Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Uz, Johann Peter: Lyrische und andere Gedichte. 2. Aufl. Ansbach, 1755.

Bild:
<< vorherige Seite

Sieg des Liebesgottes.
O Liebe! duldest du so sehr getheilte Flammen?
Muß nicht Selinde selbst ihr zweiflend Herz verdammen?
Sie liebet mich vielleicht: vielleicht betäubet nur
Der Mode Tyranney die Stimme der Natur.
Jch soll bey Lesbien sie heut im Garten sehen:
Begleite mich dahin, mir hülfreich beyzustehen.
Wenn etwas rühren kann, so rühre sie mein Schmerz,
Mein Herz voll Zärtlichkeit, mein ehrfurchtvolles Herz!

Als Zephyr ausgeredt, entwich er ins Gesträuche.
Dorante kennt nicht sehr die artigen Gebräuche,
Sprach Amor: Ehrfurcht macht ihn schwerlich liebenswerth:
Nicht allzu zärtlich sey, wer Gegengunst begehrt.
Jhn liebt Selinde nicht; sie liebt allein Selinden:
Doch heute soll ihr Herz bey Lesbien mich finden.
Es fall ihr alter Trotz zu meinen Füssen hin,
Wofern ich was ich war, wofern ich Amor bin!
Er schwieg und wollte fliehn, voll muthiger Entschlüsse:
Die Wollust widersprach durch schlauberedte Küsse;
Und ihr entblößter Arm, dem Schnee an Weisse wich,
Hieng um des Gottes Hals, und widersetzte sich.
Du reisest? seufzte sie, und wie? trotz wilder Hitze,
Nach Deutschlands Wüsteney, nach dummer Gothen Sitze?
Ein Franzmann machte mir dieß rauhe Volk bekannt:
Dort fesselt ewig Eis die Herzen, wie das Land.
Du suchest Palmen dort, wo ich nur Barbarn sehe?
Man weis von Liebe nichts, man weis nur von der Ehe:
Da ist ein Ehverspruch ein häuslicher Vertrag,
Der nur die Nachwelt pflanzt, nur süss' auf einen Tag.
Soll

Sieg des Liebesgottes.
O Liebe! duldeſt du ſo ſehr getheilte Flammen?
Muß nicht Selinde ſelbſt ihr zweiflend Herz verdammen?
Sie liebet mich vielleicht: vielleicht betaͤubet nur
Der Mode Tyranney die Stimme der Natur.
Jch ſoll bey Lesbien ſie heut im Garten ſehen:
Begleite mich dahin, mir huͤlfreich beyzuſtehen.
Wenn etwas ruͤhren kann, ſo ruͤhre ſie mein Schmerz,
Mein Herz voll Zaͤrtlichkeit, mein ehrfurchtvolles Herz!

Als Zephyr ausgeredt, entwich er ins Geſtraͤuche.
Dorante kennt nicht ſehr die artigen Gebraͤuche,
Sprach Amor: Ehrfurcht macht ihn ſchwerlich liebenswerth:
Nicht allzu zaͤrtlich ſey, wer Gegengunſt begehrt.
Jhn liebt Selinde nicht; ſie liebt allein Selinden:
Doch heute ſoll ihr Herz bey Lesbien mich finden.
Es fall ihr alter Trotz zu meinen Fuͤſſen hin,
Wofern ich was ich war, wofern ich Amor bin!
Er ſchwieg und wollte fliehn, voll muthiger Entſchluͤſſe:
Die Wolluſt widerſprach durch ſchlauberedte Kuͤſſe;
Und ihr entbloͤßter Arm, dem Schnee an Weiſſe wich,
Hieng um des Gottes Hals, und widerſetzte ſich.
Du reiſeſt? ſeufzte ſie, und wie? trotz wilder Hitze,
Nach Deutſchlands Wuͤſteney, nach dummer Gothen Sitze?
Ein Franzmann machte mir dieß rauhe Volk bekannt:
Dort feſſelt ewig Eis die Herzen, wie das Land.
Du ſucheſt Palmen dort, wo ich nur Barbarn ſehe?
Man weis von Liebe nichts, man weis nur von der Ehe:
Da iſt ein Ehverſpruch ein haͤuslicher Vertrag,
Der nur die Nachwelt pflanzt, nur ſuͤſſ’ auf einen Tag.
Soll
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <lg type="poem">
          <lg n="2">
            <pb facs="#f0184" n="170"/>
            <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Sieg des Liebesgottes.</hi> </fw><lb/>
            <l>O Liebe! dulde&#x017F;t du &#x017F;o &#x017F;ehr getheilte Flammen?</l><lb/>
            <l>Muß nicht Selinde &#x017F;elb&#x017F;t ihr zweiflend Herz verdammen?</l><lb/>
            <l>Sie liebet mich vielleicht: vielleicht beta&#x0364;ubet nur</l><lb/>
            <l>Der Mode Tyranney die Stimme der Natur.</l><lb/>
            <l>Jch &#x017F;oll bey Lesbien &#x017F;ie heut im Garten &#x017F;ehen:</l><lb/>
            <l>Begleite mich dahin, mir hu&#x0364;lfreich beyzu&#x017F;tehen.</l><lb/>
            <l>Wenn etwas ru&#x0364;hren kann, &#x017F;o ru&#x0364;hre &#x017F;ie mein Schmerz,</l><lb/>
            <l>Mein Herz voll Za&#x0364;rtlichkeit, mein ehrfurchtvolles Herz!</l>
          </lg><lb/>
          <lg n="3">
            <l>Als Zephyr ausgeredt, entwich er ins Ge&#x017F;tra&#x0364;uche.</l><lb/>
            <l>Dorante kennt nicht &#x017F;ehr die artigen Gebra&#x0364;uche,</l><lb/>
            <l>Sprach Amor: Ehrfurcht macht ihn &#x017F;chwerlich liebenswerth:</l><lb/>
            <l>Nicht allzu za&#x0364;rtlich &#x017F;ey, wer Gegengun&#x017F;t begehrt.</l><lb/>
            <l>Jhn liebt Selinde nicht; &#x017F;ie liebt allein Selinden:</l><lb/>
            <l>Doch heute &#x017F;oll ihr Herz bey Lesbien mich finden.</l><lb/>
            <l>Es fall ihr alter Trotz zu meinen Fu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en hin,</l><lb/>
            <l>Wofern ich was ich war, wofern ich Amor bin!</l><lb/>
            <l>Er &#x017F;chwieg und wollte fliehn, voll muthiger Ent&#x017F;chlu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e:</l><lb/>
            <l>Die Wollu&#x017F;t wider&#x017F;prach durch &#x017F;chlauberedte Ku&#x0364;&#x017F;&#x017F;e;</l><lb/>
            <l>Und ihr entblo&#x0364;ßter Arm, dem Schnee an Wei&#x017F;&#x017F;e wich,</l><lb/>
            <l>Hieng um des Gottes Hals, und wider&#x017F;etzte &#x017F;ich.</l><lb/>
            <l>Du rei&#x017F;e&#x017F;t? &#x017F;eufzte &#x017F;ie, und wie? trotz wilder Hitze,</l><lb/>
            <l>Nach Deut&#x017F;chlands Wu&#x0364;&#x017F;teney, nach dummer Gothen Sitze?</l><lb/>
            <l>Ein Franzmann machte mir dieß rauhe Volk bekannt:</l><lb/>
            <l>Dort fe&#x017F;&#x017F;elt ewig Eis die Herzen, wie das Land.</l><lb/>
            <l>Du &#x017F;uche&#x017F;t Palmen dort, wo ich nur Barbarn &#x017F;ehe?</l><lb/>
            <l>Man weis von Liebe nichts, man weis nur von der Ehe:</l><lb/>
            <l>Da i&#x017F;t ein Ehver&#x017F;pruch ein ha&#x0364;uslicher Vertrag,</l><lb/>
            <l>Der nur die Nachwelt pflanzt, nur &#x017F;u&#x0364;&#x017F;&#x017F;&#x2019; auf einen Tag.</l><lb/>
            <fw place="bottom" type="catch">Soll</fw><lb/>
          </lg>
        </lg>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[170/0184] Sieg des Liebesgottes. O Liebe! duldeſt du ſo ſehr getheilte Flammen? Muß nicht Selinde ſelbſt ihr zweiflend Herz verdammen? Sie liebet mich vielleicht: vielleicht betaͤubet nur Der Mode Tyranney die Stimme der Natur. Jch ſoll bey Lesbien ſie heut im Garten ſehen: Begleite mich dahin, mir huͤlfreich beyzuſtehen. Wenn etwas ruͤhren kann, ſo ruͤhre ſie mein Schmerz, Mein Herz voll Zaͤrtlichkeit, mein ehrfurchtvolles Herz! Als Zephyr ausgeredt, entwich er ins Geſtraͤuche. Dorante kennt nicht ſehr die artigen Gebraͤuche, Sprach Amor: Ehrfurcht macht ihn ſchwerlich liebenswerth: Nicht allzu zaͤrtlich ſey, wer Gegengunſt begehrt. Jhn liebt Selinde nicht; ſie liebt allein Selinden: Doch heute ſoll ihr Herz bey Lesbien mich finden. Es fall ihr alter Trotz zu meinen Fuͤſſen hin, Wofern ich was ich war, wofern ich Amor bin! Er ſchwieg und wollte fliehn, voll muthiger Entſchluͤſſe: Die Wolluſt widerſprach durch ſchlauberedte Kuͤſſe; Und ihr entbloͤßter Arm, dem Schnee an Weiſſe wich, Hieng um des Gottes Hals, und widerſetzte ſich. Du reiſeſt? ſeufzte ſie, und wie? trotz wilder Hitze, Nach Deutſchlands Wuͤſteney, nach dummer Gothen Sitze? Ein Franzmann machte mir dieß rauhe Volk bekannt: Dort feſſelt ewig Eis die Herzen, wie das Land. Du ſucheſt Palmen dort, wo ich nur Barbarn ſehe? Man weis von Liebe nichts, man weis nur von der Ehe: Da iſt ein Ehverſpruch ein haͤuslicher Vertrag, Der nur die Nachwelt pflanzt, nur ſuͤſſ’ auf einen Tag. Soll

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Die Erstausgabe der vorliegenden Gedichtsammlung … [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/uz_gedichte_1755
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/uz_gedichte_1755/184
Zitationshilfe: Uz, Johann Peter: Lyrische und andere Gedichte. 2. Aufl. Ansbach, 1755, S. 170. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/uz_gedichte_1755/184>, abgerufen am 21.11.2024.