Valentin, Gabriel Gustav: Handbuch der Entwicklungsgeschichte des Menschen mit vergleichender Rücksicht der Entwicklung der Säugetiere und Vögel. Berlin, 1835.Von dem Embryo. schalten, besonders da alle diese Tendenzen noch nicht allgemeinin ihrem wahren Lichte angesehen und von richtigem Standpunkte aus beurtheilt werden. -- Es war ein gewaltiger Fehlgriff, zu be- haupten, dass die Natur selbst jeder mathematischen Form in dem Reiche der organischen Wesen abhold sey, dass es eben den Cha- rakter der Letzteren ausmache, jede genau bestimmte Gestalt zu fliehen, als sey die Negation der durch die Mathematik vorgeschrie- benen Gesetze die Bedingung und Folge des höheren Standpunktes. Jedoch nicht die geradlinigte Figur bedingt allein die mathema- tisch bestimmte Gestalt. Dies ist nur so für uns zugänglicher, leichter zu begreifen und in ihren einzelnen Verhältnissen zu erkennen. Die höhere und wahrere mathematische Form ist die Curve im wei- testen Sinne des Wortes, deren Verhältnisse freilich so sehr com- plicirt sind, dass wir nur die regelmässigsten und einfachen der- selben nach ihren Einzelnheiten aufzufassen vermögen. Und so ist gewiss jeder Organtheil in seinen bestimmtesten Verhältnissen construirt, wie wir anderswo ausführlicher auseinandersetzen und mit Beispielen belegen werden. In dem Pflanzenreiche ist zur Enthüllung dieser mathematischen Gestaltungsverhältnisse, vorzüg- lich was die einzelnen Theile in Bezug auf ihre Stellung betrifft, in der neuesten Zeit (1827) durch Martius und Göthe die erste Anregung gegeben worden. Mit glänzendem Erfolge wurde diese Richtung durch Schimper und Alexander Braun fortgeführt und zum Theil Andere, wie Fürnrohr, Bischoff u. dgl. vervollkomm- net. Es ist daher höchst wunderbar, wie Einer der grössten Na- turforscher unserer Zeit, dem es wahrlich in jeder Rücksicht an Empfänglichkeit nicht mangelt, sich gegen diese Tendenz ziemlich heftig erklären konnte. -- Für die Thiere ist, so viel uns bekannt, kein vollständiger Versuch der Art gemacht worden. Doch haben wir auch in dieser Rücksicht Wichtiges, besonders von Schimper, Nitzsch und Agassiz zu erwarten. Dagegen ist hier eine andere Seite derselben Tendenz bearbeitet worden; es wurden nämlich die einzelnen Grössenverhältnisse, sowohl an grösseren Theilen des aus- gebildeten Körpers, wie dem Auge von Petit, Sömmering dem Sohne, Treviranus, Krause u. A., als auch besonders an den klei- nen und kleinsten Theilen des Thierkörpers von J. Fr. Meckel, Prevost und Dumas, E. H. Weber, Joh. Müller, Ehrenberg, Berres, R. Wagner, Treviranus, Lauth und uns bestimmt. Soll aber diese ganze Richtung in keine blosse Spielerei ausarten, so ist es durch- Von dem Embryo. schalten, besonders da alle diese Tendenzen noch nicht allgemeinin ihrem wahren Lichte angesehen und von richtigem Standpunkte aus beurtheilt werden. — Es war ein gewaltiger Fehlgriff, zu be- haupten, daſs die Natur selbst jeder mathematischen Form in dem Reiche der organischen Wesen abhold sey, daſs es eben den Cha- rakter der Letzteren ausmache, jede genau bestimmte Gestalt zu fliehen, als sey die Negation der durch die Mathematik vorgeschrie- benen Gesetze die Bedingung und Folge des höheren Standpunktes. Jedoch nicht die geradlinigte Figur bedingt allein die mathema- tisch bestimmte Gestalt. Dies ist nur so für uns zugänglicher, leichter zu begreifen und in ihren einzelnen Verhältnissen zu erkennen. Die höhere und wahrere mathematische Form ist die Curve im wei- testen Sinne des Wortes, deren Verhältnisse freilich so sehr com- plicirt sind, daſs wir nur die regelmäſsigsten und einfachen der- selben nach ihren Einzelnheiten aufzufassen vermögen. Und so ist gewiſs jeder Organtheil in seinen bestimmtesten Verhältnissen construirt, wie wir anderswo ausführlicher auseinandersetzen und mit Beispielen belegen werden. In dem Pflanzenreiche ist zur Enthüllung dieser mathematischen Gestaltungsverhältnisse, vorzüg- lich was die einzelnen Theile in Bezug auf ihre Stellung betrifft, in der neuesten Zeit (1827) durch Martius und Göthe die erste Anregung gegeben worden. Mit glänzendem Erfolge wurde diese Richtung durch Schimper und Alexander Braun fortgeführt und zum Theil Andere, wie Fürnrohr, Bischoff u. dgl. vervollkomm- net. Es ist daher höchst wunderbar, wie Einer der gröſsten Na- turforscher unserer Zeit, dem es wahrlich in jeder Rücksicht an Empfänglichkeit nicht mangelt, sich gegen diese Tendenz ziemlich heftig erklären konnte. — Für die Thiere ist, so viel uns bekannt, kein vollständiger Versuch der Art gemacht worden. Doch haben wir auch in dieser Rücksicht Wichtiges, besonders von Schimper, Nitzsch und Agassiz zu erwarten. Dagegen ist hier eine andere Seite derselben Tendenz bearbeitet worden; es wurden nämlich die einzelnen Gröſsenverhältnisse, sowohl an gröſseren Theilen des aus- gebildeten Körpers, wie dem Auge von Petit, Sömmering dem Sohne, Treviranus, Krause u. A., als auch besonders an den klei- nen und kleinsten Theilen des Thierkörpers von J. Fr. Meckel, Prevost und Dumas, E. H. Weber, Joh. Müller, Ehrenberg, Berres, R. Wagner, Treviranus, Lauth und uns bestimmt. Soll aber diese ganze Richtung in keine bloſse Spielerei ausarten, so ist es durch- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <p><pb facs="#f0570" n="542"/><fw place="top" type="header">Von dem Embryo.</fw><lb/> schalten, besonders da alle diese Tendenzen noch nicht allgemein<lb/> in ihrem wahren Lichte angesehen und von richtigem Standpunkte<lb/> aus beurtheilt werden. — Es war ein gewaltiger Fehlgriff, zu be-<lb/> haupten, daſs die Natur selbst jeder mathematischen Form in dem<lb/> Reiche der organischen Wesen abhold sey, daſs es eben den Cha-<lb/> rakter der Letzteren ausmache, jede genau bestimmte Gestalt zu<lb/> fliehen, als sey die Negation der durch die Mathematik vorgeschrie-<lb/> benen Gesetze die Bedingung und Folge des höheren Standpunktes.<lb/> Jedoch nicht die geradlinigte Figur bedingt allein die mathema-<lb/> tisch bestimmte Gestalt. 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Von dem Embryo.
schalten, besonders da alle diese Tendenzen noch nicht allgemein
in ihrem wahren Lichte angesehen und von richtigem Standpunkte
aus beurtheilt werden. — Es war ein gewaltiger Fehlgriff, zu be-
haupten, daſs die Natur selbst jeder mathematischen Form in dem
Reiche der organischen Wesen abhold sey, daſs es eben den Cha-
rakter der Letzteren ausmache, jede genau bestimmte Gestalt zu
fliehen, als sey die Negation der durch die Mathematik vorgeschrie-
benen Gesetze die Bedingung und Folge des höheren Standpunktes.
Jedoch nicht die geradlinigte Figur bedingt allein die mathema-
tisch bestimmte Gestalt. Dies ist nur so für uns zugänglicher, leichter
zu begreifen und in ihren einzelnen Verhältnissen zu erkennen. Die
höhere und wahrere mathematische Form ist die Curve im wei-
testen Sinne des Wortes, deren Verhältnisse freilich so sehr com-
plicirt sind, daſs wir nur die regelmäſsigsten und einfachen der-
selben nach ihren Einzelnheiten aufzufassen vermögen. Und so
ist gewiſs jeder Organtheil in seinen bestimmtesten Verhältnissen
construirt, wie wir anderswo ausführlicher auseinandersetzen und
mit Beispielen belegen werden. In dem Pflanzenreiche ist zur
Enthüllung dieser mathematischen Gestaltungsverhältnisse, vorzüg-
lich was die einzelnen Theile in Bezug auf ihre Stellung betrifft,
in der neuesten Zeit (1827) durch Martius und Göthe die erste
Anregung gegeben worden. Mit glänzendem Erfolge wurde diese
Richtung durch Schimper und Alexander Braun fortgeführt und
zum Theil Andere, wie Fürnrohr, Bischoff u. dgl. vervollkomm-
net. Es ist daher höchst wunderbar, wie Einer der gröſsten Na-
turforscher unserer Zeit, dem es wahrlich in jeder Rücksicht an
Empfänglichkeit nicht mangelt, sich gegen diese Tendenz ziemlich
heftig erklären konnte. — Für die Thiere ist, so viel uns bekannt,
kein vollständiger Versuch der Art gemacht worden. Doch haben
wir auch in dieser Rücksicht Wichtiges, besonders von Schimper,
Nitzsch und Agassiz zu erwarten. Dagegen ist hier eine andere
Seite derselben Tendenz bearbeitet worden; es wurden nämlich die
einzelnen Gröſsenverhältnisse, sowohl an gröſseren Theilen des aus-
gebildeten Körpers, wie dem Auge von Petit, Sömmering dem
Sohne, Treviranus, Krause u. A., als auch besonders an den klei-
nen und kleinsten Theilen des Thierkörpers von J. Fr. Meckel,
Prevost und Dumas, E. H. Weber, Joh. Müller, Ehrenberg, Berres,
R. Wagner, Treviranus, Lauth und uns bestimmt. Soll aber diese
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