Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Unzer, Johann August: Erste Gründe einer Physiologie der eigentlichen thierischen Natur thierischer Körper. Leipzig, 1771.

Bild:
<< vorherige Seite

2 Kap. Hauptgattungen existirender Thiere.
"und aus sich selbst willkührlich handeln: mithin müssen sie
"Vorstellungen haben, die sie dazu bewegen." Allein
diese selbstthätigen Handlungen können durch ursprüngliche
innere sinnliche Eindrücke ohne Vorstellungen vollkommen
ersetzet werden, §. 609. 623. N. 4. und doch wird man
schwerlich erweisen können, daß dergleichen Thiere solche
ohne Veranlassung äußerer sinnlicher Eindrücke verrichten
sollten. Wenn ein stillliegendes Thier sich wieder reget,
wenn sich eins aufmachet, als ob es Nahrung suchen woll-
te, wenn sichs wieder wegbegiebt, nachdem es keine gefun-
den, oder sich gesättiget hat, so wird man leicht, entweder
auswendig oder innwendig in ihm, einen äußern sinnlichen
Eindruck errathen können, der es zu handeln antreibt. (z.
E. §. 553.)

6. "Jedoch viele von diesen Thieren handeln gesell-
"schaftlich, in Gemeinschaft und zu einem Hauptzwecke;
"folglich nach Absichten; z. E. die Ameisen, Bienen, u. a.
"Sie unterstützen einander in ihrer gemeinschaftlichen Ar-
"beit, weichen einander aus, um sich nicht zu hindern, be-
"kriegen ihre Feinde, nehmen einander die Bürden ab,
"oder scheinen sich in Gefahren zu benachrichtigen, u. s. w."
Dieß ist in der That das Stärkste, was man für die See-
len solcher Thiere sagen kann. Jndessen überlege man oh-
ne vorgefaßte Meynung Folgendes: Gesetzt, die Bienen,
Ameisen und andre gesellige Thiere hätten Seelen, äußere
Empfindungen, andre Vorstellungen, wahre Triebe und
Absichten: so werden alle ihre geselligen Handlungen See-
lenwirkungen ihrer sinnlichen Triebe seyn, §. 276. N 1.
und diese sind fast unmittelbare Folgen ihrer äußern Em-
pfindungen. §. 579. N. 1. Also sind die geselligen Hand-
lungen dieser Thiere unmittelbare oder zufällige Seelenwir-
kungen der Empfindungen ihrer äußern sinnlichen Eindrü-
cke. Nun ist es unstreitig, daß alle sowohl unmittelbare
als zufällige Seelenwirkungen äußerer Empfindungen
schlechterdings auch nur Nervenwirkungen eben derselben
äußern sinnlichen Eindrücke seyn können, §. 625. N. 2.

mithin

2 Kap. Hauptgattungen exiſtirender Thiere.
„und aus ſich ſelbſt willkuͤhrlich handeln: mithin muͤſſen ſie
„Vorſtellungen haben, die ſie dazu bewegen.“ Allein
dieſe ſelbſtthaͤtigen Handlungen koͤnnen durch urſpruͤngliche
innere ſinnliche Eindruͤcke ohne Vorſtellungen vollkommen
erſetzet werden, §. 609. 623. N. 4. und doch wird man
ſchwerlich erweiſen koͤnnen, daß dergleichen Thiere ſolche
ohne Veranlaſſung aͤußerer ſinnlicher Eindruͤcke verrichten
ſollten. Wenn ein ſtillliegendes Thier ſich wieder reget,
wenn ſich eins aufmachet, als ob es Nahrung ſuchen woll-
te, wenn ſichs wieder wegbegiebt, nachdem es keine gefun-
den, oder ſich geſaͤttiget hat, ſo wird man leicht, entweder
auswendig oder innwendig in ihm, einen aͤußern ſinnlichen
Eindruck errathen koͤnnen, der es zu handeln antreibt. (z.
E. §. 553.)

6. „Jedoch viele von dieſen Thieren handeln geſell-
„ſchaftlich, in Gemeinſchaft und zu einem Hauptzwecke;
„folglich nach Abſichten; z. E. die Ameiſen, Bienen, u. a.
„Sie unterſtuͤtzen einander in ihrer gemeinſchaftlichen Ar-
„beit, weichen einander aus, um ſich nicht zu hindern, be-
„kriegen ihre Feinde, nehmen einander die Buͤrden ab,
„oder ſcheinen ſich in Gefahren zu benachrichtigen, u. ſ. w.“
Dieß iſt in der That das Staͤrkſte, was man fuͤr die See-
len ſolcher Thiere ſagen kann. Jndeſſen uͤberlege man oh-
ne vorgefaßte Meynung Folgendes: Geſetzt, die Bienen,
Ameiſen und andre geſellige Thiere haͤtten Seelen, aͤußere
Empfindungen, andre Vorſtellungen, wahre Triebe und
Abſichten: ſo werden alle ihre geſelligen Handlungen See-
lenwirkungen ihrer ſinnlichen Triebe ſeyn, §. 276. N 1.
und dieſe ſind faſt unmittelbare Folgen ihrer aͤußern Em-
pfindungen. §. 579. N. 1. Alſo ſind die geſelligen Hand-
lungen dieſer Thiere unmittelbare oder zufaͤllige Seelenwir-
kungen der Empfindungen ihrer aͤußern ſinnlichen Eindruͤ-
cke. Nun iſt es unſtreitig, daß alle ſowohl unmittelbare
als zufaͤllige Seelenwirkungen aͤußerer Empfindungen
ſchlechterdings auch nur Nervenwirkungen eben derſelben
aͤußern ſinnlichen Eindruͤcke ſeyn koͤnnen, §. 625. N. 2.

mithin
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0663" n="639"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">2 Kap. Hauptgattungen exi&#x017F;tirender Thiere.</hi></fw><lb/>
&#x201E;und aus &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t willku&#x0364;hrlich handeln: mithin mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ie<lb/>
&#x201E;Vor&#x017F;tellungen haben, die &#x017F;ie dazu bewegen.&#x201C; Allein<lb/>
die&#x017F;e &#x017F;elb&#x017F;ttha&#x0364;tigen Handlungen ko&#x0364;nnen durch ur&#x017F;pru&#x0364;ngliche<lb/>
innere &#x017F;innliche Eindru&#x0364;cke ohne Vor&#x017F;tellungen vollkommen<lb/>
er&#x017F;etzet werden, §. 609. 623. <hi rendition="#aq">N.</hi> 4. und doch wird man<lb/>
&#x017F;chwerlich erwei&#x017F;en ko&#x0364;nnen, daß dergleichen Thiere &#x017F;olche<lb/>
ohne Veranla&#x017F;&#x017F;ung a&#x0364;ußerer &#x017F;innlicher Eindru&#x0364;cke verrichten<lb/>
&#x017F;ollten. Wenn ein &#x017F;tillliegendes Thier &#x017F;ich wieder reget,<lb/>
wenn &#x017F;ich eins aufmachet, als ob es Nahrung &#x017F;uchen woll-<lb/>
te, wenn &#x017F;ichs wieder wegbegiebt, nachdem es keine gefun-<lb/>
den, oder &#x017F;ich ge&#x017F;a&#x0364;ttiget hat, &#x017F;o wird man leicht, entweder<lb/>
auswendig oder innwendig in ihm, einen a&#x0364;ußern &#x017F;innlichen<lb/>
Eindruck errathen ko&#x0364;nnen, der es zu handeln antreibt. (z.<lb/>
E. §. 553.)</p><lb/>
            <p>6. &#x201E;Jedoch viele von die&#x017F;en Thieren handeln ge&#x017F;ell-<lb/>
&#x201E;&#x017F;chaftlich, in Gemein&#x017F;chaft und zu einem Hauptzwecke;<lb/>
&#x201E;folglich nach Ab&#x017F;ichten; z. E. die Amei&#x017F;en, Bienen, u. a.<lb/>
&#x201E;Sie unter&#x017F;tu&#x0364;tzen einander in ihrer gemein&#x017F;chaftlichen Ar-<lb/>
&#x201E;beit, weichen einander aus, um &#x017F;ich nicht zu hindern, be-<lb/>
&#x201E;kriegen ihre Feinde, nehmen einander die Bu&#x0364;rden ab,<lb/>
&#x201E;oder &#x017F;cheinen &#x017F;ich in Gefahren zu benachrichtigen, u. &#x017F;. w.&#x201C;<lb/>
Dieß i&#x017F;t in der That das Sta&#x0364;rk&#x017F;te, was man fu&#x0364;r die See-<lb/>
len &#x017F;olcher Thiere &#x017F;agen kann. Jnde&#x017F;&#x017F;en u&#x0364;berlege man oh-<lb/>
ne vorgefaßte Meynung Folgendes: Ge&#x017F;etzt, die Bienen,<lb/>
Amei&#x017F;en und andre ge&#x017F;ellige Thiere ha&#x0364;tten Seelen, a&#x0364;ußere<lb/>
Empfindungen, andre Vor&#x017F;tellungen, wahre Triebe und<lb/>
Ab&#x017F;ichten: &#x017F;o werden alle ihre ge&#x017F;elligen Handlungen See-<lb/>
lenwirkungen ihrer &#x017F;innlichen Triebe &#x017F;eyn, §. 276. <hi rendition="#aq">N</hi> 1.<lb/>
und die&#x017F;e &#x017F;ind fa&#x017F;t unmittelbare Folgen ihrer a&#x0364;ußern Em-<lb/>
pfindungen. §. 579. <hi rendition="#aq">N.</hi> 1. Al&#x017F;o &#x017F;ind die ge&#x017F;elligen Hand-<lb/>
lungen die&#x017F;er Thiere unmittelbare oder zufa&#x0364;llige Seelenwir-<lb/>
kungen der Empfindungen ihrer a&#x0364;ußern &#x017F;innlichen Eindru&#x0364;-<lb/>
cke. Nun i&#x017F;t es un&#x017F;treitig, daß alle &#x017F;owohl unmittelbare<lb/>
als zufa&#x0364;llige Seelenwirkungen a&#x0364;ußerer Empfindungen<lb/>
&#x017F;chlechterdings auch nur Nervenwirkungen eben der&#x017F;elben<lb/>
a&#x0364;ußern &#x017F;innlichen Eindru&#x0364;cke &#x017F;eyn ko&#x0364;nnen, §. 625. <hi rendition="#aq">N.</hi> 2.<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">mithin</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[639/0663] 2 Kap. Hauptgattungen exiſtirender Thiere. „und aus ſich ſelbſt willkuͤhrlich handeln: mithin muͤſſen ſie „Vorſtellungen haben, die ſie dazu bewegen.“ Allein dieſe ſelbſtthaͤtigen Handlungen koͤnnen durch urſpruͤngliche innere ſinnliche Eindruͤcke ohne Vorſtellungen vollkommen erſetzet werden, §. 609. 623. N. 4. und doch wird man ſchwerlich erweiſen koͤnnen, daß dergleichen Thiere ſolche ohne Veranlaſſung aͤußerer ſinnlicher Eindruͤcke verrichten ſollten. Wenn ein ſtillliegendes Thier ſich wieder reget, wenn ſich eins aufmachet, als ob es Nahrung ſuchen woll- te, wenn ſichs wieder wegbegiebt, nachdem es keine gefun- den, oder ſich geſaͤttiget hat, ſo wird man leicht, entweder auswendig oder innwendig in ihm, einen aͤußern ſinnlichen Eindruck errathen koͤnnen, der es zu handeln antreibt. (z. E. §. 553.) 6. „Jedoch viele von dieſen Thieren handeln geſell- „ſchaftlich, in Gemeinſchaft und zu einem Hauptzwecke; „folglich nach Abſichten; z. E. die Ameiſen, Bienen, u. a. „Sie unterſtuͤtzen einander in ihrer gemeinſchaftlichen Ar- „beit, weichen einander aus, um ſich nicht zu hindern, be- „kriegen ihre Feinde, nehmen einander die Buͤrden ab, „oder ſcheinen ſich in Gefahren zu benachrichtigen, u. ſ. w.“ Dieß iſt in der That das Staͤrkſte, was man fuͤr die See- len ſolcher Thiere ſagen kann. Jndeſſen uͤberlege man oh- ne vorgefaßte Meynung Folgendes: Geſetzt, die Bienen, Ameiſen und andre geſellige Thiere haͤtten Seelen, aͤußere Empfindungen, andre Vorſtellungen, wahre Triebe und Abſichten: ſo werden alle ihre geſelligen Handlungen See- lenwirkungen ihrer ſinnlichen Triebe ſeyn, §. 276. N 1. und dieſe ſind faſt unmittelbare Folgen ihrer aͤußern Em- pfindungen. §. 579. N. 1. Alſo ſind die geſelligen Hand- lungen dieſer Thiere unmittelbare oder zufaͤllige Seelenwir- kungen der Empfindungen ihrer aͤußern ſinnlichen Eindruͤ- cke. Nun iſt es unſtreitig, daß alle ſowohl unmittelbare als zufaͤllige Seelenwirkungen aͤußerer Empfindungen ſchlechterdings auch nur Nervenwirkungen eben derſelben aͤußern ſinnlichen Eindruͤcke ſeyn koͤnnen, §. 625. N. 2. mithin

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/unzer_erstegruende_1771
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/unzer_erstegruende_1771/663
Zitationshilfe: Unzer, Johann August: Erste Gründe einer Physiologie der eigentlichen thierischen Natur thierischer Körper. Leipzig, 1771, S. 639. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/unzer_erstegruende_1771/663>, abgerufen am 20.05.2024.