traurigen Begebenheiten, oder eine starke sinnliche Unlust über vergangene Dinge erregen kann, ist auch vermögend, die Leidenschaft der Traurigkeit hervorzubringen. Dahin gehören Einsamkeit, Krankheiten, Unglücksfälle, oder Ge- schichte von dergleichen, mancherley äußere Empfindungen, u. s. w.
§. 313.
Gram, Besörgniß, Furcht, Grausen, (Angst, Bangigkeit,) Verzweifelung, sind insgesammt Arten betrübter Leidenschaften, §. 309. deren Triebfedern wir uns undeutlich bewußt sind, wodurch sie sich sowohl von den Trie- ben, §. 263. 265. als auch ursprünglich von den Affekten- trieben, §. 296. 298. unterscheiden. Sie entwickeln sich, wenn sie sich zur Stärke wahrer Leidenschaften erheben, (S. §. 310.) nach den allgemeinen Gesetzen der Leiden- schaften. §. 94. 108. Jhre Seelenwirkungen sind aus denen von einer sinnlichen Unlust und einer sinnlichen, ver- worrenen Vorhersehung zusammengesetzet, §. 103. 257. 258. und sie sind größtentheils nur blos den Graden nach von einander verschieden.
§. 314.
Diese Leidenschaften des Grams und aller Arten der Furcht haben zwar die Seelenwirkungen einer sinnlichen Unlust mit allen Arten betrübter Leidenschaften gemein, §. 309. 313. allein der genaue Beobachter unterscheidet sie doch noch deutlich genug in jeder besondern Art. §. 254. Der Puls ist unnatürlich verändert, minder voll als natür- lich, zitternd vom Herzklopfen, abwechselnd in seiner Ge- schwindigkeit und Stärke, die Brust beängstiget, weil sich das Blut in ihr anhäufet; die Gesichtsfarbe ist blaß, die Glieder erkalten, die Haut schaudert, und oft erfolgen von der Beängstigung Ohnmachten, ja der Tod selbst, wovon die Geschichte viel Beyspiele giebt. Alles dieses sind See- lenwirkungen der von der finnlichen Unlust widernatürlich veränderten Lebensbewegungen, §. 259. indem vermuthlich ein unordentlicher Einfluß der Lebensgeister in die Nerven
des
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der Leidenſchaften.
traurigen Begebenheiten, oder eine ſtarke ſinnliche Unluſt uͤber vergangene Dinge erregen kann, iſt auch vermoͤgend, die Leidenſchaft der Traurigkeit hervorzubringen. Dahin gehoͤren Einſamkeit, Krankheiten, Ungluͤcksfaͤlle, oder Ge- ſchichte von dergleichen, mancherley aͤußere Empfindungen, u. ſ. w.
§. 313.
Gram, Beſoͤrgniß, Furcht, Grauſen, (Angſt, Bangigkeit,) Verzweifelung, ſind insgeſammt Arten betruͤbter Leidenſchaften, §. 309. deren Triebfedern wir uns undeutlich bewußt ſind, wodurch ſie ſich ſowohl von den Trie- ben, §. 263. 265. als auch urſpruͤnglich von den Affekten- trieben, §. 296. 298. unterſcheiden. Sie entwickeln ſich, wenn ſie ſich zur Staͤrke wahrer Leidenſchaften erheben, (S. §. 310.) nach den allgemeinen Geſetzen der Leiden- ſchaften. §. 94. 108. Jhre Seelenwirkungen ſind aus denen von einer ſinnlichen Unluſt und einer ſinnlichen, ver- worrenen Vorherſehung zuſammengeſetzet, §. 103. 257. 258. und ſie ſind groͤßtentheils nur blos den Graden nach von einander verſchieden.
§. 314.
Dieſe Leidenſchaften des Grams und aller Arten der Furcht haben zwar die Seelenwirkungen einer ſinnlichen Unluſt mit allen Arten betruͤbter Leidenſchaften gemein, §. 309. 313. allein der genaue Beobachter unterſcheidet ſie doch noch deutlich genug in jeder beſondern Art. §. 254. Der Puls iſt unnatuͤrlich veraͤndert, minder voll als natuͤr- lich, zitternd vom Herzklopfen, abwechſelnd in ſeiner Ge- ſchwindigkeit und Staͤrke, die Bruſt beaͤngſtiget, weil ſich das Blut in ihr anhaͤufet; die Geſichtsfarbe iſt blaß, die Glieder erkalten, die Haut ſchaudert, und oft erfolgen von der Beaͤngſtigung Ohnmachten, ja der Tod ſelbſt, wovon die Geſchichte viel Beyſpiele giebt. Alles dieſes ſind See- lenwirkungen der von der finnlichen Unluſt widernatuͤrlich veraͤnderten Lebensbewegungen, §. 259. indem vermuthlich ein unordentlicher Einfluß der Lebensgeiſter in die Nerven
des
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[309/0333]
der Leidenſchaften.
traurigen Begebenheiten, oder eine ſtarke ſinnliche Unluſt
uͤber vergangene Dinge erregen kann, iſt auch vermoͤgend,
die Leidenſchaft der Traurigkeit hervorzubringen. Dahin
gehoͤren Einſamkeit, Krankheiten, Ungluͤcksfaͤlle, oder Ge-
ſchichte von dergleichen, mancherley aͤußere Empfindungen,
u. ſ. w.
§. 313.
Gram, Beſoͤrgniß, Furcht, Grauſen, (Angſt,
Bangigkeit,) Verzweifelung, ſind insgeſammt Arten
betruͤbter Leidenſchaften, §. 309. deren Triebfedern wir uns
undeutlich bewußt ſind, wodurch ſie ſich ſowohl von den Trie-
ben, §. 263. 265. als auch urſpruͤnglich von den Affekten-
trieben, §. 296. 298. unterſcheiden. Sie entwickeln ſich,
wenn ſie ſich zur Staͤrke wahrer Leidenſchaften erheben,
(S. §. 310.) nach den allgemeinen Geſetzen der Leiden-
ſchaften. §. 94. 108. Jhre Seelenwirkungen ſind aus
denen von einer ſinnlichen Unluſt und einer ſinnlichen, ver-
worrenen Vorherſehung zuſammengeſetzet, §. 103. 257.
258. und ſie ſind groͤßtentheils nur blos den Graden nach
von einander verſchieden.
§. 314.
Dieſe Leidenſchaften des Grams und aller Arten der
Furcht haben zwar die Seelenwirkungen einer ſinnlichen
Unluſt mit allen Arten betruͤbter Leidenſchaften gemein, §.
309. 313. allein der genaue Beobachter unterſcheidet ſie
doch noch deutlich genug in jeder beſondern Art. §. 254.
Der Puls iſt unnatuͤrlich veraͤndert, minder voll als natuͤr-
lich, zitternd vom Herzklopfen, abwechſelnd in ſeiner Ge-
ſchwindigkeit und Staͤrke, die Bruſt beaͤngſtiget, weil ſich
das Blut in ihr anhaͤufet; die Geſichtsfarbe iſt blaß, die
Glieder erkalten, die Haut ſchaudert, und oft erfolgen von
der Beaͤngſtigung Ohnmachten, ja der Tod ſelbſt, wovon
die Geſchichte viel Beyſpiele giebt. Alles dieſes ſind See-
lenwirkungen der von der finnlichen Unluſt widernatuͤrlich
veraͤnderten Lebensbewegungen, §. 259. indem vermuthlich
ein unordentlicher Einfluß der Lebensgeiſter in die Nerven
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Unzer, Johann August: Erste Gründe einer Physiologie der eigentlichen thierischen Natur thierischer Körper. Leipzig, 1771, S. 309. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/unzer_erstegruende_1771/333>, abgerufen am 22.11.2024.
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