noch mehr beschieden, -- ich fand dort einen Baron Herbert aus Klagenfurt, den die Liebe zum Wissen allein bis dorthin geführt hatte, und der daher meine ganze Aufmerksamkeit auf sich zog. So wie das In¬ teresse am Vergänglichen die Menschen theilt und Zwie¬ tracht unter sie bringt, so einigt sie das Interesse am Unvergänglichen, d. h. an Wahrheit, Kunst und Recht, und verbindet sie zur Freundschaft. Wir wurden daher bald die innigsten Freunde, und die seligen Stunden, die wir in Gesellschaft verlebten, ersetzten mir meinen Osterhausen. Ich versprach ihm, nach meinem Besuch bei Kant zu ihm zu kommen.
Durch Schillers Bekanntschaft wurde ich veranlaßt, ihn in Rudolstadt bei seinem Schwager zu besuchen. Ich verlebte hier einige der glücklichsten Tage meines Lebens, unter lauter gebildeten Menschen, die mich an äußerer Bildung alle übertrafen, und die doch Güte genug hatten, mir meine innere als einen Ersatz für die äußere anzunehmen. Die Prinzen und Prinzessinnen kamen beständig in dieses Haus, und meine geringe Fertigkeit im Zeichnen und Kenntniß des Generalbasses erwarb mir ihre Gunst. Ich wurde hier zum erstenmal Schriftsteller und schrieb den Anfang einer Sammlung von Gesprächen, wozu ich den Plan schon früher ge¬ macht hatte. Sie wurden unter der Aufschrift: "Mi¬ mer und seine jungen Freunde" in der Thalia ab¬ gedruckt.
noch mehr beſchieden, — ich fand dort einen Baron Herbert aus Klagenfurt, den die Liebe zum Wiſſen allein bis dorthin gefuͤhrt hatte, und der daher meine ganze Aufmerkſamkeit auf ſich zog. So wie das In¬ tereſſe am Vergaͤnglichen die Menſchen theilt und Zwie¬ tracht unter ſie bringt, ſo einigt ſie das Intereſſe am Unvergaͤnglichen, d. h. an Wahrheit, Kunſt und Recht, und verbindet ſie zur Freundſchaft. Wir wurden daher bald die innigſten Freunde, und die ſeligen Stunden, die wir in Geſellſchaft verlebten, erſetzten mir meinen Oſterhauſen. Ich verſprach ihm, nach meinem Beſuch bei Kant zu ihm zu kommen.
Durch Schillers Bekanntſchaft wurde ich veranlaßt, ihn in Rudolſtadt bei ſeinem Schwager zu beſuchen. Ich verlebte hier einige der gluͤcklichſten Tage meines Lebens, unter lauter gebildeten Menſchen, die mich an aͤußerer Bildung alle uͤbertrafen, und die doch Guͤte genug hatten, mir meine innere als einen Erſatz fuͤr die aͤußere anzunehmen. Die Prinzen und Prinzeſſinnen kamen beſtaͤndig in dieſes Haus, und meine geringe Fertigkeit im Zeichnen und Kenntniß des Generalbaſſes erwarb mir ihre Gunſt. Ich wurde hier zum erſtenmal Schriftſteller und ſchrieb den Anfang einer Sammlung von Geſpraͤchen, wozu ich den Plan ſchon fruͤher ge¬ macht hatte. Sie wurden unter der Aufſchrift: „Mi¬ mer und ſeine jungen Freunde“ in der Thalia ab¬ gedruckt.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0270"n="256"/>
noch mehr beſchieden, — ich fand dort einen Baron<lb/>
Herbert aus Klagenfurt, den die Liebe zum Wiſſen<lb/>
allein bis dorthin gefuͤhrt hatte, und der daher meine<lb/>
ganze Aufmerkſamkeit auf ſich zog. So wie das In¬<lb/>
tereſſe am Vergaͤnglichen die Menſchen theilt und Zwie¬<lb/>
tracht unter ſie bringt, ſo einigt ſie das Intereſſe am<lb/>
Unvergaͤnglichen, d. h. an Wahrheit, Kunſt und Recht,<lb/>
und verbindet ſie zur Freundſchaft. Wir wurden daher<lb/>
bald die innigſten Freunde, und die ſeligen Stunden,<lb/>
die wir in Geſellſchaft verlebten, erſetzten mir meinen<lb/>
Oſterhauſen. Ich verſprach ihm, nach meinem Beſuch<lb/>
bei Kant zu ihm zu kommen.</p><lb/><p>Durch Schillers Bekanntſchaft wurde ich veranlaßt,<lb/>
ihn in Rudolſtadt bei ſeinem Schwager zu beſuchen.<lb/>
Ich verlebte hier einige der gluͤcklichſten Tage meines<lb/>
Lebens, unter lauter gebildeten Menſchen, die mich an<lb/>
aͤußerer Bildung alle uͤbertrafen, und die doch Guͤte<lb/>
genug hatten, mir meine innere als einen Erſatz fuͤr<lb/>
die aͤußere anzunehmen. Die Prinzen und Prinzeſſinnen<lb/>
kamen beſtaͤndig in dieſes Haus, und meine geringe<lb/>
Fertigkeit im Zeichnen und Kenntniß des Generalbaſſes<lb/>
erwarb mir ihre Gunſt. Ich wurde hier zum erſtenmal<lb/>
Schriftſteller und ſchrieb den Anfang einer Sammlung<lb/>
von Geſpraͤchen, wozu ich den Plan ſchon fruͤher ge¬<lb/>
macht hatte. Sie wurden unter der Aufſchrift: „Mi¬<lb/>
mer und ſeine jungen Freunde“ in der Thalia ab¬<lb/>
gedruckt.</p><lb/></div></div></div></body></text></TEI>
[256/0270]
noch mehr beſchieden, — ich fand dort einen Baron
Herbert aus Klagenfurt, den die Liebe zum Wiſſen
allein bis dorthin gefuͤhrt hatte, und der daher meine
ganze Aufmerkſamkeit auf ſich zog. So wie das In¬
tereſſe am Vergaͤnglichen die Menſchen theilt und Zwie¬
tracht unter ſie bringt, ſo einigt ſie das Intereſſe am
Unvergaͤnglichen, d. h. an Wahrheit, Kunſt und Recht,
und verbindet ſie zur Freundſchaft. Wir wurden daher
bald die innigſten Freunde, und die ſeligen Stunden,
die wir in Geſellſchaft verlebten, erſetzten mir meinen
Oſterhauſen. Ich verſprach ihm, nach meinem Beſuch
bei Kant zu ihm zu kommen.
Durch Schillers Bekanntſchaft wurde ich veranlaßt,
ihn in Rudolſtadt bei ſeinem Schwager zu beſuchen.
Ich verlebte hier einige der gluͤcklichſten Tage meines
Lebens, unter lauter gebildeten Menſchen, die mich an
aͤußerer Bildung alle uͤbertrafen, und die doch Guͤte
genug hatten, mir meine innere als einen Erſatz fuͤr
die aͤußere anzunehmen. Die Prinzen und Prinzeſſinnen
kamen beſtaͤndig in dieſes Haus, und meine geringe
Fertigkeit im Zeichnen und Kenntniß des Generalbaſſes
erwarb mir ihre Gunſt. Ich wurde hier zum erſtenmal
Schriftſteller und ſchrieb den Anfang einer Sammlung
von Geſpraͤchen, wozu ich den Plan ſchon fruͤher ge¬
macht hatte. Sie wurden unter der Aufſchrift: „Mi¬
mer und ſeine jungen Freunde“ in der Thalia ab¬
gedruckt.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 1. Mannheim, 1837, S. 256. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten01_1837/270>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.