Wir kamen hier in Paris an und hier entdeckte er mir, daß ich nicht seine Gemahlin werden könne, daß ich aber fortfahren möge, ihn als meinen Freund zu betrachten. Voll Unmuth schied ich von ihm; aber wo nun hin in dieser Häuserwüste, in diesem kolossalen, unermeßlichen Paris? Ohne Obdach, ohne Schutz, irrte ich einige Tage, dem Wahnsinn nahe, umher. Zu ihm, der mich verrathen, den ich haßte, wollte ich nicht zurückkehren, lieber wählte ich den Tod. Es war nahe daran, daß ich diesen fand. Die Entbehrungen, die ich mir auferlegt hatte, um mit einer kleinen Summe, die ich als mein Eigenthum betrachten durfte, so lange als möglich auszureichen, die Zerrüttung, in welcher sich, in Folge des Kummers und der Hoffnungslosigkeit, mein Gemüth befand, alles dieses zusammen beugte meine Seele und raubte ihr allen Muth. Ich hatte nie eine Ahnung von den Schrecken eines solchen Lebens gehabt. Die Klostermauern, hatten sie mir den Glanz und die Schönheit dieser Welt auch entzogen, so waren sie doch auch zugleich schützende Vorhänge gewesen vor den Gemälden der Entsittlichung und des Elends, die ich jetzt schaudernd anschauen mußte. Es kam so weit, daß ich vor jeder menschlichen Berüh-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="3">
        <p><pb facs="#f0087"/>
Welt Liebe nennt, und verlangte das,                was man im Himmel Liebe nennt. Der Zögling der Welt verstand mich nicht. Er hatte                mich eben von meinem Heimatsboden losgerissen, wie man eine Feldblume der Luft und                der Erde, die ihr angewiesen, entrafft, um sie nach einem Augenblicke des Genießens                fortzuschleudern. Wir kamen hier in Paris an und hier entdeckte er mir, daß ich nicht                seine Gemahlin werden könne, daß ich aber fortfahren möge, ihn als meinen Freund zu                betrachten. Voll Unmuth schied ich von ihm; aber wo nun hin in dieser Häuserwüste, in                diesem kolossalen, unermeßlichen Paris? Ohne Obdach, ohne Schutz, irrte ich einige                Tage, dem Wahnsinn nahe, umher. Zu ihm, der mich verrathen, den ich haßte, wollte ich                nicht zurückkehren, lieber wählte ich den Tod. Es war nahe daran, daß ich diesen                fand. Die Entbehrungen, die ich mir auferlegt hatte, um mit einer kleinen Summe, die                ich als mein Eigenthum betrachten durfte, so lange als möglich auszureichen, die                Zerrüttung, in welcher sich, in Folge des Kummers und der Hoffnungslosigkeit, mein                Gemüth befand, alles dieses zusammen beugte meine Seele und raubte ihr allen Muth.                Ich hatte nie eine Ahnung von den Schrecken eines solchen Lebens gehabt. Die                Klostermauern, hatten sie mir den Glanz und die Schönheit dieser Welt auch entzogen,                so waren sie doch auch zugleich schützende Vorhänge gewesen vor den Gemälden der                Entsittlichung und des Elends, die ich jetzt schaudernd anschauen mußte. Es kam so                weit, daß ich vor jeder menschlichen Berüh-<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0087] Welt Liebe nennt, und verlangte das, was man im Himmel Liebe nennt. Der Zögling der Welt verstand mich nicht. Er hatte mich eben von meinem Heimatsboden losgerissen, wie man eine Feldblume der Luft und der Erde, die ihr angewiesen, entrafft, um sie nach einem Augenblicke des Genießens fortzuschleudern. Wir kamen hier in Paris an und hier entdeckte er mir, daß ich nicht seine Gemahlin werden könne, daß ich aber fortfahren möge, ihn als meinen Freund zu betrachten. Voll Unmuth schied ich von ihm; aber wo nun hin in dieser Häuserwüste, in diesem kolossalen, unermeßlichen Paris? Ohne Obdach, ohne Schutz, irrte ich einige Tage, dem Wahnsinn nahe, umher. Zu ihm, der mich verrathen, den ich haßte, wollte ich nicht zurückkehren, lieber wählte ich den Tod. Es war nahe daran, daß ich diesen fand. Die Entbehrungen, die ich mir auferlegt hatte, um mit einer kleinen Summe, die ich als mein Eigenthum betrachten durfte, so lange als möglich auszureichen, die Zerrüttung, in welcher sich, in Folge des Kummers und der Hoffnungslosigkeit, mein Gemüth befand, alles dieses zusammen beugte meine Seele und raubte ihr allen Muth. Ich hatte nie eine Ahnung von den Schrecken eines solchen Lebens gehabt. Die Klostermauern, hatten sie mir den Glanz und die Schönheit dieser Welt auch entzogen, so waren sie doch auch zugleich schützende Vorhänge gewesen vor den Gemälden der Entsittlichung und des Elends, die ich jetzt schaudernd anschauen mußte. Es kam so weit, daß ich vor jeder menschlichen Berüh-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T12:43:38Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-16T12:43:38Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (&#xa75b;): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ungern_scholastika_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ungern_scholastika_1910/87
Zitationshilfe: Ungern-Sternberg, Alexander von: Scholastika. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 20. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–102. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ungern_scholastika_1910/87>, abgerufen am 21.11.2024.