Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 1. Mannheim, 1837.Was ihr erträumt so lange, leibhaftig steht es da, Wilhelm Müller. 2. Einzelwunsch und Gesammtblick. "Kann es geben öffentliche Meinung, Volkswillen, -- Ernster wohl keine Frage: verneint sie ein Staats¬ * Für Aug' und Ohr gibt es keine Geisterwelt, sondern nur Jean Paul. ** Solch eine Thatsache konnt' auch einem Beobachter wie Lichtenberg schwerlich entschlüpfen. In eins seiner Gedankenbücher, also freilich nur unter der Form eines abgerissenen Einfalls, hat er sie niedergelegt; und mit jener Laune, die zu den Eigenheiten dieses seltnen Geistes gehörte. Doch hier seine Worte selbst: "Wenn ein toller Kopf des Teufels Streiche anfängt, ist es deßwegen eine Folge, daß auch jede Rathsversammlung von zwölf Was ihr erträumt ſo lange, leibhaftig ſteht es da, Wilhelm Müller. 2. Einzelwunſch und Geſammtblick. „Kann es geben oͤffentliche Meinung, Volkswillen, — Ernſter wohl keine Frage: verneint ſie ein Staats¬ * Für Aug' und Ohr gibt es keine Geiſterwelt, ſondern nur Jean Paul. ** Solch eine Thatſache konnt' auch einem Beobachter wie Lichtenberg ſchwerlich entſchlüpfen. In eins ſeiner Gedankenbücher, alſo freilich nur unter der Form eines abgeriſſenen Einfalls, hat er ſie niedergelegt; und mit jener Laune, die zu den Eigenheiten dieſes ſeltnen Geiſtes gehörte. Doch hier ſeine Worte ſelbſt: „Wenn ein toller Kopf des Teufels Streiche anfängt, iſt es deßwegen eine Folge, daß auch jede Rathsverſammlung von zwölf <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <note place="end"> <cit> <quote><pb facs="#f0195" n="181"/> Was ihr erträumt ſo lange, leibhaftig ſteht es da,<lb/> Es klopft an eure Pforte — ihr ſchließt ihm euer Haus —<lb/> Sieht es denn gar ſo anders, als ihr es träumtet, aus?</quote><lb/> <bibl> <hi rendition="#right">Wilhelm Müller.</hi> </bibl> </cit><lb/> </note> </div> <div n="4"> <head><hi rendition="#b">2</hi>. <hi rendition="#g">Einzelwunſch und Geſammtblick</hi>.<lb/></head> <p>„Kann es geben oͤffentliche Meinung, Volkswillen,<lb/> Gemeingeiſt?“</p><lb/> <p>— Ernſter wohl keine Frage: verneint ſie ein Staats¬<lb/> mann, woher noch fernweiſes Ziel, naͤchſtkluger Vor¬<lb/> ſchritt! Nirgend freilich ſchaut Erdenſinn Geiſt, waͤhrend<lb/> dieſer maulwurfsartig ſpukt uͤberall, wie Hamlets Vater¬<lb/> geſpenſt *: ja, was heimlich begehrt jeder Wuͤſtling,<lb/> verwirft er in jedem Schaukreiſe doch, als Mitbuͤrger<lb/> ſtets und laut **; denn wer Pflicht nie hoͤrte fuͤr ſich,<lb/> erkennt Rechtsheil dennoch fuͤr alle: drum nicht aus<lb/> lichtſcheuer Willkuͤr, nein aus offnem Freiheitsdrange,<lb/> quillt aͤchtes Geſetz; und <hi rendition="#g">ſo</hi> wohnt im Volkmunde Him¬<lb/> melswort, ſollt' auch Erbduͤnkel es nennen Verſchwoͤrung.</p><lb/> <note place="end"> <cit> <quote>* Für Aug' und Ohr gibt es keine Geiſterwelt, ſondern nur<lb/> die Körperwelt, in welcher jene waltet und erſchafft.</quote><lb/> <bibl rendition="#right">Jean Paul.</bibl> </cit><lb/> </note> <note place="end"> <p>** Solch eine Thatſache konnt' auch einem Beobachter wie<lb/> Lichtenberg ſchwerlich entſchlüpfen. In eins ſeiner Gedankenbücher,<lb/> alſo freilich nur unter der Form eines abgeriſſenen Einfalls, hat<lb/> er ſie niedergelegt; und mit jener Laune, die zu den Eigenheiten<lb/> dieſes ſeltnen Geiſtes gehörte. Doch hier ſeine Worte ſelbſt:</p><lb/> <p>„Wenn ein toller Kopf des Teufels Streiche anfängt, iſt es<lb/> deßwegen eine Folge, daß auch jede Rathsverſammlung von zwölf<lb/></p> </note> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [181/0195]
Was ihr erträumt ſo lange, leibhaftig ſteht es da,
Es klopft an eure Pforte — ihr ſchließt ihm euer Haus —
Sieht es denn gar ſo anders, als ihr es träumtet, aus?
Wilhelm Müller.
2. Einzelwunſch und Geſammtblick.
„Kann es geben oͤffentliche Meinung, Volkswillen,
Gemeingeiſt?“
— Ernſter wohl keine Frage: verneint ſie ein Staats¬
mann, woher noch fernweiſes Ziel, naͤchſtkluger Vor¬
ſchritt! Nirgend freilich ſchaut Erdenſinn Geiſt, waͤhrend
dieſer maulwurfsartig ſpukt uͤberall, wie Hamlets Vater¬
geſpenſt *: ja, was heimlich begehrt jeder Wuͤſtling,
verwirft er in jedem Schaukreiſe doch, als Mitbuͤrger
ſtets und laut **; denn wer Pflicht nie hoͤrte fuͤr ſich,
erkennt Rechtsheil dennoch fuͤr alle: drum nicht aus
lichtſcheuer Willkuͤr, nein aus offnem Freiheitsdrange,
quillt aͤchtes Geſetz; und ſo wohnt im Volkmunde Him¬
melswort, ſollt' auch Erbduͤnkel es nennen Verſchwoͤrung.
* Für Aug' und Ohr gibt es keine Geiſterwelt, ſondern nur
die Körperwelt, in welcher jene waltet und erſchafft.
Jean Paul.
** Solch eine Thatſache konnt' auch einem Beobachter wie
Lichtenberg ſchwerlich entſchlüpfen. In eins ſeiner Gedankenbücher,
alſo freilich nur unter der Form eines abgeriſſenen Einfalls, hat
er ſie niedergelegt; und mit jener Laune, die zu den Eigenheiten
dieſes ſeltnen Geiſtes gehörte. Doch hier ſeine Worte ſelbſt:
„Wenn ein toller Kopf des Teufels Streiche anfängt, iſt es
deßwegen eine Folge, daß auch jede Rathsverſammlung von zwölf
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