Valentin, Gabriel Gustav: Handbuch der Entwicklungsgeschichte des Menschen mit vergleichender Rücksicht der Entwicklung der Säugetiere und Vögel. Berlin, 1835.VII. Genese der Organe. dualität und Beschränktheit unseres Geistes sehr gegründet ist.Es geht aber dadurch jede Vollständigkeit eines Systemes zu Grunde. Wir gerathen hierdurch in einen nothwendigen, nie völ- lig zu lösenden Widerspruch, indem wir eine grosse Menge von Specialitäten unmittelbar, höchstens aber den Zusammenhang ein- zelner zu Theilorganismen, nie aber das ganze Individuum erken- nen. Entweder müsste uns das ganze Universum vollständig ent- hüllt seyn oder es ist uns, da dieses unmöglich ist, auch nicht möglich ein Individuum vollständig zu begreifen und allseitig ge- nug aufzufassen. Dies hat aber auf die Behandlung wesentlichen Einfluss. Es entsteht nicht ein Urgesetz, welches alle Specialitä- ten nach ihren kleinsten Einzelheiten vollständig in sich enthielte, sondern nur für jedes einseitig immer aufgefasste Moment eine Reihe von Normen. Das Ganze wird in der Wissenschaft so nothwendig kein System, sondern ein Aggregat dieser einzelnen Reihen. Auf die Entwickelung der Organe angewendet, werden wir hier am Zweckmässigsten folgende Reihen hervorheben. 6. Der Zeit nach entsteht nothwendig das Urorgan vor dem 7. Dem Raume nach ist in dem Urorgane die Nebenbildung VII. Genese der Organe. dualität und Beschränktheit unseres Geistes sehr gegründet ist.Es geht aber dadurch jede Vollständigkeit eines Systemes zu Grunde. Wir gerathen hierdurch in einen nothwendigen, nie völ- lig zu lösenden Widerspruch, indem wir eine groſse Menge von Specialitäten unmittelbar, höchstens aber den Zusammenhang ein- zelner zu Theilorganismen, nie aber das ganze Individuum erken- nen. Entweder müſste uns das ganze Universum vollständig ent- hüllt seyn oder es ist uns, da dieses unmöglich ist, auch nicht möglich ein Individuum vollständig zu begreifen und allseitig ge- nug aufzufassen. Dies hat aber auf die Behandlung wesentlichen Einfluſs. Es entsteht nicht ein Urgesetz, welches alle Specialitä- ten nach ihren kleinsten Einzelheiten vollständig in sich enthielte, sondern nur für jedes einseitig immer aufgefaſste Moment eine Reihe von Normen. Das Ganze wird in der Wissenschaft so nothwendig kein System, sondern ein Aggregat dieser einzelnen Reihen. Auf die Entwickelung der Organe angewendet, werden wir hier am Zweckmäſsigsten folgende Reihen hervorheben. 6. Der Zeit nach entsteht nothwendig das Urorgan vor dem 7. Dem Raume nach ist in dem Urorgane die Nebenbildung <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0643" n="615"/><fw place="top" type="header">VII. 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Man hatte nämlich beob-<lb/> achtet, daſs sich zuerst ein centrales Nervensystem in Form eines<lb/> mehr oder minder breiten Streifens bilde. Der äuſseren Aehn-<lb/> lichkeit nach hat man diesen mit dem Namen des Rückenmarkes<lb/> belegt und, wenn später an dem vorderen Ende desselben An-<lb/> schwellungen als Andeutungen des Hirnes entstehen, gesagt, daſs<lb/> das Hirn aus dem Rückenmarke hervorwachse, daſs das Rücken-<lb/> mark die primäre und das Hirn die secundäre Bildung sey. Eine<lb/> gröſsere Unwahrheit kann aber kaum ausgesprochen werden, und<lb/> der Grund dieses Irrthumes ruht nicht sowohl auf einer falschen<lb/> Erfahrung selbst, als auf einer falsch gedeuteten Beobachtung,<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [615/0643]
VII. Genese der Organe.
dualität und Beschränktheit unseres Geistes sehr gegründet ist.
Es geht aber dadurch jede Vollständigkeit eines Systemes zu
Grunde. Wir gerathen hierdurch in einen nothwendigen, nie völ-
lig zu lösenden Widerspruch, indem wir eine groſse Menge von
Specialitäten unmittelbar, höchstens aber den Zusammenhang ein-
zelner zu Theilorganismen, nie aber das ganze Individuum erken-
nen. Entweder müſste uns das ganze Universum vollständig ent-
hüllt seyn oder es ist uns, da dieses unmöglich ist, auch nicht
möglich ein Individuum vollständig zu begreifen und allseitig ge-
nug aufzufassen. Dies hat aber auf die Behandlung wesentlichen
Einfluſs. Es entsteht nicht ein Urgesetz, welches alle Specialitä-
ten nach ihren kleinsten Einzelheiten vollständig in sich enthielte,
sondern nur für jedes einseitig immer aufgefaſste Moment eine
Reihe von Normen. Das Ganze wird in der Wissenschaft so
nothwendig kein System, sondern ein Aggregat dieser einzelnen
Reihen. Auf die Entwickelung der Organe angewendet, werden
wir hier am Zweckmäſsigsten folgende Reihen hervorheben.
6. Der Zeit nach entsteht nothwendig das Urorgan vor dem
Nebenorgane. So bildet sich ein centrales Nervensystem über-
haupt früher, als Hirn und Rückenmark, der Darmkanal überhaupt
vor der Leber, den Lungen.
7. Dem Raume nach ist in dem Urorgane die Nebenbildung
enthalten, und es ist daher unrichtig, wenn man das Urorgan mit
einem Namen belegt, welcher später, sobald Nebenorgane aus ihm
sich gebildet haben, dem Hauptorgane zukommt. So sehr dieses
spitzfindig und, wie die Benennung überhaupt, minder wichtig
scheinen könnte, so wollen wir doch an einem Beispiele es er-
härten, wie leicht durch nicht genaue Distinctionen grobe Un-
wahrheiten zu Tage gefödert werden. Man hatte nämlich beob-
achtet, daſs sich zuerst ein centrales Nervensystem in Form eines
mehr oder minder breiten Streifens bilde. Der äuſseren Aehn-
lichkeit nach hat man diesen mit dem Namen des Rückenmarkes
belegt und, wenn später an dem vorderen Ende desselben An-
schwellungen als Andeutungen des Hirnes entstehen, gesagt, daſs
das Hirn aus dem Rückenmarke hervorwachse, daſs das Rücken-
mark die primäre und das Hirn die secundäre Bildung sey. Eine
gröſsere Unwahrheit kann aber kaum ausgesprochen werden, und
der Grund dieses Irrthumes ruht nicht sowohl auf einer falschen
Erfahrung selbst, als auf einer falsch gedeuteten Beobachtung,
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