Ungern-Sternberg, Alexander von: Scholastika. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 20. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–102. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.Vorsatz, morgen mit dem Frühesten wieder in diesen Räumen sich einzufinden. Während Emil sich fortbegab, verließ zu gleicher Zeit eine verschleierte Dame das Haus und verschwand, in eine Seitengasse einbiegend, mit flüchtigen Schritten. Sie bestieg einen Miethwagen und ließ ihn vor einem Hause in dem entfernten Stadtviertel halten. In einer Mansardenwohnung angelangt, trat sie an das Krankenbette eines alten Mannes, der sie mit Zeichen der Ueberraschung und Freude willkommen hieß. Das ist nicht hübsch von Ihnen, liebe Tochter, daß Sie jetzt zu mir kommen, da es noch hell ist und Sie die Stunden zum Malen benutzen können, sagte der Greis. Ich hätte es lieber gesehen, wenn Sie in der Dämmerstunde erschienen wären. O mein Vater! rief die Eintretende; diesmal führt mich ein besonderer Umstand hierher. Ich bin krank zum Tode krank; seien Sie mein Arzt, mein Retter! Der Greis blickte sie mit schmerzenvoller Rührung an und sagte dann: So sprechen Sie, Adele! Nicht diesen Namen! Nennen Sie mich Scholastika, mein Vater. So hieß ich, als ich noch glücklich, noch schuldlos war. So hieß ich, als der kühle, weiße Schleier noch dieses brennende Haupt bedeckte -- ach, mit diesem Namen muß ich die Liebe, die Barmherzigkeit rufen, wenn sie will, daß ihre segnende Stimme mein armes Herz berühren soll. Vorsatz, morgen mit dem Frühesten wieder in diesen Räumen sich einzufinden. Während Emil sich fortbegab, verließ zu gleicher Zeit eine verschleierte Dame das Haus und verschwand, in eine Seitengasse einbiegend, mit flüchtigen Schritten. Sie bestieg einen Miethwagen und ließ ihn vor einem Hause in dem entfernten Stadtviertel halten. In einer Mansardenwohnung angelangt, trat sie an das Krankenbette eines alten Mannes, der sie mit Zeichen der Ueberraschung und Freude willkommen hieß. Das ist nicht hübsch von Ihnen, liebe Tochter, daß Sie jetzt zu mir kommen, da es noch hell ist und Sie die Stunden zum Malen benutzen können, sagte der Greis. Ich hätte es lieber gesehen, wenn Sie in der Dämmerstunde erschienen wären. O mein Vater! rief die Eintretende; diesmal führt mich ein besonderer Umstand hierher. Ich bin krank zum Tode krank; seien Sie mein Arzt, mein Retter! Der Greis blickte sie mit schmerzenvoller Rührung an und sagte dann: So sprechen Sie, Adele! Nicht diesen Namen! Nennen Sie mich Scholastika, mein Vater. So hieß ich, als ich noch glücklich, noch schuldlos war. So hieß ich, als der kühle, weiße Schleier noch dieses brennende Haupt bedeckte — ach, mit diesem Namen muß ich die Liebe, die Barmherzigkeit rufen, wenn sie will, daß ihre segnende Stimme mein armes Herz berühren soll. <TEI> <text> <body> <div n="3"> <p><pb facs="#f0092"/> Vorsatz, morgen mit dem Frühesten wieder in diesen Räumen sich einzufinden.</p><lb/> <p>Während Emil sich fortbegab, verließ zu gleicher Zeit eine verschleierte Dame das Haus und verschwand, in eine Seitengasse einbiegend, mit flüchtigen Schritten. Sie bestieg einen Miethwagen und ließ ihn vor einem Hause in dem entfernten Stadtviertel halten. In einer Mansardenwohnung angelangt, trat sie an das Krankenbette eines alten Mannes, der sie mit Zeichen der Ueberraschung und Freude willkommen hieß. Das ist nicht hübsch von Ihnen, liebe Tochter, daß Sie jetzt zu mir kommen, da es noch hell ist und Sie die Stunden zum Malen benutzen können, sagte der Greis. Ich hätte es lieber gesehen, wenn Sie in der Dämmerstunde erschienen wären.</p><lb/> <p>O mein Vater! rief die Eintretende; diesmal führt mich ein besonderer Umstand hierher. Ich bin krank zum Tode krank; seien Sie mein Arzt, mein Retter!</p><lb/> <p>Der Greis blickte sie mit schmerzenvoller Rührung an und sagte dann: So sprechen Sie, Adele!</p><lb/> <p>Nicht diesen Namen! Nennen Sie mich Scholastika, mein Vater. So hieß ich, als ich noch glücklich, noch schuldlos war. So hieß ich, als der kühle, weiße Schleier noch dieses brennende Haupt bedeckte — ach, mit diesem Namen muß ich die Liebe, die Barmherzigkeit rufen, wenn sie will, daß ihre segnende Stimme mein armes Herz berühren soll.</p><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [0092]
Vorsatz, morgen mit dem Frühesten wieder in diesen Räumen sich einzufinden.
Während Emil sich fortbegab, verließ zu gleicher Zeit eine verschleierte Dame das Haus und verschwand, in eine Seitengasse einbiegend, mit flüchtigen Schritten. Sie bestieg einen Miethwagen und ließ ihn vor einem Hause in dem entfernten Stadtviertel halten. In einer Mansardenwohnung angelangt, trat sie an das Krankenbette eines alten Mannes, der sie mit Zeichen der Ueberraschung und Freude willkommen hieß. Das ist nicht hübsch von Ihnen, liebe Tochter, daß Sie jetzt zu mir kommen, da es noch hell ist und Sie die Stunden zum Malen benutzen können, sagte der Greis. Ich hätte es lieber gesehen, wenn Sie in der Dämmerstunde erschienen wären.
O mein Vater! rief die Eintretende; diesmal führt mich ein besonderer Umstand hierher. Ich bin krank zum Tode krank; seien Sie mein Arzt, mein Retter!
Der Greis blickte sie mit schmerzenvoller Rührung an und sagte dann: So sprechen Sie, Adele!
Nicht diesen Namen! Nennen Sie mich Scholastika, mein Vater. So hieß ich, als ich noch glücklich, noch schuldlos war. So hieß ich, als der kühle, weiße Schleier noch dieses brennende Haupt bedeckte — ach, mit diesem Namen muß ich die Liebe, die Barmherzigkeit rufen, wenn sie will, daß ihre segnende Stimme mein armes Herz berühren soll.
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