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Ungern-Sternberg, Alexander von: Scholastika. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 20. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–102. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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spähen und Aufmerken auf die innere, von Gott beschwingte und getragene Stimme. Seitdem ich in der Welt lebte, seitdem diese brausenden Wogen mit ihrer betäubenden Brandung fortwährend an mein Ohr schlagen, seitdem ist jede innerliche Kenntniß verschlossen und versiegelt.

Meine Tochter, nahm der Greis das Wort, ich kann nicht dulden, daß du dich selbst ungerecht anklagst. Vieles, auch in dem ernsten und großen Stile ist dir gelungen. Hat nicht das Opfer Abraham's, das du vor einem Jahre der Beurtheilung der Kenner ausstelltest, Lob und Bewunderung derselben geerntet?

Weil es weltlich und sinnlich aufgefaßt war, entgegnete Scholastika; weil ich den Schmerz des Vaters vor dem heiligen Glaubenseifer des frommen Helden vorgehoben hatte. Und was lobten sie? Gruppirung, Vertheilung von Licht und Schatten, Effekte -- wie ist dies Alles unwürdig und klein gegen die Schöpfungen einer Seele, die berufen ist, der Welt mit irdischen Mitteln göttliche Geheimnisse zu enthüllen.

So kehre in dein Kloster zurück! rief der Greis. Male wieder Heiligenbilder, male sie, wie du sie damals maltest.

Ich kann's nicht, mein Vater. Daß ich's eben nicht kann, ist mein Unglück. Die vollendetste Kunst hält nicht schadlos für ein entweihtes Herz. Könnte ich mit den Thränen meiner Kummernächte zurückkaufen, was ich hingab, könnte ich wieder die Unschuld des Sinnes

spähen und Aufmerken auf die innere, von Gott beschwingte und getragene Stimme. Seitdem ich in der Welt lebte, seitdem diese brausenden Wogen mit ihrer betäubenden Brandung fortwährend an mein Ohr schlagen, seitdem ist jede innerliche Kenntniß verschlossen und versiegelt.

Meine Tochter, nahm der Greis das Wort, ich kann nicht dulden, daß du dich selbst ungerecht anklagst. Vieles, auch in dem ernsten und großen Stile ist dir gelungen. Hat nicht das Opfer Abraham's, das du vor einem Jahre der Beurtheilung der Kenner ausstelltest, Lob und Bewunderung derselben geerntet?

Weil es weltlich und sinnlich aufgefaßt war, entgegnete Scholastika; weil ich den Schmerz des Vaters vor dem heiligen Glaubenseifer des frommen Helden vorgehoben hatte. Und was lobten sie? Gruppirung, Vertheilung von Licht und Schatten, Effekte — wie ist dies Alles unwürdig und klein gegen die Schöpfungen einer Seele, die berufen ist, der Welt mit irdischen Mitteln göttliche Geheimnisse zu enthüllen.

So kehre in dein Kloster zurück! rief der Greis. Male wieder Heiligenbilder, male sie, wie du sie damals maltest.

Ich kann's nicht, mein Vater. Daß ich's eben nicht kann, ist mein Unglück. Die vollendetste Kunst hält nicht schadlos für ein entweihtes Herz. Könnte ich mit den Thränen meiner Kummernächte zurückkaufen, was ich hingab, könnte ich wieder die Unschuld des Sinnes

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T12:43:38Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-16T12:43:38Z)

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Zitationshilfe: Ungern-Sternberg, Alexander von: Scholastika. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 20. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–102. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ungern_scholastika_1910/96>, abgerufen am 21.11.2024.