Unzer, Johann August: Erste Gründe einer Physiologie der eigentlichen thierischen Natur thierischer Körper. Leipzig, 1771.der sinnlichen Triebe. nur blos sinnlichen Vernunft oder Klugheit wären. DieVeranlassungen zu ihren Trieben verschaffet ihnen die Na- tur, ohne ihr Wissen, Belieben und Absicht, ja vielmehr wider dieselben. §. 264. Aus diesen entstehen die dunkeln sinnlichen Reizungen zu den Trieben, auch ohne ihr Wis- sen und Belieben, weil sie sich ihrer nicht einmal bewußt sind, sie auch unmöglich verhüten könnten, ohne durch Vernunft, die doch die wenigsten Thiere besitzen, den Zu- sammenhang der Veranlassungen mit diesen Reizungen zu erkennen, und darum jene vorsetzlich zu meiden, oder zu entkräften. §. 270. Aus ihnen entsteht der Trieb nach den ewigen Gesetzen der Vorstellungskraft, §. 81. 94. na- türlich nothwendiger Weise: denn kein Thier kann sichs verbieten, dasjenige sinnlich zu begehren, oder zu verab- scheuen, was ihm einmal unvermeidlich sinnlich angenehm oder unangenehm geworden ist. §. 80. 81. 108. Dieses Bestreben der Seele dringt auf die Befriedigung des Trie- bes, ohne daß das Thier die Mittel, ihn zu befriedigen kennt, wenigstens ohne daß es sie zu kennen brauchet; §. 266. die Natur bereitet sie ihm vor; sie bringt sie ihm so nahe, daß es nicht umhin kann, sich zu befriedigen, §. 263. wofern es nicht, wie der Mensch in manchen Fällen, durch Vernunft und Willen in Stand gesetzet wird, den Trieb zu ersticken und seine Befriedigung zu vermeiden. Endlich genießt bey der Befriedigung selbst das Thier blind und geruhig das Vergnügen seiner äußern Empfindung, ohne die Folgen davon zu kennen, ohne den Nutzen und Zweck der Natur dabey einzusehen, ohne die Absicht zu hegen, ihn zu erreichen, und ohne sich im mindesten darum zu beküm- mern, ob er erreichet werde. §. 266. Da nun dieß alles von allen sinnlichen Trieben der Thiere wahr ist, §. 276. mithin auch selbst die zu den willkührlichen Bewegungen davon nicht ausgeschlossen sind, §. 283. 284. so müßte man ganz verblendet seyn, wenn man aus den Bewegun- gen (Seelenwirkungen) der Triebe einen Beweis nehmen wollte, daß sie überlegte, kluge zweckmäßige Handlungen der
der ſinnlichen Triebe. nur blos ſinnlichen Vernunft oder Klugheit waͤren. DieVeranlaſſungen zu ihren Trieben verſchaffet ihnen die Na- tur, ohne ihr Wiſſen, Belieben und Abſicht, ja vielmehr wider dieſelben. §. 264. Aus dieſen entſtehen die dunkeln ſinnlichen Reizungen zu den Trieben, auch ohne ihr Wiſ- ſen und Belieben, weil ſie ſich ihrer nicht einmal bewußt ſind, ſie auch unmoͤglich verhuͤten koͤnnten, ohne durch Vernunft, die doch die wenigſten Thiere beſitzen, den Zu- ſammenhang der Veranlaſſungen mit dieſen Reizungen zu erkennen, und darum jene vorſetzlich zu meiden, oder zu entkraͤften. §. 270. Aus ihnen entſteht der Trieb nach den ewigen Geſetzen der Vorſtellungskraft, §. 81. 94. na- tuͤrlich nothwendiger Weiſe: denn kein Thier kann ſichs verbieten, dasjenige ſinnlich zu begehren, oder zu verab- ſcheuen, was ihm einmal unvermeidlich ſinnlich angenehm oder unangenehm geworden iſt. §. 80. 81. 108. Dieſes Beſtreben der Seele dringt auf die Befriedigung des Trie- bes, ohne daß das Thier die Mittel, ihn zu befriedigen kennt, wenigſtens ohne daß es ſie zu kennen brauchet; §. 266. die Natur bereitet ſie ihm vor; ſie bringt ſie ihm ſo nahe, daß es nicht umhin kann, ſich zu befriedigen, §. 263. wofern es nicht, wie der Menſch in manchen Faͤllen, durch Vernunft und Willen in Stand geſetzet wird, den Trieb zu erſticken und ſeine Befriedigung zu vermeiden. Endlich genießt bey der Befriedigung ſelbſt das Thier blind und geruhig das Vergnuͤgen ſeiner aͤußern Empfindung, ohne die Folgen davon zu kennen, ohne den Nutzen und Zweck der Natur dabey einzuſehen, ohne die Abſicht zu hegen, ihn zu erreichen, und ohne ſich im mindeſten darum zu bekuͤm- mern, ob er erreichet werde. §. 266. Da nun dieß alles von allen ſinnlichen Trieben der Thiere wahr iſt, §. 276. mithin auch ſelbſt die zu den willkuͤhrlichen Bewegungen davon nicht ausgeſchloſſen ſind, §. 283. 284. ſo muͤßte man ganz verblendet ſeyn, wenn man aus den Bewegun- gen (Seelenwirkungen) der Triebe einen Beweis nehmen wollte, daß ſie uͤberlegte, kluge zweckmaͤßige Handlungen der
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der ſinnlichen Triebe.
nur blos ſinnlichen Vernunft oder Klugheit waͤren. Die
Veranlaſſungen zu ihren Trieben verſchaffet ihnen die Na-
tur, ohne ihr Wiſſen, Belieben und Abſicht, ja vielmehr
wider dieſelben. §. 264. Aus dieſen entſtehen die dunkeln
ſinnlichen Reizungen zu den Trieben, auch ohne ihr Wiſ-
ſen und Belieben, weil ſie ſich ihrer nicht einmal bewußt
ſind, ſie auch unmoͤglich verhuͤten koͤnnten, ohne durch
Vernunft, die doch die wenigſten Thiere beſitzen, den Zu-
ſammenhang der Veranlaſſungen mit dieſen Reizungen zu
erkennen, und darum jene vorſetzlich zu meiden, oder zu
entkraͤften. §. 270. Aus ihnen entſteht der Trieb nach
den ewigen Geſetzen der Vorſtellungskraft, §. 81. 94. na-
tuͤrlich nothwendiger Weiſe: denn kein Thier kann ſichs
verbieten, dasjenige ſinnlich zu begehren, oder zu verab-
ſcheuen, was ihm einmal unvermeidlich ſinnlich angenehm
oder unangenehm geworden iſt. §. 80. 81. 108. Dieſes
Beſtreben der Seele dringt auf die Befriedigung des Trie-
bes, ohne daß das Thier die Mittel, ihn zu befriedigen
kennt, wenigſtens ohne daß es ſie zu kennen brauchet; §.
266. die Natur bereitet ſie ihm vor; ſie bringt ſie ihm ſo
nahe, daß es nicht umhin kann, ſich zu befriedigen, §. 263.
wofern es nicht, wie der Menſch in manchen Faͤllen, durch
Vernunft und Willen in Stand geſetzet wird, den Trieb zu
erſticken und ſeine Befriedigung zu vermeiden. Endlich
genießt bey der Befriedigung ſelbſt das Thier blind und
geruhig das Vergnuͤgen ſeiner aͤußern Empfindung, ohne
die Folgen davon zu kennen, ohne den Nutzen und Zweck
der Natur dabey einzuſehen, ohne die Abſicht zu hegen, ihn
zu erreichen, und ohne ſich im mindeſten darum zu bekuͤm-
mern, ob er erreichet werde. §. 266. Da nun dieß alles
von allen ſinnlichen Trieben der Thiere wahr iſt, §. 276.
mithin auch ſelbſt die zu den willkuͤhrlichen Bewegungen
davon nicht ausgeſchloſſen ſind, §. 283. 284. ſo muͤßte
man ganz verblendet ſeyn, wenn man aus den Bewegun-
gen (Seelenwirkungen) der Triebe einen Beweis nehmen
wollte, daß ſie uͤberlegte, kluge zweckmaͤßige Handlungen
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