storbene Staatsrath Brauer (dort in hohem Andenken) war mein Vetter. Mit ihm lebt' ich drei Jahre im Hause. -- Auf der Reise nach Wien -- nach zwanzigjähriger Abwesenheit -- kam ich durch Karlsruhe. Ich kam an in der Nacht. -- Der Vetter -- todt. Hofrath Böckmann -- den ich sehr geliebt, dem ich Vieles dankte -- todt. Dieser todt -- jener todt -- nur Titel, der Kirchenrath (Logiker, Metaphysiker), an dem hing noch Le¬ ben.-- Wenn die Gekannten, Geschätzten, so allmählig sterben, bemerkt man's nicht, aber nach so langer Abwesenheit ist's wie eine Schlacht. -- Ich wanderte im Dunkeln durch die wohlbe¬ kannten Straßen -- durch die Schneckengänge und Alleen im Garten hinter dem Schloß -- die Bäume, die Sitze, waren noch da, die Atmosphäre herum war dieselbe -- die Sterne standen auf den alten Plätzen, und die Erinnerung erster romantischer Gefühle und Abentheuer war in mir lebendig. Aber ich fühlte mich äußerst allein -- was ich noch liebte, jenseits des Meeres -- ich fuhr in derselben Nacht noch weiter. -- Jetzt bin ich hier, und die sind mit mir; und Sie in Karlsruhe!--
Ueber dies Land und Vieles hätte ich Ihnen viel zu sagen. Dies muß ich versparen.
Mein Vetter Brauer hat eine Wittwe hinterlassen, eine zweite Frau, die eine vortreffliche Frau sein soll, die ich nie persönlich kannte.-- Sie können vielleicht mit ihr bekannt wer¬ den. An ihre Vorgängerin, meine Pflegemutter, schrieb ich im Jahre 1703 von Leipzig aus, einen sehr langen Brief, ein Stück Biographie von dreißig bis vierzig Seiten, das viel Eindruck machte, und das ich gern hätte, wenn's noch existirt. --
Die Domeyer war kürzlich in Cheltenham, und erkundigte sich nach mir. Wenn sie zur Stadt kömmt, will ich sie auf¬ suchen. Graf Bentheim hat London schon lange verlassen. Paul Esterhazy ist ein guter Mensch, und recht freundlich. Das etwas
ſtorbene Staatsrath Brauer (dort in hohem Andenken) war mein Vetter. Mit ihm lebt' ich drei Jahre im Hauſe. — Auf der Reiſe nach Wien — nach zwanzigjaͤhriger Abweſenheit — kam ich durch Karlsruhe. Ich kam an in der Nacht. — Der Vetter — todt. Hofrath Boͤckmann — den ich ſehr geliebt, dem ich Vieles dankte — todt. Dieſer todt — jener todt — nur Titel, der Kirchenrath (Logiker, Metaphyſiker), an dem hing noch Le¬ ben.— Wenn die Gekannten, Geſchaͤtzten, ſo allmaͤhlig ſterben, bemerkt man's nicht, aber nach ſo langer Abweſenheit iſt's wie eine Schlacht. — Ich wanderte im Dunkeln durch die wohlbe¬ kannten Straßen — durch die Schneckengaͤnge und Alleen im Garten hinter dem Schloß — die Baͤume, die Sitze, waren noch da, die Atmoſphaͤre herum war dieſelbe — die Sterne ſtanden auf den alten Plaͤtzen, und die Erinnerung erſter romantiſcher Gefuͤhle und Abentheuer war in mir lebendig. Aber ich fuͤhlte mich aͤußerſt allein — was ich noch liebte, jenſeits des Meeres — ich fuhr in derſelben Nacht noch weiter. — Jetzt bin ich hier, und die ſind mit mir; und Sie in Karlsruhe!—
Ueber dies Land und Vieles haͤtte ich Ihnen viel zu ſagen. Dies muß ich verſparen.
Mein Vetter Brauer hat eine Wittwe hinterlaſſen, eine zweite Frau, die eine vortreffliche Frau ſein ſoll, die ich nie perſoͤnlich kannte.— Sie koͤnnen vielleicht mit ihr bekannt wer¬ den. An ihre Vorgaͤngerin, meine Pflegemutter, ſchrieb ich im Jahre 1703 von Leipzig aus, einen ſehr langen Brief, ein Stuͤck Biographie von dreißig bis vierzig Seiten, das viel Eindruck machte, und das ich gern haͤtte, wenn's noch exiſtirt. —
Die Domeyer war kuͤrzlich in Cheltenham, und erkundigte ſich nach mir. Wenn ſie zur Stadt koͤmmt, will ich ſie auf¬ ſuchen. Graf Bentheim hat London ſchon lange verlaſſen. Paul Eſterhazy iſt ein guter Menſch, und recht freundlich. Das etwas
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ſtorbene Staatsrath Brauer (dort in hohem Andenken) war mein
Vetter. Mit ihm lebt' ich drei Jahre im Hauſe. — Auf der
Reiſe nach Wien — nach zwanzigjaͤhriger Abweſenheit — kam
ich durch Karlsruhe. Ich kam an in der Nacht. — Der Vetter
— todt. Hofrath Boͤckmann — den ich ſehr geliebt, dem ich
Vieles dankte — todt. Dieſer todt — jener todt — nur Titel,
der Kirchenrath (Logiker, Metaphyſiker), an dem hing noch Le¬
ben.— Wenn die Gekannten, Geſchaͤtzten, ſo allmaͤhlig ſterben,
bemerkt man's nicht, aber nach ſo langer Abweſenheit iſt's wie
eine Schlacht. — Ich wanderte im Dunkeln durch die wohlbe¬
kannten Straßen — durch die Schneckengaͤnge und Alleen im
Garten hinter dem Schloß — die Baͤume, die Sitze, waren noch
da, die Atmoſphaͤre herum war dieſelbe — die Sterne ſtanden
auf den alten Plaͤtzen, und die Erinnerung erſter romantiſcher
Gefuͤhle und Abentheuer war in mir lebendig. Aber ich fuͤhlte
mich aͤußerſt allein — was ich noch liebte, jenſeits des Meeres
— ich fuhr in derſelben Nacht noch weiter. — Jetzt bin ich hier,
und die ſind mit mir; und Sie in Karlsruhe!—
Ueber dies Land und Vieles haͤtte ich Ihnen viel zu ſagen.
Dies muß ich verſparen.
Mein Vetter Brauer hat eine Wittwe hinterlaſſen, eine
zweite Frau, die eine vortreffliche Frau ſein ſoll, die ich nie
perſoͤnlich kannte.— Sie koͤnnen vielleicht mit ihr bekannt wer¬
den. An ihre Vorgaͤngerin, meine Pflegemutter, ſchrieb ich im
Jahre 1703 von Leipzig aus, einen ſehr langen Brief, ein Stuͤck
Biographie von dreißig bis vierzig Seiten, das viel Eindruck
machte, und das ich gern haͤtte, wenn's noch exiſtirt. —
Die Domeyer war kuͤrzlich in Cheltenham, und erkundigte
ſich nach mir. Wenn ſie zur Stadt koͤmmt, will ich ſie auf¬
ſuchen. Graf Bentheim hat London ſchon lange verlaſſen. Paul
Eſterhazy iſt ein guter Menſch, und recht freundlich. Das etwas
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Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 1. Mannheim, 1837, S. 123. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten01_1837/137>, abgerufen am 21.11.2024.
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