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Valentin, Gabriel Gustav: Handbuch der Entwicklungsgeschichte des Menschen mit vergleichender Rücksicht der Entwicklung der Säugetiere und Vögel. Berlin, 1835.

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V. d. Fruchthälter ausgesch. Membranen u. Flüssigk.
zu bringen, so muss man zwar einerseits nothwendiger Weise die
Entstehung der decidua vera und reflexa unter gewissen Haupt-
ansichten für sich betrachten, bei jedem einzelnen Schriftsteller
aber auch nachsehen, wie er sich den Zusammenhang beider Häute
gedacht, wie er es sich vorgestellt habe, ob die eine aus der an-
deren, innerhalb der anderen oder unabhängig von der anderen
sich bilde. Wir werden daher hier am Zweckmässigsten verfah-
ren, wenn wir die Genese jeder der beiden deciduae gesondert
nach den verschiedenen Ansichten der Schriftsteller abhandeln,
bei Gelegenheit der reflexa aber, welche die zweite Abtheilung
füllt, zugleich auf die Ansicht der Verfasser von der Entstehung
der decidua vera und ihren nothwendigen Zusammenhang der-
selben mit der reflexa Rücksicht nehmen. Eine bloss chronolo-
gische Ordnung würde die hier ohnedies nicht ganz leichte Ueber-
sicht nur noch mehr verwirren.

a. Entstehung der decidua vera.

Zuvörderst frägt es sich: Ist die decidua vera ein eigen-
thümliches und selbstständiges Gebilde oder nur ein Theilorga-
nismus des Uterus, welcher einen höheren Grad von Selbststän-
digkeit erreicht. Die Antworten der Anatomen und Physiologen
fallen hier sehr verschieden aus. 1. Sie ist kein selbständiges
Gebilde, sondern die aufgelockerte, ganz oder theilweise meta-
morphosirte Schleimhaut der Gebärmutter. Gegen diese Ansicht,
welche Sabatier u. A. schon im vorigen Jahrhunderte vorgetragen,
haben sich Danz, Lobstein u. A. erklärt. Als eine Modification
derselben ist die von Burns (bei Burdach Physiol. II. S. 74.) an-
zusehen, dass die decidua durch Hervorsprossen der Gefässe des
Fruchthälters entstehe. Zu demselben Resultate, dass die decidua
nur die locker gewordene und zuletzt losgestossene Schleimhaut
der Gebärmutter sey, kamen, wie schon oben berichtet wurde,
Oken und v. Bär durch die Untersuchung der Säugethiere, wo
sich eine einfache, mehr gelatinöse, als bestimmt membranöse Masse
findet, welche vielleicht der decidua entspricht, da die innere
Fläche des Fruchthälters überhaupt einen hohen Grad von Ausbil-
dung erlangt, um die verschiedenen Formen der Placenta darzu-
stellen. Dieses letztere Moment scheint Jörg bei seiner, oben
schon berührten Ansicht geleitet zu haben. Dasselbe Princip
scheint auch Raspail (Repert. d'anat. VI. bei Breschet p. 76. 77.)

V. d. Fruchthälter ausgesch. Membranen u. Flüssigk.
zu bringen, so muſs man zwar einerseits nothwendiger Weise die
Entstehung der decidua vera und reflexa unter gewissen Haupt-
ansichten für sich betrachten, bei jedem einzelnen Schriftsteller
aber auch nachsehen, wie er sich den Zusammenhang beider Häute
gedacht, wie er es sich vorgestellt habe, ob die eine aus der an-
deren, innerhalb der anderen oder unabhängig von der anderen
sich bilde. Wir werden daher hier am Zweckmäſsigsten verfah-
ren, wenn wir die Genese jeder der beiden deciduae gesondert
nach den verschiedenen Ansichten der Schriftsteller abhandeln,
bei Gelegenheit der reflexa aber, welche die zweite Abtheilung
füllt, zugleich auf die Ansicht der Verfasser von der Entstehung
der decidua vera und ihren nothwendigen Zusammenhang der-
selben mit der reflexa Rücksicht nehmen. Eine bloſs chronolo-
gische Ordnung würde die hier ohnedies nicht ganz leichte Ueber-
sicht nur noch mehr verwirren.

α. Entstehung der decidua vera.

Zuvörderst frägt es sich: Ist die decidua vera ein eigen-
thümliches und selbstständiges Gebilde oder nur ein Theilorga-
nismus des Uterus, welcher einen höheren Grad von Selbststän-
digkeit erreicht. Die Antworten der Anatomen und Physiologen
fallen hier sehr verschieden aus. 1. Sie ist kein selbständiges
Gebilde, sondern die aufgelockerte, ganz oder theilweise meta-
morphosirte Schleimhaut der Gebärmutter. Gegen diese Ansicht,
welche Sabatier u. A. schon im vorigen Jahrhunderte vorgetragen,
haben sich Danz, Lobstein u. A. erklärt. Als eine Modification
derselben ist die von Burns (bei Burdach Physiol. II. S. 74.) an-
zusehen, daſs die decidua durch Hervorsprossen der Gefäſse des
Fruchthälters entstehe. Zu demselben Resultate, daſs die decidua
nur die locker gewordene und zuletzt losgestoſsene Schleimhaut
der Gebärmutter sey, kamen, wie schon oben berichtet wurde,
Oken und v. Bär durch die Untersuchung der Säugethiere, wo
sich eine einfache, mehr gelatinöse, als bestimmt membranöse Masse
findet, welche vielleicht der decidua entspricht, da die innere
Fläche des Fruchthälters überhaupt einen hohen Grad von Ausbil-
dung erlangt, um die verschiedenen Formen der Placenta darzu-
stellen. Dieses letztere Moment scheint Jörg bei seiner, oben
schon berührten Ansicht geleitet zu haben. Dasselbe Princip
scheint auch Raspail (Repert. d’anat. VI. bei Breschet p. 76. 77.)

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[63/0091] V. d. Fruchthälter ausgesch. Membranen u. Flüssigk. zu bringen, so muſs man zwar einerseits nothwendiger Weise die Entstehung der decidua vera und reflexa unter gewissen Haupt- ansichten für sich betrachten, bei jedem einzelnen Schriftsteller aber auch nachsehen, wie er sich den Zusammenhang beider Häute gedacht, wie er es sich vorgestellt habe, ob die eine aus der an- deren, innerhalb der anderen oder unabhängig von der anderen sich bilde. Wir werden daher hier am Zweckmäſsigsten verfah- ren, wenn wir die Genese jeder der beiden deciduae gesondert nach den verschiedenen Ansichten der Schriftsteller abhandeln, bei Gelegenheit der reflexa aber, welche die zweite Abtheilung füllt, zugleich auf die Ansicht der Verfasser von der Entstehung der decidua vera und ihren nothwendigen Zusammenhang der- selben mit der reflexa Rücksicht nehmen. Eine bloſs chronolo- gische Ordnung würde die hier ohnedies nicht ganz leichte Ueber- sicht nur noch mehr verwirren. α. Entstehung der decidua vera. Zuvörderst frägt es sich: Ist die decidua vera ein eigen- thümliches und selbstständiges Gebilde oder nur ein Theilorga- nismus des Uterus, welcher einen höheren Grad von Selbststän- digkeit erreicht. Die Antworten der Anatomen und Physiologen fallen hier sehr verschieden aus. 1. Sie ist kein selbständiges Gebilde, sondern die aufgelockerte, ganz oder theilweise meta- morphosirte Schleimhaut der Gebärmutter. Gegen diese Ansicht, welche Sabatier u. A. schon im vorigen Jahrhunderte vorgetragen, haben sich Danz, Lobstein u. A. erklärt. Als eine Modification derselben ist die von Burns (bei Burdach Physiol. II. S. 74.) an- zusehen, daſs die decidua durch Hervorsprossen der Gefäſse des Fruchthälters entstehe. Zu demselben Resultate, daſs die decidua nur die locker gewordene und zuletzt losgestoſsene Schleimhaut der Gebärmutter sey, kamen, wie schon oben berichtet wurde, Oken und v. Bär durch die Untersuchung der Säugethiere, wo sich eine einfache, mehr gelatinöse, als bestimmt membranöse Masse findet, welche vielleicht der decidua entspricht, da die innere Fläche des Fruchthälters überhaupt einen hohen Grad von Ausbil- dung erlangt, um die verschiedenen Formen der Placenta darzu- stellen. Dieses letztere Moment scheint Jörg bei seiner, oben schon berührten Ansicht geleitet zu haben. Dasselbe Princip scheint auch Raspail (Repert. d’anat. VI. bei Breschet p. 76. 77.)

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Zitationshilfe: Valentin, Gabriel Gustav: Handbuch der Entwicklungsgeschichte des Menschen mit vergleichender Rücksicht der Entwicklung der Säugetiere und Vögel. Berlin, 1835, S. 63. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/valentin_entwicklungsgeschichte_1835/91>, abgerufen am 22.11.2024.