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Valentin, Gabriel Gustav: Handbuch der Entwicklungsgeschichte des Menschen mit vergleichender Rücksicht der Entwicklung der Säugetiere und Vögel. Berlin, 1835.

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III. Das Ei während der Fruchten[t]wickelung.
Berichten gleich grosser oder noch grösserer Auctoritäten im Ge-
gensatze sind. Wenn man in anderen Theilen der Naturwissen-
schaft durch geläuterte und genauere Beobachtungen sich des Bal-
lastes der leichtsinnigen und oberflächlichen Erfahrungen, der will-
kührlichen Hypothesen und einseitigen Theorieen entledigen kann,
so ist hier eine scharfe Kritik fast unmöglich, weil Facta gegen
Facta, Zeichnungen gegen Zeichnungen stehen. Es ist eine Ver-
wirrung alles Möglichen. Gesunder und Kranker Zustand, ruhige
Beobachtung und leichtfertige Erdichtung, bescheidener Zweifel
und anmassendes Absprechen, Bekenntniss der Unwissenheit und
Affectation, dass Alles erklärt sey -- diese widerstrebende Momente
sind hier in einem Brennpunkte vereinigt, sollen ein Ganzes con-
stituiren, das nicht eine in sich gährende Masse ist, sondern ein
Knoten, der wohl nie entwirrt und gelöst, sondern durch eine
Reihe consequenter und vorurtheilsfreier Beobachtungen eines
Einzelnen wird zerhauen werden müssen. Die Gegenwart aber
vermag dieses noch nicht, da ihr die nothwendigen objectiven
Data in ihrer Vollständigkeit mangeln. Versuchen wir daher
dasjenige, was wir durch Bekanntschaft mit dem grössten Theile
der hierher gehörenden Literatur sowohl, als durch eigene Er-
fahrung wissen, zusammen zu stellen. Die Darstellung wird frei-
lich nur die subjective Idee eines Einzelnen seyn und kann, insofern
ihr die Hauptsache, die Vollständigkeit der Fakta, abgeht, auf all-
gemeine Annahme keinen Anspruch machen. Sie ist aber nicht
ohne Kritik entworfen und bei der wiederholten Durchsicht je-
der Theorie geprüft worden, so dass sie wenigstens um Gehör
bitten darf, eine Vergünstigung, welche jedem Produkte zu Theil
wird, sobald es nur das Bestreben zeigt, ein Problem aufzuhellen
oder seine Lösung vorzubereiten.

Wir wissen, dass das Ei, um in sich die Frucht zu entwik-
keln, bei den höheren Thieren seinen früheren Ort im gesunden
Zustande verlässt. Die hierzu nothwendigen, bedingenden Vor-
gänge finden sich sowohl in dem Eie selbst, als in dem dasselbe
früher enthaltenden Organe, dem Eierstocke, so wie auch in den
Theilen, durch welche es hindurch geht, bedingt. Die Säuge-
thiere, welche ein besonderes Organ zur Aufnahme des Eies wäh-
rend der Entwickelung der Frucht haben, nämlich den Fruchthäl-
ter, zeigen in diesem bestimmte verbreitende und coincidirende
Veränderungen. Um diese aber ihrem Wesen nach zu begreifen,

III. Das Ei während der Fruchten[t]wickelung.
Berichten gleich groſser oder noch gröſserer Auctoritäten im Ge-
gensatze sind. Wenn man in anderen Theilen der Naturwissen-
schaft durch geläuterte und genauere Beobachtungen sich des Bal-
lastes der leichtsinnigen und oberflächlichen Erfahrungen, der will-
kührlichen Hypothesen und einseitigen Theorieen entledigen kann,
so ist hier eine scharfe Kritik fast unmöglich, weil Facta gegen
Facta, Zeichnungen gegen Zeichnungen stehen. Es ist eine Ver-
wirrung alles Möglichen. Gesunder und Kranker Zustand, ruhige
Beobachtung und leichtfertige Erdichtung, bescheidener Zweifel
und anmaſsendes Absprechen, Bekenntniſs der Unwissenheit und
Affectation, daſs Alles erklärt sey — diese widerstrebende Momente
sind hier in einem Brennpunkte vereinigt, sollen ein Ganzes con-
stituiren, das nicht eine in sich gährende Masse ist, sondern ein
Knoten, der wohl nie entwirrt und gelöst, sondern durch eine
Reihe consequenter und vorurtheilsfreier Beobachtungen eines
Einzelnen wird zerhauen werden müssen. Die Gegenwart aber
vermag dieses noch nicht, da ihr die nothwendigen objectiven
Data in ihrer Vollständigkeit mangeln. Versuchen wir daher
dasjenige, was wir durch Bekanntschaft mit dem gröſsten Theile
der hierher gehörenden Literatur sowohl, als durch eigene Er-
fahrung wissen, zusammen zu stellen. Die Darstellung wird frei-
lich nur die subjective Idee eines Einzelnen seyn und kann, insofern
ihr die Hauptsache, die Vollständigkeit der Fakta, abgeht, auf all-
gemeine Annahme keinen Anspruch machen. Sie ist aber nicht
ohne Kritik entworfen und bei der wiederholten Durchsicht je-
der Theorie geprüft worden, so daſs sie wenigstens um Gehör
bitten darf, eine Vergünstigung, welche jedem Produkte zu Theil
wird, sobald es nur das Bestreben zeigt, ein Problem aufzuhellen
oder seine Lösung vorzubereiten.

Wir wissen, daſs das Ei, um in sich die Frucht zu entwik-
keln, bei den höheren Thieren seinen früheren Ort im gesunden
Zustande verläſst. Die hierzu nothwendigen, bedingenden Vor-
gänge finden sich sowohl in dem Eie selbst, als in dem dasselbe
früher enthaltenden Organe, dem Eierstocke, so wie auch in den
Theilen, durch welche es hindurch geht, bedingt. Die Säuge-
thiere, welche ein besonderes Organ zur Aufnahme des Eies wäh-
rend der Entwickelung der Frucht haben, nämlich den Fruchthäl-
ter, zeigen in diesem bestimmte verbreitende und coincidirende
Veränderungen. Um diese aber ihrem Wesen nach zu begreifen,

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[76/0104] III. Das Ei während der Fruchtentwickelung. Berichten gleich groſser oder noch gröſserer Auctoritäten im Ge- gensatze sind. Wenn man in anderen Theilen der Naturwissen- schaft durch geläuterte und genauere Beobachtungen sich des Bal- lastes der leichtsinnigen und oberflächlichen Erfahrungen, der will- kührlichen Hypothesen und einseitigen Theorieen entledigen kann, so ist hier eine scharfe Kritik fast unmöglich, weil Facta gegen Facta, Zeichnungen gegen Zeichnungen stehen. Es ist eine Ver- wirrung alles Möglichen. Gesunder und Kranker Zustand, ruhige Beobachtung und leichtfertige Erdichtung, bescheidener Zweifel und anmaſsendes Absprechen, Bekenntniſs der Unwissenheit und Affectation, daſs Alles erklärt sey — diese widerstrebende Momente sind hier in einem Brennpunkte vereinigt, sollen ein Ganzes con- stituiren, das nicht eine in sich gährende Masse ist, sondern ein Knoten, der wohl nie entwirrt und gelöst, sondern durch eine Reihe consequenter und vorurtheilsfreier Beobachtungen eines Einzelnen wird zerhauen werden müssen. Die Gegenwart aber vermag dieses noch nicht, da ihr die nothwendigen objectiven Data in ihrer Vollständigkeit mangeln. Versuchen wir daher dasjenige, was wir durch Bekanntschaft mit dem gröſsten Theile der hierher gehörenden Literatur sowohl, als durch eigene Er- fahrung wissen, zusammen zu stellen. Die Darstellung wird frei- lich nur die subjective Idee eines Einzelnen seyn und kann, insofern ihr die Hauptsache, die Vollständigkeit der Fakta, abgeht, auf all- gemeine Annahme keinen Anspruch machen. Sie ist aber nicht ohne Kritik entworfen und bei der wiederholten Durchsicht je- der Theorie geprüft worden, so daſs sie wenigstens um Gehör bitten darf, eine Vergünstigung, welche jedem Produkte zu Theil wird, sobald es nur das Bestreben zeigt, ein Problem aufzuhellen oder seine Lösung vorzubereiten. Wir wissen, daſs das Ei, um in sich die Frucht zu entwik- keln, bei den höheren Thieren seinen früheren Ort im gesunden Zustande verläſst. Die hierzu nothwendigen, bedingenden Vor- gänge finden sich sowohl in dem Eie selbst, als in dem dasselbe früher enthaltenden Organe, dem Eierstocke, so wie auch in den Theilen, durch welche es hindurch geht, bedingt. Die Säuge- thiere, welche ein besonderes Organ zur Aufnahme des Eies wäh- rend der Entwickelung der Frucht haben, nämlich den Fruchthäl- ter, zeigen in diesem bestimmte verbreitende und coincidirende Veränderungen. Um diese aber ihrem Wesen nach zu begreifen,

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Zitationshilfe: Valentin, Gabriel Gustav: Handbuch der Entwicklungsgeschichte des Menschen mit vergleichender Rücksicht der Entwicklung der Säugetiere und Vögel. Berlin, 1835, S. 76. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/valentin_entwicklungsgeschichte_1835/104>, abgerufen am 23.11.2024.