Unzer, Johann August: Erste Gründe einer Physiologie der eigentlichen thierischen Natur thierischer Körper. Leipzig, 1771.2 Kap. Hauptgattungen existirender Thiere. den: kurz, beyde sind nicht sinnlicher Vorstellungen undfreywilliger Handlungen fähig, wozu der klügste Affe nim- mermehr gelangen kann. Aber welch ein Unterschied ist gleichwohl zwischen beyden, und wie nahe grenzet nicht der Eine an Wesen höherer Art und der Andre ans Vieh! Ein Affe und ein Karpfe stehen beyde in den Grenzen des blos sinnlichen Thierreiches. Beyde stellen sich die äußern sinn- lichen Eindrücke in ihre Nerven vor, sie empfinden, sie den- ken sinnlich und werden durch ihre äußern Empfindungen zu sinnlichen Begierden, Trieben, zur Befriedigung der- selben und vielen sinnlich willkührlichen Handlungen bewo- gen, deren aller ein unbeseeltes Thier nie fähig werden kann. Aber wie weit übertrifft jener nicht diesen in allen sinnli- chen Handlungen; wie nahe kömmt jener der Menschlich- keit, und wie nahe nicht dieser einem unbeseelten Geschö- pfe? Eine Biene, Ameise, Käsemilbe steht mit einer Schnecke, Auster und mit einem microskopischen Thierchen in den Grenzen des blos lebenden, unbeseelten Thierreiches. Beyde werden durch sinnliche Eindrücke thierisch beweget, wozu die vollkommenste Pflanze nie gelanget: aber wie künstlich und vollkommen wirken nicht die Nervenkräfte in jenen, und wie plump und unvollkommen in diesen! Wie nahe kommen jene nicht den sinnlichen Thieren, deren See- lenwirkungen sie so vollkommen nachahmen, und wie nahe nicht diese den Fühlpflanzen? Allein der Grenzpunkt bleibt immer festgestellet. So verschmitzt der Affe handelt, so handelt er doch nie aus allgemeinen Grundsätzen; so viel sinnliche Einsichten er besitzt, so denkt er doch nie eine ab- strakte Wahrheit. Alle seine Erkenntnisse und Handlun- gen sind höchstens nur solche, die auch ein Mensch ohne den Gebrauch seiner Vernunft und seines Willens, durch die hohe Vollkommenheit seiner sinnlichen Erkenntnisse und seines sinnlichen Willkührs bewerkstelliget. So klug, zweck- mäßig und willkührlich eine Biene oder Ameise zn handeln scheint, so handelt sie doch nie aus Erkenntniß oder Em- pfindung. Alle ihre thierische Handlungen sind höchstens nur S s 3
2 Kap. Hauptgattungen exiſtirender Thiere. den: kurz, beyde ſind nicht ſinnlicher Vorſtellungen undfreywilliger Handlungen faͤhig, wozu der kluͤgſte Affe nim- mermehr gelangen kann. Aber welch ein Unterſchied iſt gleichwohl zwiſchen beyden, und wie nahe grenzet nicht der Eine an Weſen hoͤherer Art und der Andre ans Vieh! Ein Affe und ein Karpfe ſtehen beyde in den Grenzen des blos ſinnlichen Thierreiches. Beyde ſtellen ſich die aͤußern ſinn- lichen Eindruͤcke in ihre Nerven vor, ſie empfinden, ſie den- ken ſinnlich und werden durch ihre aͤußern Empfindungen zu ſinnlichen Begierden, Trieben, zur Befriedigung der- ſelben und vielen ſinnlich willkuͤhrlichen Handlungen bewo- gen, deren aller ein unbeſeeltes Thier nie faͤhig werden kann. Aber wie weit uͤbertrifft jener nicht dieſen in allen ſinnli- chen Handlungen; wie nahe koͤmmt jener der Menſchlich- keit, und wie nahe nicht dieſer einem unbeſeelten Geſchoͤ- pfe? Eine Biene, Ameiſe, Kaͤſemilbe ſteht mit einer Schnecke, Auſter und mit einem microſkopiſchen Thierchen in den Grenzen des blos lebenden, unbeſeelten Thierreiches. Beyde werden durch ſinnliche Eindruͤcke thieriſch beweget, wozu die vollkommenſte Pflanze nie gelanget: aber wie kuͤnſtlich und vollkommen wirken nicht die Nervenkraͤfte in jenen, und wie plump und unvollkommen in dieſen! Wie nahe kommen jene nicht den ſinnlichen Thieren, deren See- lenwirkungen ſie ſo vollkommen nachahmen, und wie nahe nicht dieſe den Fuͤhlpflanzen? Allein der Grenzpunkt bleibt immer feſtgeſtellet. So verſchmitzt der Affe handelt, ſo handelt er doch nie aus allgemeinen Grundſaͤtzen; ſo viel ſinnliche Einſichten er beſitzt, ſo denkt er doch nie eine ab- ſtrakte Wahrheit. Alle ſeine Erkenntniſſe und Handlun- gen ſind hoͤchſtens nur ſolche, die auch ein Menſch ohne den Gebrauch ſeiner Vernunft und ſeines Willens, durch die hohe Vollkommenheit ſeiner ſinnlichen Erkenntniſſe und ſeines ſinnlichen Willkuͤhrs bewerkſtelliget. So klug, zweck- maͤßig und willkuͤhrlich eine Biene oder Ameiſe zn handeln ſcheint, ſo handelt ſie doch nie aus Erkenntniß oder Em- pfindung. Alle ihre thieriſche Handlungen ſind hoͤchſtens nur S s 3
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2 Kap. Hauptgattungen exiſtirender Thiere.
den: kurz, beyde ſind nicht ſinnlicher Vorſtellungen und
freywilliger Handlungen faͤhig, wozu der kluͤgſte Affe nim-
mermehr gelangen kann. Aber welch ein Unterſchied iſt
gleichwohl zwiſchen beyden, und wie nahe grenzet nicht der
Eine an Weſen hoͤherer Art und der Andre ans Vieh! Ein
Affe und ein Karpfe ſtehen beyde in den Grenzen des blos
ſinnlichen Thierreiches. Beyde ſtellen ſich die aͤußern ſinn-
lichen Eindruͤcke in ihre Nerven vor, ſie empfinden, ſie den-
ken ſinnlich und werden durch ihre aͤußern Empfindungen
zu ſinnlichen Begierden, Trieben, zur Befriedigung der-
ſelben und vielen ſinnlich willkuͤhrlichen Handlungen bewo-
gen, deren aller ein unbeſeeltes Thier nie faͤhig werden kann.
Aber wie weit uͤbertrifft jener nicht dieſen in allen ſinnli-
chen Handlungen; wie nahe koͤmmt jener der Menſchlich-
keit, und wie nahe nicht dieſer einem unbeſeelten Geſchoͤ-
pfe? Eine Biene, Ameiſe, Kaͤſemilbe ſteht mit einer
Schnecke, Auſter und mit einem microſkopiſchen Thierchen
in den Grenzen des blos lebenden, unbeſeelten Thierreiches.
Beyde werden durch ſinnliche Eindruͤcke thieriſch beweget,
wozu die vollkommenſte Pflanze nie gelanget: aber wie
kuͤnſtlich und vollkommen wirken nicht die Nervenkraͤfte in
jenen, und wie plump und unvollkommen in dieſen! Wie
nahe kommen jene nicht den ſinnlichen Thieren, deren See-
lenwirkungen ſie ſo vollkommen nachahmen, und wie nahe
nicht dieſe den Fuͤhlpflanzen? Allein der Grenzpunkt bleibt
immer feſtgeſtellet. So verſchmitzt der Affe handelt, ſo
handelt er doch nie aus allgemeinen Grundſaͤtzen; ſo viel
ſinnliche Einſichten er beſitzt, ſo denkt er doch nie eine ab-
ſtrakte Wahrheit. Alle ſeine Erkenntniſſe und Handlun-
gen ſind hoͤchſtens nur ſolche, die auch ein Menſch ohne
den Gebrauch ſeiner Vernunft und ſeines Willens, durch
die hohe Vollkommenheit ſeiner ſinnlichen Erkenntniſſe und
ſeines ſinnlichen Willkuͤhrs bewerkſtelliget. So klug, zweck-
maͤßig und willkuͤhrlich eine Biene oder Ameiſe zn handeln
ſcheint, ſo handelt ſie doch nie aus Erkenntniß oder Em-
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