und da fast alle thierische Bewegungen der mechanischen Maschinen entweder Muskelbewegungen sind, oder durch Muskeln, oder wenigstens durch muskulöse Fäserchen be- werkstelliget werden; so scheinen sie, wiewohl fälschlich, §. 375. 377. den Muskeln und der Muskelfaser allein und für sich ursprünglich eigen zu seyn. Dieses hat wahrschein- licher Weise die neue Meynung in der Physiologie veran- lasset, zu welcher der sonst so genaue Beobachter, Herr v. Haller, den Grund geleget hat, daß die Muskelfaser für sich eine ursprüngliche thierische bewegende Kraft besitze, die er den Muskularreiz (die angeborne Kraft,) ge- nennet hat, H. P. §. 400. 402. und es ist, in dieser Ver- hältniß, sehr wichtig, aufs genaueste zu untersuchen, in wie weit diese Meynung gegründet sey, oder nicht.
§. 380.
Wenn man erweisen will, daß die Muskelfaser für sich eine angeborne thierische bewegende Kraft besitze, so muß man darthun, daß sie dieselbe ohne alles Zuthun und ohne allen Beystand andrer thierischer Maschinen und Kräfte in Wirkung setzen könne. Eine mögliche Art dieß zu erwei- sen, wäre die, daß man einen Muskel von allen thierischen Maschinen trennete, und dann doch noch eine thierische be- wegende Kraft in ihm zeigete. Da aber jeder Muskel seine Nerven hat, §. 161. folglich mit thierischen Maschi- nen zusammenhängt, die in ihn eindringen, und sich aufs Jnnigste, ja dergestalt mit ihm vereinigen, daß noch nie- mand ihre Zertheilung im Muskel bis an ihr Ende hat verfolgen können, vielmehr jene sich in diesem gänzlich ver- lieren, und gleichsam mit ihm ein Ganzes werden; §. 161. so ist es natürlicher Weise unmöglich, die Muskelfasern von ihren Nervenfasern zu trennen und auf solche Weise den Beweis zu führen. Wenn man also saget, es behalte ein Muskel seine thierische Kraft auch, nachdem sein Nerve von ihm getrennet worden, so müßte man nothwendig erst anzeigen, auf welche Art und Weise man diese Trennung bewerkstelliget habe.
§. 381.
II Th. Nervenkraͤfte.
und da faſt alle thieriſche Bewegungen der mechaniſchen Maſchinen entweder Muskelbewegungen ſind, oder durch Muskeln, oder wenigſtens durch muskuloͤſe Faͤſerchen be- werkſtelliget werden; ſo ſcheinen ſie, wiewohl faͤlſchlich, §. 375. 377. den Muskeln und der Muskelfaſer allein und fuͤr ſich urſpruͤnglich eigen zu ſeyn. Dieſes hat wahrſchein- licher Weiſe die neue Meynung in der Phyſiologie veran- laſſet, zu welcher der ſonſt ſo genaue Beobachter, Herr v. Haller, den Grund geleget hat, daß die Muskelfaſer fuͤr ſich eine urſpruͤngliche thieriſche bewegende Kraft beſitze, die er den Muskularreiz (die angeborne Kraft,) ge- nennet hat, H. P. §. 400. 402. und es iſt, in dieſer Ver- haͤltniß, ſehr wichtig, aufs genaueſte zu unterſuchen, in wie weit dieſe Meynung gegruͤndet ſey, oder nicht.
§. 380.
Wenn man erweiſen will, daß die Muskelfaſer fuͤr ſich eine angeborne thieriſche bewegende Kraft beſitze, ſo muß man darthun, daß ſie dieſelbe ohne alles Zuthun und ohne allen Beyſtand andrer thieriſcher Maſchinen und Kraͤfte in Wirkung ſetzen koͤnne. Eine moͤgliche Art dieß zu erwei- ſen, waͤre die, daß man einen Muskel von allen thieriſchen Maſchinen trennete, und dann doch noch eine thieriſche be- wegende Kraft in ihm zeigete. Da aber jeder Muskel ſeine Nerven hat, §. 161. folglich mit thieriſchen Maſchi- nen zuſammenhaͤngt, die in ihn eindringen, und ſich aufs Jnnigſte, ja dergeſtalt mit ihm vereinigen, daß noch nie- mand ihre Zertheilung im Muskel bis an ihr Ende hat verfolgen koͤnnen, vielmehr jene ſich in dieſem gaͤnzlich ver- lieren, und gleichſam mit ihm ein Ganzes werden; §. 161. ſo iſt es natuͤrlicher Weiſe unmoͤglich, die Muskelfaſern von ihren Nervenfaſern zu trennen und auf ſolche Weiſe den Beweis zu fuͤhren. Wenn man alſo ſaget, es behalte ein Muskel ſeine thieriſche Kraft auch, nachdem ſein Nerve von ihm getrennet worden, ſo muͤßte man nothwendig erſt anzeigen, auf welche Art und Weiſe man dieſe Trennung bewerkſtelliget habe.
§. 381.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0402"n="378"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b"><hirendition="#aq">II</hi> Th. Nervenkraͤfte.</hi></fw><lb/>
und da faſt alle thieriſche Bewegungen der mechaniſchen<lb/>
Maſchinen entweder Muskelbewegungen ſind, oder durch<lb/>
Muskeln, oder wenigſtens durch muskuloͤſe Faͤſerchen be-<lb/>
werkſtelliget werden; ſo ſcheinen ſie, wiewohl faͤlſchlich, §.<lb/>
375. 377. den Muskeln und der Muskelfaſer allein und<lb/>
fuͤr ſich urſpruͤnglich eigen zu ſeyn. Dieſes hat wahrſchein-<lb/>
licher Weiſe die neue Meynung in der Phyſiologie veran-<lb/>
laſſet, zu welcher der ſonſt ſo genaue Beobachter, Herr<lb/><hirendition="#fr">v. Haller,</hi> den Grund geleget hat, daß die Muskelfaſer<lb/>
fuͤr ſich eine urſpruͤngliche thieriſche bewegende Kraft beſitze,<lb/>
die er den <hirendition="#fr">Muskularreiz (die angeborne Kraft,)</hi> ge-<lb/>
nennet hat, <hirendition="#aq">H. P.</hi> §. 400. 402. und es iſt, in dieſer Ver-<lb/>
haͤltniß, ſehr wichtig, aufs genaueſte zu unterſuchen, in<lb/>
wie weit dieſe Meynung gegruͤndet ſey, oder nicht.</p></div><lb/><divn="3"><head>§. 380.</head><lb/><p>Wenn man erweiſen will, daß die Muskelfaſer fuͤr ſich<lb/>
eine angeborne thieriſche bewegende Kraft beſitze, ſo muß<lb/>
man darthun, daß ſie dieſelbe ohne alles Zuthun und ohne<lb/>
allen Beyſtand andrer thieriſcher Maſchinen und Kraͤfte in<lb/>
Wirkung ſetzen koͤnne. Eine moͤgliche Art dieß zu erwei-<lb/>ſen, waͤre die, daß man einen Muskel von allen thieriſchen<lb/>
Maſchinen trennete, und dann doch noch eine thieriſche be-<lb/>
wegende Kraft in ihm zeigete. Da aber jeder Muskel<lb/>ſeine Nerven hat, §. 161. folglich mit thieriſchen Maſchi-<lb/>
nen zuſammenhaͤngt, die in ihn eindringen, und ſich aufs<lb/>
Jnnigſte, ja dergeſtalt mit ihm vereinigen, daß noch nie-<lb/>
mand ihre Zertheilung im Muskel bis an ihr Ende hat<lb/>
verfolgen koͤnnen, vielmehr jene ſich in dieſem gaͤnzlich ver-<lb/>
lieren, und gleichſam mit ihm ein Ganzes werden; §. 161.<lb/>ſo iſt es natuͤrlicher Weiſe unmoͤglich, die Muskelfaſern<lb/>
von ihren Nervenfaſern zu trennen und auf ſolche Weiſe<lb/>
den Beweis zu fuͤhren. Wenn man alſo ſaget, es behalte<lb/>
ein Muskel ſeine thieriſche Kraft auch, nachdem ſein Nerve<lb/>
von ihm getrennet worden, ſo muͤßte man nothwendig erſt<lb/>
anzeigen, auf welche Art und Weiſe man dieſe Trennung<lb/>
bewerkſtelliget habe.</p></div><lb/><fwplace="bottom"type="catch">§. 381.</fw><lb/></div></div></body></text></TEI>
[378/0402]
II Th. Nervenkraͤfte.
und da faſt alle thieriſche Bewegungen der mechaniſchen
Maſchinen entweder Muskelbewegungen ſind, oder durch
Muskeln, oder wenigſtens durch muskuloͤſe Faͤſerchen be-
werkſtelliget werden; ſo ſcheinen ſie, wiewohl faͤlſchlich, §.
375. 377. den Muskeln und der Muskelfaſer allein und
fuͤr ſich urſpruͤnglich eigen zu ſeyn. Dieſes hat wahrſchein-
licher Weiſe die neue Meynung in der Phyſiologie veran-
laſſet, zu welcher der ſonſt ſo genaue Beobachter, Herr
v. Haller, den Grund geleget hat, daß die Muskelfaſer
fuͤr ſich eine urſpruͤngliche thieriſche bewegende Kraft beſitze,
die er den Muskularreiz (die angeborne Kraft,) ge-
nennet hat, H. P. §. 400. 402. und es iſt, in dieſer Ver-
haͤltniß, ſehr wichtig, aufs genaueſte zu unterſuchen, in
wie weit dieſe Meynung gegruͤndet ſey, oder nicht.
§. 380.
Wenn man erweiſen will, daß die Muskelfaſer fuͤr ſich
eine angeborne thieriſche bewegende Kraft beſitze, ſo muß
man darthun, daß ſie dieſelbe ohne alles Zuthun und ohne
allen Beyſtand andrer thieriſcher Maſchinen und Kraͤfte in
Wirkung ſetzen koͤnne. Eine moͤgliche Art dieß zu erwei-
ſen, waͤre die, daß man einen Muskel von allen thieriſchen
Maſchinen trennete, und dann doch noch eine thieriſche be-
wegende Kraft in ihm zeigete. Da aber jeder Muskel
ſeine Nerven hat, §. 161. folglich mit thieriſchen Maſchi-
nen zuſammenhaͤngt, die in ihn eindringen, und ſich aufs
Jnnigſte, ja dergeſtalt mit ihm vereinigen, daß noch nie-
mand ihre Zertheilung im Muskel bis an ihr Ende hat
verfolgen koͤnnen, vielmehr jene ſich in dieſem gaͤnzlich ver-
lieren, und gleichſam mit ihm ein Ganzes werden; §. 161.
ſo iſt es natuͤrlicher Weiſe unmoͤglich, die Muskelfaſern
von ihren Nervenfaſern zu trennen und auf ſolche Weiſe
den Beweis zu fuͤhren. Wenn man alſo ſaget, es behalte
ein Muskel ſeine thieriſche Kraft auch, nachdem ſein Nerve
von ihm getrennet worden, ſo muͤßte man nothwendig erſt
anzeigen, auf welche Art und Weiſe man dieſe Trennung
bewerkſtelliget habe.
§. 381.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Unzer, Johann August: Erste Gründe einer Physiologie der eigentlichen thierischen Natur thierischer Körper. Leipzig, 1771, S. 378. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/unzer_erstegruende_1771/402>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.