Unzer, Johann August: Erste Gründe einer Physiologie der eigentlichen thierischen Natur thierischer Körper. Leipzig, 1771.I Th. Th. Seel. 3 Kap. Jhr Einfl. in den Mechan. ren Seelenwirkungen sind, schwächer als im gesunden Zu-stande, sondern stärker, §. 94. obgleich in den betrübten tumultuarisch widernatürlich. §. 259. Nun sind aber die veränderten Lebensbewegungen in den Leidenschaften die Seelenwirkungen von Lust und Unlust, §. 258. und gehö- ren zu den unmittelbaren Seelenwirkungen der Leidenschaf- ten. §. 103. Also rühret die Anhäufung des Bluts in der Brust bey der Leidenschaft der Traurigkeit am wahr- scheinlichsten von der Unordnung der heftigen Bewegungen des Herzens her, die sich auch deutlich genug offenbaret, wenn man nur die Leidenschaft der Traurigkeit, und über- haupt alle wahre betrübte Leidenschaften von dem Zustande des Gemüths ohne Leidenschaft gehörig unterscheidet, wor- inn unangenehme Vorstellungen stets herrschen, ohne die Stärke der Triebe und Leidenschaften zu äußern, und den man eine traurige, niedergeschlagene, melancholi- sche Gemüthsverfassung nennet: denn in diesen kann die fortwährende Unlust die Lebensbewegungen unnatürlich schwächen, da eine so schwache Unlust zwar dieselben alle- zeit proportionirlich verändert, aber nicht nothwendig ver- mehret. §. 254. 261. N. 3. So giebt es einen anhalten- den Zustand heimlichen Leidens, des Grams, nagender Sor- gen, glimmender Eifersucht, des Hasses, des Neides, u. s. w. der in einer fortwährenden Unlust, die sich aber nicht, oder nur zuweilen, zur Stärke der Triebe und Leidenschaf- ten erhebt, besteht, und worinn die Lebensbewegungen wirk- lich äußerst schwach sind. Betrachtet man aber einen Men- schen im Zustande einer wahren betrübten Leidenschaft, z. E. der Traurigkeit; so erblicket man in allen seinen Handlun- gen des Körpers offenbar eine Heftigkeit, die mit einer so großen Schwäche des Herzens, daß er davon erblaßte, nicht wohl bestehen kann. Wenn ein äußerst schwacher Kranker von der Schwäche des Herzens beängstiget ist, so wird der- selbe nie so ungestüm dabey handeln, wie ein Trauriger in der Leidenschaft, der auf keiner Stelle Ruhe hat, wehklaget, heulet und schreyt, die Brust schlägt, seufzet, winselt, die Hände
I Th. Th. Seel. 3 Kap. Jhr Einfl. in den Mechan. ren Seelenwirkungen ſind, ſchwaͤcher als im geſunden Zu-ſtande, ſondern ſtaͤrker, §. 94. obgleich in den betruͤbten tumultuariſch widernatuͤrlich. §. 259. Nun ſind aber die veraͤnderten Lebensbewegungen in den Leidenſchaften die Seelenwirkungen von Luſt und Unluſt, §. 258. und gehoͤ- ren zu den unmittelbaren Seelenwirkungen der Leidenſchaf- ten. §. 103. Alſo ruͤhret die Anhaͤufung des Bluts in der Bruſt bey der Leidenſchaft der Traurigkeit am wahr- ſcheinlichſten von der Unordnung der heftigen Bewegungen des Herzens her, die ſich auch deutlich genug offenbaret, wenn man nur die Leidenſchaft der Traurigkeit, und uͤber- haupt alle wahre betruͤbte Leidenſchaften von dem Zuſtande des Gemuͤths ohne Leidenſchaft gehoͤrig unterſcheidet, wor- inn unangenehme Vorſtellungen ſtets herrſchen, ohne die Staͤrke der Triebe und Leidenſchaften zu aͤußern, und den man eine traurige, niedergeſchlagene, melancholi- ſche Gemuͤthsverfaſſung nennet: denn in dieſen kann die fortwaͤhrende Unluſt die Lebensbewegungen unnatuͤrlich ſchwaͤchen, da eine ſo ſchwache Unluſt zwar dieſelben alle- zeit proportionirlich veraͤndert, aber nicht nothwendig ver- mehret. §. 254. 261. N. 3. So giebt es einen anhalten- den Zuſtand heimlichen Leidens, des Grams, nagender Sor- gen, glimmender Eiferſucht, des Haſſes, des Neides, u. ſ. w. der in einer fortwaͤhrenden Unluſt, die ſich aber nicht, oder nur zuweilen, zur Staͤrke der Triebe und Leidenſchaf- ten erhebt, beſteht, und worinn die Lebensbewegungen wirk- lich aͤußerſt ſchwach ſind. Betrachtet man aber einen Men- ſchen im Zuſtande einer wahren betruͤbten Leidenſchaft, z. E. der Traurigkeit; ſo erblicket man in allen ſeinen Handlun- gen des Koͤrpers offenbar eine Heftigkeit, die mit einer ſo großen Schwaͤche des Herzens, daß er davon erblaßte, nicht wohl beſtehen kann. Wenn ein aͤußerſt ſchwacher Kranker von der Schwaͤche des Herzens beaͤngſtiget iſt, ſo wird der- ſelbe nie ſo ungeſtuͤm dabey handeln, wie ein Trauriger in der Leidenſchaft, der auf keiner Stelle Ruhe hat, wehklaget, heulet und ſchreyt, die Bruſt ſchlaͤgt, ſeufzet, winſelt, die Haͤnde
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I Th. Th. Seel. 3 Kap. Jhr Einfl. in den Mechan.
ren Seelenwirkungen ſind, ſchwaͤcher als im geſunden Zu-
ſtande, ſondern ſtaͤrker, §. 94. obgleich in den betruͤbten
tumultuariſch widernatuͤrlich. §. 259. Nun ſind aber die
veraͤnderten Lebensbewegungen in den Leidenſchaften die
Seelenwirkungen von Luſt und Unluſt, §. 258. und gehoͤ-
ren zu den unmittelbaren Seelenwirkungen der Leidenſchaf-
ten. §. 103. Alſo ruͤhret die Anhaͤufung des Bluts in
der Bruſt bey der Leidenſchaft der Traurigkeit am wahr-
ſcheinlichſten von der Unordnung der heftigen Bewegungen
des Herzens her, die ſich auch deutlich genug offenbaret,
wenn man nur die Leidenſchaft der Traurigkeit, und uͤber-
haupt alle wahre betruͤbte Leidenſchaften von dem Zuſtande
des Gemuͤths ohne Leidenſchaft gehoͤrig unterſcheidet, wor-
inn unangenehme Vorſtellungen ſtets herrſchen, ohne die
Staͤrke der Triebe und Leidenſchaften zu aͤußern, und den
man eine traurige, niedergeſchlagene, melancholi-
ſche Gemuͤthsverfaſſung nennet: denn in dieſen kann
die fortwaͤhrende Unluſt die Lebensbewegungen unnatuͤrlich
ſchwaͤchen, da eine ſo ſchwache Unluſt zwar dieſelben alle-
zeit proportionirlich veraͤndert, aber nicht nothwendig ver-
mehret. §. 254. 261. N. 3. So giebt es einen anhalten-
den Zuſtand heimlichen Leidens, des Grams, nagender Sor-
gen, glimmender Eiferſucht, des Haſſes, des Neides, u.
ſ. w. der in einer fortwaͤhrenden Unluſt, die ſich aber nicht,
oder nur zuweilen, zur Staͤrke der Triebe und Leidenſchaf-
ten erhebt, beſteht, und worinn die Lebensbewegungen wirk-
lich aͤußerſt ſchwach ſind. Betrachtet man aber einen Men-
ſchen im Zuſtande einer wahren betruͤbten Leidenſchaft, z. E.
der Traurigkeit; ſo erblicket man in allen ſeinen Handlun-
gen des Koͤrpers offenbar eine Heftigkeit, die mit einer ſo
großen Schwaͤche des Herzens, daß er davon erblaßte, nicht
wohl beſtehen kann. Wenn ein aͤußerſt ſchwacher Kranker
von der Schwaͤche des Herzens beaͤngſtiget iſt, ſo wird der-
ſelbe nie ſo ungeſtuͤm dabey handeln, wie ein Trauriger in
der Leidenſchaft, der auf keiner Stelle Ruhe hat, wehklaget,
heulet und ſchreyt, die Bruſt ſchlaͤgt, ſeufzet, winſelt, die
Haͤnde
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