Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Unzer, Johann August: Erste Gründe einer Physiologie der eigentlichen thierischen Natur thierischer Körper. Leipzig, 1771.

Bild:
<< vorherige Seite

der finnlichen Triebe.
eine große Menge Bewegungen in den mechanischen Ma-
schinen, mit den Seelenwirkungen der Triebe zugleich vor-
handen seyn, und besonders in solchen Thieren, die vieler
Arten eigenmächtiger, das ist, nicht zu nahe von den äu-
ßern Empfindungen abhangender (§. 27.) Vorstellungen
fähig sind, einen höchstzusammengesetzten verworrenen Zu-
stand der Seele und des Leibes formiren können, der sich
nimmermehr aus der Natur des Triebes allein begreiflich
machen lassen würde, wie man so oft vergeblich versuchet
hat, wenn man nicht die Nebenvorstellungen, die ihm nur
zufällig beygesellet sind, nebst ihren Seelenwirkungen, vom
Triebe selbst und seinen Seelenwirkungen sorgfältig unter-
scheidet. Wollte man gar die Wirkungen der Befriedi-
gung der Triebe, die gar nicht zu ihnen gehören, zu den
ihrigen rechnen; so würde die Verwirrung aufs äußerste
getrieben seyn. Jn der verworrenen Charakterisirung der
Triebe und Leidenschaften liegt der vornehmste Grund,
warum man ihre Natur und Wirkungen in den Körper
bisher so schlecht erkläret hat. Es wird also um desto mehr
der Mühe werth seyn, in einem Beyspiele diese Unterschie-
de, zu einer allgemeinen Richtschnur der Beurtheilung der
Triebe und Leidenschaften und ihrer Seelenwirkungen, ins
Licht zu setzen. Jch wähle dazu den Trieb zur Fortpflan-
zung des Geschlechts, der überhaupt einer der wichtigsten
und verworrensten ist.

§. 274.

Bey diesem Triebe bringt die Natur dem Thiere zuerst
Veranlassungen, äußere sinnliche Eindrücke, bey, die es
in Staunen setzen, und durch eine ihnen eigne Seelenwir-
kung in die Geschlechtstheile, dieselben zu der sinnlichen
Reizung des Triebes vorbereiten, §. 268. indem ihre Ner-
ven gegen alle Berührung empfindlicher werden, um den
sanften Kitzel, die Triebfeder des Triebes, zu empfangen.
Dieser besondre Eindruck, den gewisse äußere Empfindun-
gen und andre sinnliche Vorstellungen, nach der Vorher-

bestim-

der finnlichen Triebe.
eine große Menge Bewegungen in den mechaniſchen Ma-
ſchinen, mit den Seelenwirkungen der Triebe zugleich vor-
handen ſeyn, und beſonders in ſolchen Thieren, die vieler
Arten eigenmaͤchtiger, das iſt, nicht zu nahe von den aͤu-
ßern Empfindungen abhangender (§. 27.) Vorſtellungen
faͤhig ſind, einen hoͤchſtzuſammengeſetzten verworrenen Zu-
ſtand der Seele und des Leibes formiren koͤnnen, der ſich
nimmermehr aus der Natur des Triebes allein begreiflich
machen laſſen wuͤrde, wie man ſo oft vergeblich verſuchet
hat, wenn man nicht die Nebenvorſtellungen, die ihm nur
zufaͤllig beygeſellet ſind, nebſt ihren Seelenwirkungen, vom
Triebe ſelbſt und ſeinen Seelenwirkungen ſorgfaͤltig unter-
ſcheidet. Wollte man gar die Wirkungen der Befriedi-
gung der Triebe, die gar nicht zu ihnen gehoͤren, zu den
ihrigen rechnen; ſo wuͤrde die Verwirrung aufs aͤußerſte
getrieben ſeyn. Jn der verworrenen Charakteriſirung der
Triebe und Leidenſchaften liegt der vornehmſte Grund,
warum man ihre Natur und Wirkungen in den Koͤrper
bisher ſo ſchlecht erklaͤret hat. Es wird alſo um deſto mehr
der Muͤhe werth ſeyn, in einem Beyſpiele dieſe Unterſchie-
de, zu einer allgemeinen Richtſchnur der Beurtheilung der
Triebe und Leidenſchaften und ihrer Seelenwirkungen, ins
Licht zu ſetzen. Jch waͤhle dazu den Trieb zur Fortpflan-
zung des Geſchlechts, der uͤberhaupt einer der wichtigſten
und verworrenſten iſt.

§. 274.

Bey dieſem Triebe bringt die Natur dem Thiere zuerſt
Veranlaſſungen, aͤußere ſinnliche Eindruͤcke, bey, die es
in Staunen ſetzen, und durch eine ihnen eigne Seelenwir-
kung in die Geſchlechtstheile, dieſelben zu der ſinnlichen
Reizung des Triebes vorbereiten, §. 268. indem ihre Ner-
ven gegen alle Beruͤhrung empfindlicher werden, um den
ſanften Kitzel, die Triebfeder des Triebes, zu empfangen.
Dieſer beſondre Eindruck, den gewiſſe aͤußere Empfindun-
gen und andre ſinnliche Vorſtellungen, nach der Vorher-

beſtim-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0279" n="255"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">der finnlichen Triebe.</hi></fw><lb/>
eine große Menge Bewegungen in den mechani&#x017F;chen Ma-<lb/>
&#x017F;chinen, mit den Seelenwirkungen der Triebe zugleich vor-<lb/>
handen &#x017F;eyn, und be&#x017F;onders in &#x017F;olchen Thieren, die vieler<lb/>
Arten eigenma&#x0364;chtiger, das i&#x017F;t, nicht zu nahe von den a&#x0364;u-<lb/>
ßern Empfindungen abhangender (§. 27.) Vor&#x017F;tellungen<lb/>
fa&#x0364;hig &#x017F;ind, einen ho&#x0364;ch&#x017F;tzu&#x017F;ammenge&#x017F;etzten verworrenen Zu-<lb/>
&#x017F;tand der Seele und des Leibes formiren ko&#x0364;nnen, der &#x017F;ich<lb/>
nimmermehr aus der Natur des Triebes allein begreiflich<lb/>
machen la&#x017F;&#x017F;en wu&#x0364;rde, wie man &#x017F;o oft vergeblich ver&#x017F;uchet<lb/>
hat, wenn man nicht die Nebenvor&#x017F;tellungen, die ihm nur<lb/>
zufa&#x0364;llig beyge&#x017F;ellet &#x017F;ind, neb&#x017F;t ihren Seelenwirkungen, vom<lb/>
Triebe &#x017F;elb&#x017F;t und &#x017F;einen Seelenwirkungen &#x017F;orgfa&#x0364;ltig unter-<lb/>
&#x017F;cheidet. Wollte man gar die Wirkungen der Befriedi-<lb/>
gung der Triebe, die gar nicht zu ihnen geho&#x0364;ren, zu den<lb/>
ihrigen rechnen; &#x017F;o wu&#x0364;rde die Verwirrung aufs a&#x0364;ußer&#x017F;te<lb/>
getrieben &#x017F;eyn. Jn der verworrenen Charakteri&#x017F;irung der<lb/>
Triebe und Leiden&#x017F;chaften liegt der vornehm&#x017F;te Grund,<lb/>
warum man ihre Natur und Wirkungen in den Ko&#x0364;rper<lb/>
bisher &#x017F;o &#x017F;chlecht erkla&#x0364;ret hat. Es wird al&#x017F;o um de&#x017F;to mehr<lb/>
der Mu&#x0364;he werth &#x017F;eyn, in einem Bey&#x017F;piele die&#x017F;e Unter&#x017F;chie-<lb/>
de, zu einer allgemeinen Richt&#x017F;chnur der Beurtheilung der<lb/>
Triebe und Leiden&#x017F;chaften und ihrer Seelenwirkungen, ins<lb/>
Licht zu &#x017F;etzen. Jch wa&#x0364;hle dazu den Trieb zur Fortpflan-<lb/>
zung des Ge&#x017F;chlechts, der u&#x0364;berhaupt einer der wichtig&#x017F;ten<lb/>
und verworren&#x017F;ten i&#x017F;t.</p>
            </div><lb/>
            <div n="4">
              <head>§. 274.</head><lb/>
              <p>Bey die&#x017F;em Triebe bringt die Natur dem Thiere zuer&#x017F;t<lb/>
Veranla&#x017F;&#x017F;ungen, a&#x0364;ußere &#x017F;innliche Eindru&#x0364;cke, bey, die es<lb/>
in Staunen &#x017F;etzen, und durch eine ihnen eigne Seelenwir-<lb/>
kung in die Ge&#x017F;chlechtstheile, die&#x017F;elben zu der &#x017F;innlichen<lb/>
Reizung des Triebes vorbereiten, §. 268. indem ihre Ner-<lb/>
ven gegen alle Beru&#x0364;hrung empfindlicher werden, um den<lb/>
&#x017F;anften Kitzel, die Triebfeder des Triebes, zu empfangen.<lb/>
Die&#x017F;er be&#x017F;ondre Eindruck, den gewi&#x017F;&#x017F;e a&#x0364;ußere Empfindun-<lb/>
gen und andre &#x017F;innliche Vor&#x017F;tellungen, nach der Vorher-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">be&#x017F;tim-</fw><lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[255/0279] der finnlichen Triebe. eine große Menge Bewegungen in den mechaniſchen Ma- ſchinen, mit den Seelenwirkungen der Triebe zugleich vor- handen ſeyn, und beſonders in ſolchen Thieren, die vieler Arten eigenmaͤchtiger, das iſt, nicht zu nahe von den aͤu- ßern Empfindungen abhangender (§. 27.) Vorſtellungen faͤhig ſind, einen hoͤchſtzuſammengeſetzten verworrenen Zu- ſtand der Seele und des Leibes formiren koͤnnen, der ſich nimmermehr aus der Natur des Triebes allein begreiflich machen laſſen wuͤrde, wie man ſo oft vergeblich verſuchet hat, wenn man nicht die Nebenvorſtellungen, die ihm nur zufaͤllig beygeſellet ſind, nebſt ihren Seelenwirkungen, vom Triebe ſelbſt und ſeinen Seelenwirkungen ſorgfaͤltig unter- ſcheidet. Wollte man gar die Wirkungen der Befriedi- gung der Triebe, die gar nicht zu ihnen gehoͤren, zu den ihrigen rechnen; ſo wuͤrde die Verwirrung aufs aͤußerſte getrieben ſeyn. Jn der verworrenen Charakteriſirung der Triebe und Leidenſchaften liegt der vornehmſte Grund, warum man ihre Natur und Wirkungen in den Koͤrper bisher ſo ſchlecht erklaͤret hat. Es wird alſo um deſto mehr der Muͤhe werth ſeyn, in einem Beyſpiele dieſe Unterſchie- de, zu einer allgemeinen Richtſchnur der Beurtheilung der Triebe und Leidenſchaften und ihrer Seelenwirkungen, ins Licht zu ſetzen. Jch waͤhle dazu den Trieb zur Fortpflan- zung des Geſchlechts, der uͤberhaupt einer der wichtigſten und verworrenſten iſt. §. 274. Bey dieſem Triebe bringt die Natur dem Thiere zuerſt Veranlaſſungen, aͤußere ſinnliche Eindruͤcke, bey, die es in Staunen ſetzen, und durch eine ihnen eigne Seelenwir- kung in die Geſchlechtstheile, dieſelben zu der ſinnlichen Reizung des Triebes vorbereiten, §. 268. indem ihre Ner- ven gegen alle Beruͤhrung empfindlicher werden, um den ſanften Kitzel, die Triebfeder des Triebes, zu empfangen. Dieſer beſondre Eindruck, den gewiſſe aͤußere Empfindun- gen und andre ſinnliche Vorſtellungen, nach der Vorher- beſtim-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/unzer_erstegruende_1771
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/unzer_erstegruende_1771/279
Zitationshilfe: Unzer, Johann August: Erste Gründe einer Physiologie der eigentlichen thierischen Natur thierischer Körper. Leipzig, 1771, S. 255. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/unzer_erstegruende_1771/279>, abgerufen am 22.11.2024.