lungen und Begierden auf seinen Gegenstand, nach eignen Absichten und sinnlich willkührlich bestimmen, leiten und abändern kann. §. 297. 108. Wir wollen die vornehm- sten Affektentriebe der Thiere in dieser Absicht kürzlich betrachten.
§. 299.
Die Thiere sind von der Natur zur Liebe des Lebens gezwungen, ohne zu wissen wodurch? Sie werden eben so blind angehalten, die Gefahren ihres Untergangs zu ver- abscheuen; die Natur hat ihnen, ohne ihr Zuthun, die Mittel, das Leben zu schützen, zubereitet, und sie bedienen sich ihrer mit diesem Erfolge, ohne doch selbst diese Absicht zu haben. §. 265. 266. 280. Wenn sie sich aber in die- sem Triebe des Gegenstandes ihrer Verabscheuung, der To- desgefahr, bewußt werden; so werden alsdann die Absich- ten der Natur, denen sie bis dahin blind folgeten, ihre eig- nen, und nun wirket die Natur und der sinnliche Willkühr der Thiere, nicht von ohngefähr, sondern aus Erkenntniß, gemeinschaftlich auf eben denselben Gegenstand, auf eben dieselbe Absicht, und die Handlungen, (Seelenwirkungen) des Triebes erfolgen nunmehr zugleich natürlich nothwendig aus dem Triebe und zugleich aus dem sinnlichen Belieben der Thiere. Ob also gleich die Thiere noch immer dem Zwange der Natur folgen, so folgen sie ihm doch nun gern, seitdem ihr blinder Trieb zur Erhaltung des Lebens, durch das Bewußtwerden seines Gegenstandes in ihnen zum Af- fektentriebe, zur Todesangst, (Furcht des Todes,) geworden ist. §. 297. Durch diese Erkenntniß werden sie veranlasset, andre Vorstellungen, Begierden, Triebe, Lei- denschaften, welche, den Gesetzen der Vorstellungskraft ge- mäß, in ihnen entstehen, §. 273. sinnlich willkührlich auf diesen erkannten Gegenstand anzuwenden, um die Erfül- lung des Triebes zu erreichen, woraus sich die willkührli- chen Handlungen zur Rettung in der Todesangst erklären lassen, die Thiere, welche eines sinnlichen Willkührs fähig
sind,
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der Affektentriebe.
lungen und Begierden auf ſeinen Gegenſtand, nach eignen Abſichten und ſinnlich willkuͤhrlich beſtimmen, leiten und abaͤndern kann. §. 297. 108. Wir wollen die vornehm- ſten Affektentriebe der Thiere in dieſer Abſicht kuͤrzlich betrachten.
§. 299.
Die Thiere ſind von der Natur zur Liebe des Lebens gezwungen, ohne zu wiſſen wodurch? Sie werden eben ſo blind angehalten, die Gefahren ihres Untergangs zu ver- abſcheuen; die Natur hat ihnen, ohne ihr Zuthun, die Mittel, das Leben zu ſchuͤtzen, zubereitet, und ſie bedienen ſich ihrer mit dieſem Erfolge, ohne doch ſelbſt dieſe Abſicht zu haben. §. 265. 266. 280. Wenn ſie ſich aber in die- ſem Triebe des Gegenſtandes ihrer Verabſcheuung, der To- desgefahr, bewußt werden; ſo werden alsdann die Abſich- ten der Natur, denen ſie bis dahin blind folgeten, ihre eig- nen, und nun wirket die Natur und der ſinnliche Willkuͤhr der Thiere, nicht von ohngefaͤhr, ſondern aus Erkenntniß, gemeinſchaftlich auf eben denſelben Gegenſtand, auf eben dieſelbe Abſicht, und die Handlungen, (Seelenwirkungen) des Triebes erfolgen nunmehr zugleich natuͤrlich nothwendig aus dem Triebe und zugleich aus dem ſinnlichen Belieben der Thiere. Ob alſo gleich die Thiere noch immer dem Zwange der Natur folgen, ſo folgen ſie ihm doch nun gern, ſeitdem ihr blinder Trieb zur Erhaltung des Lebens, durch das Bewußtwerden ſeines Gegenſtandes in ihnen zum Af- fektentriebe, zur Todesangſt, (Furcht des Todes,) geworden iſt. §. 297. Durch dieſe Erkenntniß werden ſie veranlaſſet, andre Vorſtellungen, Begierden, Triebe, Lei- denſchaften, welche, den Geſetzen der Vorſtellungskraft ge- maͤß, in ihnen entſtehen, §. 273. ſinnlich willkuͤhrlich auf dieſen erkannten Gegenſtand anzuwenden, um die Erfuͤl- lung des Triebes zu erreichen, woraus ſich die willkuͤhrli- chen Handlungen zur Rettung in der Todesangſt erklaͤren laſſen, die Thiere, welche eines ſinnlichen Willkuͤhrs faͤhig
ſind,
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der Affektentriebe.
lungen und Begierden auf ſeinen Gegenſtand, nach eignen
Abſichten und ſinnlich willkuͤhrlich beſtimmen, leiten und
abaͤndern kann. §. 297. 108. Wir wollen die vornehm-
ſten Affektentriebe der Thiere in dieſer Abſicht kuͤrzlich
betrachten.
§. 299.
Die Thiere ſind von der Natur zur Liebe des Lebens
gezwungen, ohne zu wiſſen wodurch? Sie werden eben ſo
blind angehalten, die Gefahren ihres Untergangs zu ver-
abſcheuen; die Natur hat ihnen, ohne ihr Zuthun, die
Mittel, das Leben zu ſchuͤtzen, zubereitet, und ſie bedienen
ſich ihrer mit dieſem Erfolge, ohne doch ſelbſt dieſe Abſicht
zu haben. §. 265. 266. 280. Wenn ſie ſich aber in die-
ſem Triebe des Gegenſtandes ihrer Verabſcheuung, der To-
desgefahr, bewußt werden; ſo werden alsdann die Abſich-
ten der Natur, denen ſie bis dahin blind folgeten, ihre eig-
nen, und nun wirket die Natur und der ſinnliche Willkuͤhr
der Thiere, nicht von ohngefaͤhr, ſondern aus Erkenntniß,
gemeinſchaftlich auf eben denſelben Gegenſtand, auf eben
dieſelbe Abſicht, und die Handlungen, (Seelenwirkungen)
des Triebes erfolgen nunmehr zugleich natuͤrlich nothwendig
aus dem Triebe und zugleich aus dem ſinnlichen Belieben
der Thiere. Ob alſo gleich die Thiere noch immer dem
Zwange der Natur folgen, ſo folgen ſie ihm doch nun gern,
ſeitdem ihr blinder Trieb zur Erhaltung des Lebens, durch
das Bewußtwerden ſeines Gegenſtandes in ihnen zum Af-
fektentriebe, zur Todesangſt, (Furcht des Todes,)
geworden iſt. §. 297. Durch dieſe Erkenntniß werden ſie
veranlaſſet, andre Vorſtellungen, Begierden, Triebe, Lei-
denſchaften, welche, den Geſetzen der Vorſtellungskraft ge-
maͤß, in ihnen entſtehen, §. 273. ſinnlich willkuͤhrlich auf
dieſen erkannten Gegenſtand anzuwenden, um die Erfuͤl-
lung des Triebes zu erreichen, woraus ſich die willkuͤhrli-
chen Handlungen zur Rettung in der Todesangſt erklaͤren
laſſen, die Thiere, welche eines ſinnlichen Willkuͤhrs faͤhig
ſind,
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Unzer, Johann August: Erste Gründe einer Physiologie der eigentlichen thierischen Natur thierischer Körper. Leipzig, 1771, S. 293. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/unzer_erstegruende_1771/317>, abgerufen am 22.11.2024.
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