Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Unzer, Johann August: Erste Gründe einer Physiologie der eigentlichen thierischen Natur thierischer Körper. Leipzig, 1771.

Bild:
<< vorherige Seite

1 Abschn. überhaupt.
§. 39. so können auch alle diese äußern sinnlichen Eindrü-
cke ihre Nervenwirkungen im thierischen Körper zugleich
verrichten, ohne daß einer den andern hindern sollte. Die
Erfahrung beweist dieses an enthaupteten Thieren: denn
wenn man ihre Gedärme, ihre Muskeln, ihr Herz zugleich
reizet, so erfolgen die thierischen Wirkungen davon in al-
len zugleich eben so gewiß, als wenn man nur jedes allein
reizet.

§. 413.

So wenig man die verschiedenen Arten der äußern sinn-
lichen Eindrücke nach der Verschiedenheit der äußern Em-
pfindungen bestimmen kann, §. 40. 41. eben so wenig
kann solches aus ihren verschiedenen Nervenwirkungen ge-
schehen. Mithin kann oft ein Reiz seyn, wo wir keinen
finden, oder den wir nicht dafür halten, und hierinn liegen
alle Geheimnisse der Jdiosyncrasie verborgen. §. 52. Das
Herz wird vom Blute, die Harnblase vom Wasser, die
Gedärme von Luft mehr als von andern schärfern Dingen
thierisch gereizet. H. P. §. 402. Ein Reiz, von dem man
glauben sollte, daß er die Nerven weit stärker angreifen
müsse, als ein andrer, thut oft weniger, und dieser weit
größere Wirkung; viele reizbare Theile verändern sich nicht,
wenn man sie mit den schärfsten chymischen Geistern berüh-
ret, da sie doch die Berührung einer Nadelspitze convulsi-
visch beweget; das Spießglas, das die Augen nicht an-
greift, zwingt doch den Magen zum Erbrechen; und es ist
also unmöglich aus der Art des Reizes, nach physischen oder
mechanischen Gesetzen zu schließen, was für Nervenwir-
kungen sie verrichten werden; sondern man muß hier die
blos thierischen Gesetze, denen diese Wirkungen folgen, aus
der Erfahrung allein bestimmen lernen.

§. 414.

Nicht jeder Eindruck in die Nervenspitzen ist sinnlich;
sondern nur ein solcher, der thierische Wirkungen hervor-
bringt. §. 31. 32. Wenn er also das Mark des Nerven

nicht
C c 5

1 Abſchn. uͤberhaupt.
§. 39. ſo koͤnnen auch alle dieſe aͤußern ſinnlichen Eindruͤ-
cke ihre Nervenwirkungen im thieriſchen Koͤrper zugleich
verrichten, ohne daß einer den andern hindern ſollte. Die
Erfahrung beweiſt dieſes an enthaupteten Thieren: denn
wenn man ihre Gedaͤrme, ihre Muskeln, ihr Herz zugleich
reizet, ſo erfolgen die thieriſchen Wirkungen davon in al-
len zugleich eben ſo gewiß, als wenn man nur jedes allein
reizet.

§. 413.

So wenig man die verſchiedenen Arten der aͤußern ſinn-
lichen Eindruͤcke nach der Verſchiedenheit der aͤußern Em-
pfindungen beſtimmen kann, §. 40. 41. eben ſo wenig
kann ſolches aus ihren verſchiedenen Nervenwirkungen ge-
ſchehen. Mithin kann oft ein Reiz ſeyn, wo wir keinen
finden, oder den wir nicht dafuͤr halten, und hierinn liegen
alle Geheimniſſe der Jdioſyncraſie verborgen. §. 52. Das
Herz wird vom Blute, die Harnblaſe vom Waſſer, die
Gedaͤrme von Luft mehr als von andern ſchaͤrfern Dingen
thieriſch gereizet. H. P. §. 402. Ein Reiz, von dem man
glauben ſollte, daß er die Nerven weit ſtaͤrker angreifen
muͤſſe, als ein andrer, thut oft weniger, und dieſer weit
groͤßere Wirkung; viele reizbare Theile veraͤndern ſich nicht,
wenn man ſie mit den ſchaͤrfſten chymiſchen Geiſtern beruͤh-
ret, da ſie doch die Beruͤhrung einer Nadelſpitze convulſi-
viſch beweget; das Spießglas, das die Augen nicht an-
greift, zwingt doch den Magen zum Erbrechen; und es iſt
alſo unmoͤglich aus der Art des Reizes, nach phyſiſchen oder
mechaniſchen Geſetzen zu ſchließen, was fuͤr Nervenwir-
kungen ſie verrichten werden; ſondern man muß hier die
blos thieriſchen Geſetze, denen dieſe Wirkungen folgen, aus
der Erfahrung allein beſtimmen lernen.

§. 414.

Nicht jeder Eindruck in die Nervenſpitzen iſt ſinnlich;
ſondern nur ein ſolcher, der thieriſche Wirkungen hervor-
bringt. §. 31. 32. Wenn er alſo das Mark des Nerven

nicht
C c 5
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0433" n="409"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">1 Ab&#x017F;chn. u&#x0364;berhaupt.</hi></fw><lb/>
§. 39. &#x017F;o ko&#x0364;nnen auch alle die&#x017F;e a&#x0364;ußern &#x017F;innlichen Eindru&#x0364;-<lb/>
cke ihre Nervenwirkungen im thieri&#x017F;chen Ko&#x0364;rper zugleich<lb/>
verrichten, ohne daß einer den andern hindern &#x017F;ollte. Die<lb/>
Erfahrung bewei&#x017F;t die&#x017F;es an enthaupteten Thieren: denn<lb/>
wenn man ihre Geda&#x0364;rme, ihre Muskeln, ihr Herz zugleich<lb/>
reizet, &#x017F;o erfolgen die thieri&#x017F;chen Wirkungen davon in al-<lb/>
len zugleich eben &#x017F;o gewiß, als wenn man nur jedes allein<lb/>
reizet.</p>
            </div><lb/>
            <div n="4">
              <head>§. 413.</head><lb/>
              <p>So wenig man die ver&#x017F;chiedenen Arten der a&#x0364;ußern &#x017F;inn-<lb/>
lichen Eindru&#x0364;cke nach der Ver&#x017F;chiedenheit der a&#x0364;ußern Em-<lb/>
pfindungen be&#x017F;timmen kann, §. 40. 41. eben &#x017F;o wenig<lb/>
kann &#x017F;olches aus ihren ver&#x017F;chiedenen Nervenwirkungen ge-<lb/>
&#x017F;chehen. Mithin kann oft ein Reiz &#x017F;eyn, wo wir keinen<lb/>
finden, oder den wir nicht dafu&#x0364;r halten, und hierinn liegen<lb/>
alle Geheimni&#x017F;&#x017F;e der Jdio&#x017F;yncra&#x017F;ie verborgen. §. 52. Das<lb/>
Herz wird vom Blute, die Harnbla&#x017F;e vom Wa&#x017F;&#x017F;er, die<lb/>
Geda&#x0364;rme von Luft mehr als von andern &#x017F;cha&#x0364;rfern Dingen<lb/>
thieri&#x017F;ch gereizet. <hi rendition="#aq">H. P.</hi> §. 402. Ein Reiz, von dem man<lb/>
glauben &#x017F;ollte, daß er die Nerven weit &#x017F;ta&#x0364;rker angreifen<lb/>
mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e, als ein andrer, thut oft weniger, und die&#x017F;er weit<lb/>
gro&#x0364;ßere Wirkung; viele reizbare Theile vera&#x0364;ndern &#x017F;ich nicht,<lb/>
wenn man &#x017F;ie mit den &#x017F;cha&#x0364;rf&#x017F;ten chymi&#x017F;chen Gei&#x017F;tern beru&#x0364;h-<lb/>
ret, da &#x017F;ie doch die Beru&#x0364;hrung einer Nadel&#x017F;pitze convul&#x017F;i-<lb/>
vi&#x017F;ch beweget; das Spießglas, das die Augen nicht an-<lb/>
greift, zwingt doch den Magen zum Erbrechen; und es i&#x017F;t<lb/>
al&#x017F;o unmo&#x0364;glich aus der Art des Reizes, nach phy&#x017F;i&#x017F;chen oder<lb/>
mechani&#x017F;chen Ge&#x017F;etzen zu &#x017F;chließen, was fu&#x0364;r Nervenwir-<lb/>
kungen &#x017F;ie verrichten werden; &#x017F;ondern man muß hier die<lb/>
blos thieri&#x017F;chen Ge&#x017F;etze, denen die&#x017F;e Wirkungen folgen, aus<lb/>
der Erfahrung allein be&#x017F;timmen lernen.</p>
            </div><lb/>
            <div n="4">
              <head>§. 414.</head><lb/>
              <p>Nicht jeder Eindruck in die Nerven&#x017F;pitzen i&#x017F;t &#x017F;innlich;<lb/>
&#x017F;ondern nur ein &#x017F;olcher, der thieri&#x017F;che Wirkungen hervor-<lb/>
bringt. §. 31. 32. Wenn er al&#x017F;o das Mark des Nerven<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">C c 5</fw><fw place="bottom" type="catch">nicht</fw><lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[409/0433] 1 Abſchn. uͤberhaupt. §. 39. ſo koͤnnen auch alle dieſe aͤußern ſinnlichen Eindruͤ- cke ihre Nervenwirkungen im thieriſchen Koͤrper zugleich verrichten, ohne daß einer den andern hindern ſollte. Die Erfahrung beweiſt dieſes an enthaupteten Thieren: denn wenn man ihre Gedaͤrme, ihre Muskeln, ihr Herz zugleich reizet, ſo erfolgen die thieriſchen Wirkungen davon in al- len zugleich eben ſo gewiß, als wenn man nur jedes allein reizet. §. 413. So wenig man die verſchiedenen Arten der aͤußern ſinn- lichen Eindruͤcke nach der Verſchiedenheit der aͤußern Em- pfindungen beſtimmen kann, §. 40. 41. eben ſo wenig kann ſolches aus ihren verſchiedenen Nervenwirkungen ge- ſchehen. Mithin kann oft ein Reiz ſeyn, wo wir keinen finden, oder den wir nicht dafuͤr halten, und hierinn liegen alle Geheimniſſe der Jdioſyncraſie verborgen. §. 52. Das Herz wird vom Blute, die Harnblaſe vom Waſſer, die Gedaͤrme von Luft mehr als von andern ſchaͤrfern Dingen thieriſch gereizet. H. P. §. 402. Ein Reiz, von dem man glauben ſollte, daß er die Nerven weit ſtaͤrker angreifen muͤſſe, als ein andrer, thut oft weniger, und dieſer weit groͤßere Wirkung; viele reizbare Theile veraͤndern ſich nicht, wenn man ſie mit den ſchaͤrfſten chymiſchen Geiſtern beruͤh- ret, da ſie doch die Beruͤhrung einer Nadelſpitze convulſi- viſch beweget; das Spießglas, das die Augen nicht an- greift, zwingt doch den Magen zum Erbrechen; und es iſt alſo unmoͤglich aus der Art des Reizes, nach phyſiſchen oder mechaniſchen Geſetzen zu ſchließen, was fuͤr Nervenwir- kungen ſie verrichten werden; ſondern man muß hier die blos thieriſchen Geſetze, denen dieſe Wirkungen folgen, aus der Erfahrung allein beſtimmen lernen. §. 414. Nicht jeder Eindruck in die Nervenſpitzen iſt ſinnlich; ſondern nur ein ſolcher, der thieriſche Wirkungen hervor- bringt. §. 31. 32. Wenn er alſo das Mark des Nerven nicht C c 5

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/unzer_erstegruende_1771
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/unzer_erstegruende_1771/433
Zitationshilfe: Unzer, Johann August: Erste Gründe einer Physiologie der eigentlichen thierischen Natur thierischer Körper. Leipzig, 1771, S. 409. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/unzer_erstegruende_1771/433>, abgerufen am 22.11.2024.