führen sind. Da jedoch vermöge seiner ganzen Organisation das Säugethier dem Menschen ähnlicher ist, als der Vogel, so muss sich natürlich dasselbe Verhältniss auch in der Ent- wickelung reflectiren. Und wenn daher auch die Geschichte des Vogelembryo der Boden ist, auf dem wir einherschrei- ten, so ist die des Säugethierfötus das leitende Gestirn, wel- ches uns erst Sicherheit auf unserer Bahn der Entwickelung des Menschen verspricht.
Es ist daher in dem vorliegenden Werke die kurze Ge- schichte des Vogels an den passenden Stellen immer vorausge- schickt worden. Wenn der Vf. hierbei sich grösstentheils der Bär'schen Relationen bedient, so geschieht dieses nicht deshalb, weil er diese Dinge aus eigener Anschauung nicht kennt, sondern weil er es für billig hält, dem, der zuerst das Wahre einer Sache beschrieben, genau zu folgen und nicht mit Sachen, die man nach Anderen gesehen, als sei- nen Entdeckungen zu wirthschaften, weil man nur zu dem Bekannten kleine oder kleinliche Zusätze zu machen ver- mochte. --
Ein in unseren Tagen zu physiologischen Untersuchun- gen unentbehrliches Hülfsmittel ist das Mikroscop. Die Zei- ten sind vorüber, wo man mikroscopische Beobachtungen wegen Fehler der Untersuchenden verdächtig zu machen sich bemühte. Das Mikroscop hat jetzt dieselbe Auctorität, wie die astronomischen Vergrösserungsinstrumente, wiewohl man durch diese eben so gut die Gebäude der Menäen, als durch jenes die präexistirende Gestalt des Menschen in seinen Saa- menthierchen zu sehen geglaubt hat. Geduld und Uebung macht hier wie dort gleich sicher, und es dürfte in beiden Fällen wohl ohne Zweifel jede Differenz der Beobachtung weniger von dem Instrumente, als dem Forscher selbst ab- hängen. Die Gegenstände, mit denen wir uns hier be- schäftigen, entgehen zum Theil, wie die frühesten Rudimente
Vorrede.
führen sind. Da jedoch vermöge seiner ganzen Organisation das Säugethier dem Menschen ähnlicher ist, als der Vogel, so muſs sich natürlich dasselbe Verhältniſs auch in der Ent- wickelung reflectiren. Und wenn daher auch die Geschichte des Vogelembryo der Boden ist, auf dem wir einherschrei- ten, so ist die des Säugethierfötus das leitende Gestirn, wel- ches uns erst Sicherheit auf unserer Bahn der Entwickelung des Menschen verspricht.
Es ist daher in dem vorliegenden Werke die kurze Ge- schichte des Vogels an den passenden Stellen immer vorausge- schickt worden. Wenn der Vf. hierbei sich gröſstentheils der Bär’schen Relationen bedient, so geschieht dieses nicht deshalb, weil er diese Dinge aus eigener Anschauung nicht kennt, sondern weil er es für billig hält, dem, der zuerst das Wahre einer Sache beschrieben, genau zu folgen und nicht mit Sachen, die man nach Anderen gesehen, als sei- nen Entdeckungen zu wirthschaften, weil man nur zu dem Bekannten kleine oder kleinliche Zusätze zu machen ver- mochte. —
Ein in unseren Tagen zu physiologischen Untersuchun- gen unentbehrliches Hülfsmittel ist das Mikroscop. Die Zei- ten sind vorüber, wo man mikroscopische Beobachtungen wegen Fehler der Untersuchenden verdächtig zu machen sich bemühte. Das Mikroscop hat jetzt dieselbe Auctorität, wie die astronomischen Vergröſserungsinstrumente, wiewohl man durch diese eben so gut die Gebäude der Menäen, als durch jenes die präexistirende Gestalt des Menschen in seinen Saa- menthierchen zu sehen geglaubt hat. Geduld und Uebung macht hier wie dort gleich sicher, und es dürfte in beiden Fällen wohl ohne Zweifel jede Differenz der Beobachtung weniger von dem Instrumente, als dem Forscher selbst ab- hängen. Die Gegenstände, mit denen wir uns hier be- schäftigen, entgehen zum Theil, wie die frühesten Rudimente
<TEI><text><front><divn="1"><p><pbfacs="#f0017"n="XI"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#g">Vorrede</hi>.</fw><lb/>
führen sind. Da jedoch vermöge seiner ganzen Organisation<lb/>
das Säugethier dem Menschen ähnlicher ist, als der Vogel,<lb/>
so muſs sich natürlich dasselbe Verhältniſs auch in der Ent-<lb/>
wickelung reflectiren. Und wenn daher auch die Geschichte<lb/>
des Vogelembryo der Boden ist, auf dem wir einherschrei-<lb/>
ten, so ist die des Säugethierfötus das leitende Gestirn, wel-<lb/>
ches uns erst Sicherheit auf unserer Bahn der Entwickelung<lb/>
des Menschen verspricht.</p><lb/><p>Es ist daher in dem vorliegenden Werke die kurze Ge-<lb/>
schichte des Vogels an den passenden Stellen immer vorausge-<lb/>
schickt worden. Wenn der Vf. hierbei sich gröſstentheils<lb/>
der Bär’schen Relationen bedient, so geschieht dieses nicht<lb/>
deshalb, weil er diese Dinge aus eigener Anschauung nicht<lb/>
kennt, sondern weil er es für billig hält, dem, der zuerst<lb/>
das Wahre einer Sache beschrieben, genau zu folgen und<lb/>
nicht mit Sachen, die man nach Anderen gesehen, als sei-<lb/>
nen Entdeckungen zu wirthschaften, weil man nur zu dem<lb/>
Bekannten kleine oder kleinliche Zusätze zu machen ver-<lb/>
mochte. —</p><lb/><p>Ein in unseren Tagen zu physiologischen Untersuchun-<lb/>
gen unentbehrliches Hülfsmittel ist das Mikroscop. Die Zei-<lb/>
ten sind vorüber, wo man mikroscopische Beobachtungen<lb/>
wegen Fehler der Untersuchenden verdächtig zu machen sich<lb/>
bemühte. Das Mikroscop hat jetzt dieselbe Auctorität, wie<lb/>
die astronomischen Vergröſserungsinstrumente, wiewohl man<lb/>
durch diese eben so gut die Gebäude der Menäen, als durch<lb/>
jenes die präexistirende Gestalt des Menschen in seinen Saa-<lb/>
menthierchen zu sehen geglaubt hat. Geduld und Uebung<lb/>
macht hier wie dort gleich sicher, und es dürfte in beiden<lb/>
Fällen wohl ohne Zweifel jede Differenz der Beobachtung<lb/>
weniger von dem Instrumente, als dem Forscher selbst ab-<lb/>
hängen. Die Gegenstände, mit denen wir uns hier be-<lb/>
schäftigen, entgehen zum Theil, wie die frühesten Rudimente<lb/></p></div></front></text></TEI>
[XI/0017]
Vorrede.
führen sind. Da jedoch vermöge seiner ganzen Organisation
das Säugethier dem Menschen ähnlicher ist, als der Vogel,
so muſs sich natürlich dasselbe Verhältniſs auch in der Ent-
wickelung reflectiren. Und wenn daher auch die Geschichte
des Vogelembryo der Boden ist, auf dem wir einherschrei-
ten, so ist die des Säugethierfötus das leitende Gestirn, wel-
ches uns erst Sicherheit auf unserer Bahn der Entwickelung
des Menschen verspricht.
Es ist daher in dem vorliegenden Werke die kurze Ge-
schichte des Vogels an den passenden Stellen immer vorausge-
schickt worden. Wenn der Vf. hierbei sich gröſstentheils
der Bär’schen Relationen bedient, so geschieht dieses nicht
deshalb, weil er diese Dinge aus eigener Anschauung nicht
kennt, sondern weil er es für billig hält, dem, der zuerst
das Wahre einer Sache beschrieben, genau zu folgen und
nicht mit Sachen, die man nach Anderen gesehen, als sei-
nen Entdeckungen zu wirthschaften, weil man nur zu dem
Bekannten kleine oder kleinliche Zusätze zu machen ver-
mochte. —
Ein in unseren Tagen zu physiologischen Untersuchun-
gen unentbehrliches Hülfsmittel ist das Mikroscop. Die Zei-
ten sind vorüber, wo man mikroscopische Beobachtungen
wegen Fehler der Untersuchenden verdächtig zu machen sich
bemühte. Das Mikroscop hat jetzt dieselbe Auctorität, wie
die astronomischen Vergröſserungsinstrumente, wiewohl man
durch diese eben so gut die Gebäude der Menäen, als durch
jenes die präexistirende Gestalt des Menschen in seinen Saa-
menthierchen zu sehen geglaubt hat. Geduld und Uebung
macht hier wie dort gleich sicher, und es dürfte in beiden
Fällen wohl ohne Zweifel jede Differenz der Beobachtung
weniger von dem Instrumente, als dem Forscher selbst ab-
hängen. Die Gegenstände, mit denen wir uns hier be-
schäftigen, entgehen zum Theil, wie die frühesten Rudimente
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Valentin, Gabriel Gustav: Handbuch der Entwicklungsgeschichte des Menschen mit vergleichender Rücksicht der Entwicklung der Säugetiere und Vögel. Berlin, 1835, S. XI. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/valentin_entwicklungsgeschichte_1835/17>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.