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Unzer, Johann August: Erste Gründe einer Physiologie der eigentlichen thierischen Natur thierischer Körper. Leipzig, 1771.

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I Th. Thierische Seelenkräfte.
"standtheile dieses flüssigen Wesens ist noch ungewiß. Vie-
"le, insonderheit neuere Schriftsteller, hielten sie für ent-
"weder vollkommen hart, oder elastisch, für ätherisch, oder
"endlich für elecktrisch; und andre glaubten, die Geister
"seyn wässerig, ließen sich nicht zusammendrücken, und hät-
"ten etwas dem Eyweiße Aehnliches. Allein es ist nicht
"zu läugnen, daß vieles uns verhindert, eine von diesen
"Meynungen anzunehmen. Die elecktrische Materie ist
"zwar kräftig und fähig, die stärksten Bewegungen hervor-
"zubringen: allein sie läßt sich nicht in die Nerven ein-
"schliessen, sondern durchdringet den ganzen Körper, und
"erfüllt sowohl die Muskeln und das Fett, als die Nerven
"mit ihrer Kraft. Nun aber sehen wir in einem lebenden
"Thiere, auf eine angebrachte Reizung, nur die Nerven,
"oder diejenigen Theile zittern, die mit Nerven begabt sind;
"folglich muß das flüssige Wesen, das durch die Nerven
"fließt, so beschaffen seyn, daß es in den Röhren derselben
"allein kann eingeschlossen werden. Ein unterbundener
"Nerve hebt auch die Empfindung und die Bewegung auf,
"da hingegen der elecktrische Strom dadurch nicht aufgehal-
"ten wird." H. P. §. 379. "Das wässerige und dem Ey-
"weiße ähnliche Wasser ist allen Säften des Menschen ge-
"mein, und man könnte leicht glauben, daß es auch im
"Nervensafte zugegen wäre, aus dem Beyspiele des Was-
"sers, das in den Hölen des Gehirns ausdünstet, und aus
"eben denselben Gefäßen entspringet, die den Nervensaft ab-
"scheiden. Hieher gehöret auch das ähnliche Beyspiel des
"gallerigten Safts, der aus den zerschnittenen Gehirnen
"der Fische oder größern Nerven der Thiere herausfließt,
"und das Aufschwellen unterbundener Nerven. Allein, ist
"eine wässerige Gallert auch fähig, die erstaunenden Wir-
"kungen gereizter Nerven zu bewirken, die sich in den Zer-
"gliederungen lebender, auch so gar der kleinsten Thiere zei-
"gen, und die Kräfte der Rasenden und mit Mutterbe-
"schwerden Behafteten zu erklären? Dient hierzu etwas
"das hydrostatische Beyspiel der Haarröhrchen? das zwar

"die

I Th. Thieriſche Seelenkraͤfte.
„ſtandtheile dieſes fluͤſſigen Weſens iſt noch ungewiß. Vie-
„le, inſonderheit neuere Schriftſteller, hielten ſie fuͤr ent-
„weder vollkommen hart, oder elaſtiſch, fuͤr aͤtheriſch, oder
„endlich fuͤr elecktriſch; und andre glaubten, die Geiſter
„ſeyn waͤſſerig, ließen ſich nicht zuſammendruͤcken, und haͤt-
„ten etwas dem Eyweiße Aehnliches. Allein es iſt nicht
„zu laͤugnen, daß vieles uns verhindert, eine von dieſen
„Meynungen anzunehmen. Die elecktriſche Materie iſt
„zwar kraͤftig und faͤhig, die ſtaͤrkſten Bewegungen hervor-
„zubringen: allein ſie laͤßt ſich nicht in die Nerven ein-
„ſchlieſſen, ſondern durchdringet den ganzen Koͤrper, und
„erfuͤllt ſowohl die Muskeln und das Fett, als die Nerven
„mit ihrer Kraft. Nun aber ſehen wir in einem lebenden
„Thiere, auf eine angebrachte Reizung, nur die Nerven,
„oder diejenigen Theile zittern, die mit Nerven begabt ſind;
„folglich muß das fluͤſſige Weſen, das durch die Nerven
„fließt, ſo beſchaffen ſeyn, daß es in den Roͤhren derſelben
„allein kann eingeſchloſſen werden. Ein unterbundener
„Nerve hebt auch die Empfindung und die Bewegung auf,
„da hingegen der elecktriſche Strom dadurch nicht aufgehal-
„ten wird.“ H. P. §. 379. „Das waͤſſerige und dem Ey-
„weiße aͤhnliche Waſſer iſt allen Saͤften des Menſchen ge-
„mein, und man koͤnnte leicht glauben, daß es auch im
„Nervenſafte zugegen waͤre, aus dem Beyſpiele des Waſ-
„ſers, das in den Hoͤlen des Gehirns ausduͤnſtet, und aus
„eben denſelben Gefaͤßen entſpringet, die den Nervenſaft ab-
„ſcheiden. Hieher gehoͤret auch das aͤhnliche Beyſpiel des
„gallerigten Safts, der aus den zerſchnittenen Gehirnen
„der Fiſche oder groͤßern Nerven der Thiere herausfließt,
„und das Aufſchwellen unterbundener Nerven. Allein, iſt
„eine waͤſſerige Gallert auch faͤhig, die erſtaunenden Wir-
„kungen gereizter Nerven zu bewirken, die ſich in den Zer-
„gliederungen lebender, auch ſo gar der kleinſten Thiere zei-
„gen, und die Kraͤfte der Raſenden und mit Mutterbe-
„ſchwerden Behafteten zu erklaͤren? Dient hierzu etwas
„das hydroſtatiſche Beyſpiel der Haarroͤhrchen? das zwar

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[22/0046] I Th. Thieriſche Seelenkraͤfte. „ſtandtheile dieſes fluͤſſigen Weſens iſt noch ungewiß. Vie- „le, inſonderheit neuere Schriftſteller, hielten ſie fuͤr ent- „weder vollkommen hart, oder elaſtiſch, fuͤr aͤtheriſch, oder „endlich fuͤr elecktriſch; und andre glaubten, die Geiſter „ſeyn waͤſſerig, ließen ſich nicht zuſammendruͤcken, und haͤt- „ten etwas dem Eyweiße Aehnliches. Allein es iſt nicht „zu laͤugnen, daß vieles uns verhindert, eine von dieſen „Meynungen anzunehmen. Die elecktriſche Materie iſt „zwar kraͤftig und faͤhig, die ſtaͤrkſten Bewegungen hervor- „zubringen: allein ſie laͤßt ſich nicht in die Nerven ein- „ſchlieſſen, ſondern durchdringet den ganzen Koͤrper, und „erfuͤllt ſowohl die Muskeln und das Fett, als die Nerven „mit ihrer Kraft. Nun aber ſehen wir in einem lebenden „Thiere, auf eine angebrachte Reizung, nur die Nerven, „oder diejenigen Theile zittern, die mit Nerven begabt ſind; „folglich muß das fluͤſſige Weſen, das durch die Nerven „fließt, ſo beſchaffen ſeyn, daß es in den Roͤhren derſelben „allein kann eingeſchloſſen werden. Ein unterbundener „Nerve hebt auch die Empfindung und die Bewegung auf, „da hingegen der elecktriſche Strom dadurch nicht aufgehal- „ten wird.“ H. P. §. 379. „Das waͤſſerige und dem Ey- „weiße aͤhnliche Waſſer iſt allen Saͤften des Menſchen ge- „mein, und man koͤnnte leicht glauben, daß es auch im „Nervenſafte zugegen waͤre, aus dem Beyſpiele des Waſ- „ſers, das in den Hoͤlen des Gehirns ausduͤnſtet, und aus „eben denſelben Gefaͤßen entſpringet, die den Nervenſaft ab- „ſcheiden. Hieher gehoͤret auch das aͤhnliche Beyſpiel des „gallerigten Safts, der aus den zerſchnittenen Gehirnen „der Fiſche oder groͤßern Nerven der Thiere herausfließt, „und das Aufſchwellen unterbundener Nerven. Allein, iſt „eine waͤſſerige Gallert auch faͤhig, die erſtaunenden Wir- „kungen gereizter Nerven zu bewirken, die ſich in den Zer- „gliederungen lebender, auch ſo gar der kleinſten Thiere zei- „gen, und die Kraͤfte der Raſenden und mit Mutterbe- „ſchwerden Behafteten zu erklaͤren? Dient hierzu etwas „das hydroſtatiſche Beyſpiel der Haarroͤhrchen? das zwar „die

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Zitationshilfe: Unzer, Johann August: Erste Gründe einer Physiologie der eigentlichen thierischen Natur thierischer Körper. Leipzig, 1771, S. 22. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/unzer_erstegruende_1771/46>, abgerufen am 27.04.2024.