Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Unzer, Johann August: Erste Gründe einer Physiologie der eigentlichen thierischen Natur thierischer Körper. Leipzig, 1771.

Bild:
<< vorherige Seite

II Th. Nervenkr. 4 K. Verh. zu den th. Seelenkr.
laßten Furcht durch seine bloße Nervenkraft ersetzen, da so
viel willkührliche Vorstellungen die Seelenwirkungen seiner
Leidenschaft durch stets verwechselte Vorhersehungen ändern,
und die äußere Empfindung nichts dazu beyträgt, als daß
sie den Willkühr der Vorstellungskraft in Wirkung gesetzet
hat. Hierdurch ist diese letzte Leidenschaft unstreitig so weit
von der ersten Empfindung des Schlages geschieden, daß
man die Furcht beym Hunde offenbar der äußern Empfin-
dung viel näher verwandt finden muß, ob sie gleich in bey-
den Fällen eine wahre Leidenschaft ist. Der Unterschied
der Entstehungsart beyder Leidenschaften bestimmet zugleich
die ganz verschiedenen Seelenwirkungen derselben, wovon
die beym Menschen nicht, wie die beym Hunde, zunächst
von der äußern Empfindung, sondern von andern sinnli-
chen Vorstellungen, die die Seele der Empfindung blos
nach psychologischen Gesetzen willkührlich beygesellet hat,
abhängen, §. 315. und so können die Seelenwirkungen
der beym Hunde allerdings durch die bloße Nervenkraft
des äußern sinnlichen Eindrucks dieser Empfindung als
Nervenwirkungen erreget werden, die des Menschen
aber nicht.

§. 568.

Aus Allem, was bisher erkläret worden, §. 563 --
567. erhellet also:

1. daß die Seelenwirkungen der Leidenschaften durch
die Nervenkräfte allein überhaupt ersetzet werden können.
§. 563.

2. daß aber eben dieselben äußern sinnlichen Eindrü-
cke, welche durch ihre äußere Empfindung jede Leidenschaft,
es sey so weither als es wolle, veranlassen, §. 66. 90. nur
in so fern die Seelenwirkungen der letztern durch ihre Ner-
venkraft allein ersetzen können, als diese Seelenwirkungen,
ob sie gleich immer nur zufällige der äußern Empfindung
sind, §. 98. N. 3. nicht von solchen sinnlichen Zwischen-
vorstellungen hervorgebracht werden, die sich auf ganz

andre

II Th. Nervenkr. 4 K. Verh. zu den th. Seelenkr.
laßten Furcht durch ſeine bloße Nervenkraft erſetzen, da ſo
viel willkuͤhrliche Vorſtellungen die Seelenwirkungen ſeiner
Leidenſchaft durch ſtets verwechſelte Vorherſehungen aͤndern,
und die aͤußere Empfindung nichts dazu beytraͤgt, als daß
ſie den Willkuͤhr der Vorſtellungskraft in Wirkung geſetzet
hat. Hierdurch iſt dieſe letzte Leidenſchaft unſtreitig ſo weit
von der erſten Empfindung des Schlages geſchieden, daß
man die Furcht beym Hunde offenbar der aͤußern Empfin-
dung viel naͤher verwandt finden muß, ob ſie gleich in bey-
den Faͤllen eine wahre Leidenſchaft iſt. Der Unterſchied
der Entſtehungsart beyder Leidenſchaften beſtimmet zugleich
die ganz verſchiedenen Seelenwirkungen derſelben, wovon
die beym Menſchen nicht, wie die beym Hunde, zunaͤchſt
von der aͤußern Empfindung, ſondern von andern ſinnli-
chen Vorſtellungen, die die Seele der Empfindung blos
nach pſychologiſchen Geſetzen willkuͤhrlich beygeſellet hat,
abhaͤngen, §. 315. und ſo koͤnnen die Seelenwirkungen
der beym Hunde allerdings durch die bloße Nervenkraft
des aͤußern ſinnlichen Eindrucks dieſer Empfindung als
Nervenwirkungen erreget werden, die des Menſchen
aber nicht.

§. 568.

Aus Allem, was bisher erklaͤret worden, §. 563 —
567. erhellet alſo:

1. daß die Seelenwirkungen der Leidenſchaften durch
die Nervenkraͤfte allein uͤberhaupt erſetzet werden koͤnnen.
§. 563.

2. daß aber eben dieſelben aͤußern ſinnlichen Eindruͤ-
cke, welche durch ihre aͤußere Empfindung jede Leidenſchaft,
es ſey ſo weither als es wolle, veranlaſſen, §. 66. 90. nur
in ſo fern die Seelenwirkungen der letztern durch ihre Ner-
venkraft allein erſetzen koͤnnen, als dieſe Seelenwirkungen,
ob ſie gleich immer nur zufaͤllige der aͤußern Empfindung
ſind, §. 98. N. 3. nicht von ſolchen ſinnlichen Zwiſchen-
vorſtellungen hervorgebracht werden, die ſich auf ganz

andre
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0596" n="572"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b"><hi rendition="#aq">II</hi> Th. Nervenkr. 4 K. Verh. zu den th. Seelenkr.</hi></fw><lb/>
laßten Furcht durch &#x017F;eine bloße Nervenkraft er&#x017F;etzen, da &#x017F;o<lb/>
viel willku&#x0364;hrliche Vor&#x017F;tellungen die Seelenwirkungen &#x017F;einer<lb/>
Leiden&#x017F;chaft durch &#x017F;tets verwech&#x017F;elte Vorher&#x017F;ehungen a&#x0364;ndern,<lb/>
und die a&#x0364;ußere Empfindung nichts dazu beytra&#x0364;gt, als daß<lb/>
&#x017F;ie den Willku&#x0364;hr der Vor&#x017F;tellungskraft in Wirkung ge&#x017F;etzet<lb/>
hat. Hierdurch i&#x017F;t die&#x017F;e letzte Leiden&#x017F;chaft un&#x017F;treitig &#x017F;o weit<lb/>
von der er&#x017F;ten Empfindung des Schlages ge&#x017F;chieden, daß<lb/>
man die Furcht beym Hunde offenbar der a&#x0364;ußern Empfin-<lb/>
dung viel na&#x0364;her verwandt finden muß, ob &#x017F;ie gleich in bey-<lb/>
den Fa&#x0364;llen eine wahre Leiden&#x017F;chaft i&#x017F;t. Der Unter&#x017F;chied<lb/>
der Ent&#x017F;tehungsart beyder Leiden&#x017F;chaften be&#x017F;timmet zugleich<lb/>
die ganz ver&#x017F;chiedenen Seelenwirkungen der&#x017F;elben, wovon<lb/>
die beym Men&#x017F;chen nicht, wie die beym Hunde, zuna&#x0364;ch&#x017F;t<lb/>
von der a&#x0364;ußern Empfindung, &#x017F;ondern von andern &#x017F;innli-<lb/>
chen Vor&#x017F;tellungen, die die Seele der Empfindung blos<lb/>
nach p&#x017F;ychologi&#x017F;chen Ge&#x017F;etzen willku&#x0364;hrlich beyge&#x017F;ellet hat,<lb/>
abha&#x0364;ngen, §. 315. und &#x017F;o ko&#x0364;nnen die Seelenwirkungen<lb/>
der beym Hunde allerdings durch die bloße Nervenkraft<lb/>
des a&#x0364;ußern &#x017F;innlichen Eindrucks die&#x017F;er Empfindung als<lb/>
Nervenwirkungen erreget werden, die des Men&#x017F;chen<lb/>
aber nicht.</p>
            </div><lb/>
            <div n="4">
              <head>§. 568.</head><lb/>
              <p>Aus Allem, was bisher erkla&#x0364;ret worden, §. 563 &#x2014;<lb/>
567. erhellet al&#x017F;o:</p><lb/>
              <p>1. daß die Seelenwirkungen der Leiden&#x017F;chaften durch<lb/>
die Nervenkra&#x0364;fte allein u&#x0364;berhaupt er&#x017F;etzet werden ko&#x0364;nnen.<lb/>
§. 563.</p><lb/>
              <p>2. daß aber eben die&#x017F;elben a&#x0364;ußern &#x017F;innlichen Eindru&#x0364;-<lb/>
cke, welche durch ihre a&#x0364;ußere Empfindung jede Leiden&#x017F;chaft,<lb/>
es &#x017F;ey &#x017F;o weither als es wolle, veranla&#x017F;&#x017F;en, §. 66. 90. nur<lb/>
in &#x017F;o fern die Seelenwirkungen der letztern durch ihre Ner-<lb/>
venkraft allein er&#x017F;etzen ko&#x0364;nnen, als die&#x017F;e Seelenwirkungen,<lb/>
ob &#x017F;ie gleich immer nur zufa&#x0364;llige der a&#x0364;ußern Empfindung<lb/>
&#x017F;ind, §. 98. <hi rendition="#aq">N.</hi> 3. nicht von &#x017F;olchen &#x017F;innlichen Zwi&#x017F;chen-<lb/>
vor&#x017F;tellungen hervorgebracht werden, die &#x017F;ich auf ganz<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">andre</fw><lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[572/0596] II Th. Nervenkr. 4 K. Verh. zu den th. Seelenkr. laßten Furcht durch ſeine bloße Nervenkraft erſetzen, da ſo viel willkuͤhrliche Vorſtellungen die Seelenwirkungen ſeiner Leidenſchaft durch ſtets verwechſelte Vorherſehungen aͤndern, und die aͤußere Empfindung nichts dazu beytraͤgt, als daß ſie den Willkuͤhr der Vorſtellungskraft in Wirkung geſetzet hat. Hierdurch iſt dieſe letzte Leidenſchaft unſtreitig ſo weit von der erſten Empfindung des Schlages geſchieden, daß man die Furcht beym Hunde offenbar der aͤußern Empfin- dung viel naͤher verwandt finden muß, ob ſie gleich in bey- den Faͤllen eine wahre Leidenſchaft iſt. Der Unterſchied der Entſtehungsart beyder Leidenſchaften beſtimmet zugleich die ganz verſchiedenen Seelenwirkungen derſelben, wovon die beym Menſchen nicht, wie die beym Hunde, zunaͤchſt von der aͤußern Empfindung, ſondern von andern ſinnli- chen Vorſtellungen, die die Seele der Empfindung blos nach pſychologiſchen Geſetzen willkuͤhrlich beygeſellet hat, abhaͤngen, §. 315. und ſo koͤnnen die Seelenwirkungen der beym Hunde allerdings durch die bloße Nervenkraft des aͤußern ſinnlichen Eindrucks dieſer Empfindung als Nervenwirkungen erreget werden, die des Menſchen aber nicht. §. 568. Aus Allem, was bisher erklaͤret worden, §. 563 — 567. erhellet alſo: 1. daß die Seelenwirkungen der Leidenſchaften durch die Nervenkraͤfte allein uͤberhaupt erſetzet werden koͤnnen. §. 563. 2. daß aber eben dieſelben aͤußern ſinnlichen Eindruͤ- cke, welche durch ihre aͤußere Empfindung jede Leidenſchaft, es ſey ſo weither als es wolle, veranlaſſen, §. 66. 90. nur in ſo fern die Seelenwirkungen der letztern durch ihre Ner- venkraft allein erſetzen koͤnnen, als dieſe Seelenwirkungen, ob ſie gleich immer nur zufaͤllige der aͤußern Empfindung ſind, §. 98. N. 3. nicht von ſolchen ſinnlichen Zwiſchen- vorſtellungen hervorgebracht werden, die ſich auf ganz andre

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/unzer_erstegruende_1771
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/unzer_erstegruende_1771/596
Zitationshilfe: Unzer, Johann August: Erste Gründe einer Physiologie der eigentlichen thierischen Natur thierischer Körper. Leipzig, 1771, S. 572. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/unzer_erstegruende_1771/596>, abgerufen am 25.11.2024.