Valentin, Gabriel Gustav: Handbuch der Entwicklungsgeschichte des Menschen mit vergleichender Rücksicht der Entwicklung der Säugetiere und Vögel. Berlin, 1835.Vorrede. Organismen Rücksicht nehmen. Wenn daher auch ein ein-zelnes Wesen, wie z. B. der Mensch vorzüglich bei Behand- lung eines Gegenstandes berücksichtigt wird, so darf doch die Darstellung seiner Verhältnisse nicht ausschliesslich das Object der Beobachtung und jede Rücksicht auf die übrige Thierwelt zurückgewiesen seyn. In dieser Idee arbeitete schon der grosse Haller seine Elementa physiologiae aus; in dieser Idee sind in neuerer Zeit mehrere Schriften über allgemeine und specielle Physiologie erschienen, welche ei- nen bleibenden Werth in der Geschichte der Wissenschaf- ten haben werden. Ist aber dieses schon bei der Darstellung der Erscheinungen des Lebens, der Bedeutung und Function der Organe, der Formen der Gewebe der Fall, so tritt das- selbe Requisit in dem Gebiete der Entwickelungsgeschichte mit weit grösserer Nothwendigkeit hervor, da hier noch der Umstand dazu nöthigt, dass viele in dem Menschen völ- lig unbekannte Verhältnisse aus der Geschichte der Thiere ergänzt oder erläutert werden müssen. So wie Vivisectionen nur an diesen anzustellen sind und nichts desto weniger auch über dieselben Functionen in dem Menschen den ge- nügendsten Aussschluss geben, so ist dieses nicht minder in der Entwickelungsgeschichte der Fall. Denn wenn auch die Voraussetzung bestimmt ungegründet, ja falsch ist, dass in dem Menschen der Entwickelungsprocess der Organe ge- nau derselbe, wie in den Säugethieren sey, so lässt sich doch mit Recht annehmen -- und durch genaue Beobachtung ist es von vielen Theilen sogar schon erwiesen -- dass analoge Processe in beiden Statt finden und dass das Individuelle und Specielle Verschiedenheiten, das Generelle Gleichheiten erzeuge. Es ist zwar von höchstem Interesse, das Erstere so genau, als möglich kennen zu lernen; allein der Mensch wird in eben dieser Beziehung immer am Wenigsten voll- ständig zu erforschen seyn, da zu vielen Experimenten und Vorrede. Organismen Rücksicht nehmen. Wenn daher auch ein ein-zelnes Wesen, wie z. B. der Mensch vorzüglich bei Behand- lung eines Gegenstandes berücksichtigt wird, so darf doch die Darstellung seiner Verhältnisse nicht ausschlieſslich das Object der Beobachtung und jede Rücksicht auf die übrige Thierwelt zurückgewiesen seyn. In dieser Idee arbeitete schon der groſse Haller seine Elementa physiologiae aus; in dieser Idee sind in neuerer Zeit mehrere Schriften über allgemeine und specielle Physiologie erschienen, welche ei- nen bleibenden Werth in der Geschichte der Wissenschaf- ten haben werden. Ist aber dieses schon bei der Darstellung der Erscheinungen des Lebens, der Bedeutung und Function der Organe, der Formen der Gewebe der Fall, so tritt das- selbe Requisit in dem Gebiete der Entwickelungsgeschichte mit weit gröſserer Nothwendigkeit hervor, da hier noch der Umstand dazu nöthigt, daſs viele in dem Menschen völ- lig unbekannte Verhältnisse aus der Geschichte der Thiere ergänzt oder erläutert werden müssen. So wie Vivisectionen nur an diesen anzustellen sind und nichts desto weniger auch über dieselben Functionen in dem Menschen den ge- nügendsten Auſsschluſs geben, so ist dieses nicht minder in der Entwickelungsgeschichte der Fall. Denn wenn auch die Voraussetzung bestimmt ungegründet, ja falsch ist, daſs in dem Menschen der Entwickelungsproceſs der Organe ge- nau derselbe, wie in den Säugethieren sey, so läſst sich doch mit Recht annehmen — und durch genaue Beobachtung ist es von vielen Theilen sogar schon erwiesen — daſs analoge Processe in beiden Statt finden und daſs das Individuelle und Specielle Verschiedenheiten, das Generelle Gleichheiten erzeuge. Es ist zwar von höchstem Interesse, das Erstere so genau, als möglich kennen zu lernen; allein der Mensch wird in eben dieser Beziehung immer am Wenigsten voll- ständig zu erforschen seyn, da zu vielen Experimenten und <TEI> <text> <front> <div n="1"> <p><pb facs="#f0014" n="VIII"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Vorrede</hi>.</fw><lb/> Organismen Rücksicht nehmen. Wenn daher auch ein ein-<lb/> zelnes Wesen, wie z. B. der Mensch vorzüglich bei Behand-<lb/> lung eines Gegenstandes berücksichtigt wird, so darf doch<lb/> die Darstellung seiner Verhältnisse nicht ausschlieſslich das<lb/> Object der Beobachtung und jede Rücksicht auf die übrige<lb/> Thierwelt zurückgewiesen seyn. In dieser Idee arbeitete<lb/> schon der groſse Haller seine <hi rendition="#i">Elementa physiologiae</hi> aus;<lb/> in dieser Idee sind in neuerer Zeit mehrere Schriften über<lb/> allgemeine und specielle Physiologie erschienen, welche ei-<lb/> nen bleibenden Werth in der Geschichte der Wissenschaf-<lb/> ten haben werden. Ist aber dieses schon bei der Darstellung<lb/> der Erscheinungen des Lebens, der Bedeutung und Function<lb/> der Organe, der Formen der Gewebe der Fall, so tritt das-<lb/> selbe Requisit in dem Gebiete der Entwickelungsgeschichte<lb/> mit weit gröſserer Nothwendigkeit hervor, da hier noch der<lb/> Umstand dazu nöthigt, daſs viele in dem Menschen völ-<lb/> lig unbekannte Verhältnisse aus der Geschichte der Thiere<lb/> ergänzt oder erläutert werden müssen. So wie Vivisectionen<lb/> nur an diesen anzustellen sind und nichts desto weniger<lb/> auch über dieselben Functionen in dem Menschen den ge-<lb/> nügendsten Auſsschluſs geben, so ist dieses nicht minder in<lb/> der Entwickelungsgeschichte der Fall. Denn wenn auch<lb/> die Voraussetzung bestimmt ungegründet, ja falsch ist, daſs<lb/> in dem Menschen der Entwickelungsproceſs der Organe ge-<lb/> nau derselbe, wie in den Säugethieren sey, so läſst sich doch<lb/> mit Recht annehmen — und durch genaue Beobachtung ist<lb/> es von vielen Theilen sogar schon erwiesen — daſs analoge<lb/> Processe in beiden Statt finden und daſs das Individuelle<lb/> und Specielle Verschiedenheiten, das Generelle Gleichheiten<lb/> erzeuge. Es ist zwar von höchstem Interesse, das Erstere<lb/> so genau, als möglich kennen zu lernen; allein der Mensch<lb/> wird in eben dieser Beziehung immer am Wenigsten voll-<lb/> ständig zu erforschen seyn, da zu vielen Experimenten und<lb/></p> </div> </front> </text> </TEI> [VIII/0014]
Vorrede.
Organismen Rücksicht nehmen. Wenn daher auch ein ein-
zelnes Wesen, wie z. B. der Mensch vorzüglich bei Behand-
lung eines Gegenstandes berücksichtigt wird, so darf doch
die Darstellung seiner Verhältnisse nicht ausschlieſslich das
Object der Beobachtung und jede Rücksicht auf die übrige
Thierwelt zurückgewiesen seyn. In dieser Idee arbeitete
schon der groſse Haller seine Elementa physiologiae aus;
in dieser Idee sind in neuerer Zeit mehrere Schriften über
allgemeine und specielle Physiologie erschienen, welche ei-
nen bleibenden Werth in der Geschichte der Wissenschaf-
ten haben werden. Ist aber dieses schon bei der Darstellung
der Erscheinungen des Lebens, der Bedeutung und Function
der Organe, der Formen der Gewebe der Fall, so tritt das-
selbe Requisit in dem Gebiete der Entwickelungsgeschichte
mit weit gröſserer Nothwendigkeit hervor, da hier noch der
Umstand dazu nöthigt, daſs viele in dem Menschen völ-
lig unbekannte Verhältnisse aus der Geschichte der Thiere
ergänzt oder erläutert werden müssen. So wie Vivisectionen
nur an diesen anzustellen sind und nichts desto weniger
auch über dieselben Functionen in dem Menschen den ge-
nügendsten Auſsschluſs geben, so ist dieses nicht minder in
der Entwickelungsgeschichte der Fall. Denn wenn auch
die Voraussetzung bestimmt ungegründet, ja falsch ist, daſs
in dem Menschen der Entwickelungsproceſs der Organe ge-
nau derselbe, wie in den Säugethieren sey, so läſst sich doch
mit Recht annehmen — und durch genaue Beobachtung ist
es von vielen Theilen sogar schon erwiesen — daſs analoge
Processe in beiden Statt finden und daſs das Individuelle
und Specielle Verschiedenheiten, das Generelle Gleichheiten
erzeuge. Es ist zwar von höchstem Interesse, das Erstere
so genau, als möglich kennen zu lernen; allein der Mensch
wird in eben dieser Beziehung immer am Wenigsten voll-
ständig zu erforschen seyn, da zu vielen Experimenten und
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |