Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 1. Mannheim, 1837.

Bild:
<< vorherige Seite

lachen mußte, und wurde noch böser, als ich, da er
mit hochweiser Miene über mein thema de nutritione
bemerkte, daß ich darinnen der membrana ruyschiana
nicht einmal erwähnt hätte, ihm sagte, daß zu ihrer
Erzeugung keine Gelegenheit im gesunden lebenden Kör¬
per sich fände. Ich wurde aber doch zur Disputation
zugelassen und promovirt. Ich weiß mir nur aus mei¬
ner melancholischen Gemüthsstimmung, die ich oben
schilderte, und die mich verhinderte, frei über die Be¬
gebenheiten zu reflektiren, zu erklären, daß mich mein
Examen weniger belehrte, als mein Streit mit meiner
Großmutter über die Gespenster, und daß ich erst seit
kurzem lernte, daß, so wie der Aberglaube nicht durch
Erfahrung, der Eigendünkel der Gelehrsamkeit auch nicht
durch gründliche Beurtheilung der von ihm nachgebeteten
angeblichen Erfahrung zu bezwingen ist. Nach erlangter
Doctorwürde heirathete ich, und wollte mich einer bloß
schriftstellerischen Laufbahn widmen, um meinen sehr
frühe gemachten Entwurf einer Theorie der Gesetzgebung
auszuführen. Mein Organon der Heilkunde, eine Un¬
tersuchung über die Verrückungen, und der philosophische
Roman: Mimer und seine jungen Freunde, sollten in
Zwischenzeiten zur Erholung ausgearbeitet werden, da¬
mit mein Geist nicht durch Einförmigkeit des Gegen¬
standes erlahmte. Durch ein freies Spiel meiner Gei¬
steskräfte mit allen Gegenständen des Wissens und
Könnens, unter dem Titel: Arkesilas, wollte ich mich

lachen mußte, und wurde noch boͤſer, als ich, da er
mit hochweiſer Miene uͤber mein thema de nutritione
bemerkte, daß ich darinnen der membrana ruyschiana
nicht einmal erwaͤhnt haͤtte, ihm ſagte, daß zu ihrer
Erzeugung keine Gelegenheit im geſunden lebenden Koͤr¬
per ſich faͤnde. Ich wurde aber doch zur Disputation
zugelaſſen und promovirt. Ich weiß mir nur aus mei¬
ner melancholiſchen Gemuͤthsſtimmung, die ich oben
ſchilderte, und die mich verhinderte, frei uͤber die Be¬
gebenheiten zu reflektiren, zu erklaͤren, daß mich mein
Examen weniger belehrte, als mein Streit mit meiner
Großmutter uͤber die Geſpenſter, und daß ich erſt ſeit
kurzem lernte, daß, ſo wie der Aberglaube nicht durch
Erfahrung, der Eigenduͤnkel der Gelehrſamkeit auch nicht
durch gruͤndliche Beurtheilung der von ihm nachgebeteten
angeblichen Erfahrung zu bezwingen iſt. Nach erlangter
Doctorwuͤrde heirathete ich, und wollte mich einer bloß
ſchriftſtelleriſchen Laufbahn widmen, um meinen ſehr
fruͤhe gemachten Entwurf einer Theorie der Geſetzgebung
auszufuͤhren. Mein Organon der Heilkunde, eine Un¬
terſuchung uͤber die Verruͤckungen, und der philoſophiſche
Roman: Mimer und ſeine jungen Freunde, ſollten in
Zwiſchenzeiten zur Erholung ausgearbeitet werden, da¬
mit mein Geiſt nicht durch Einfoͤrmigkeit des Gegen¬
ſtandes erlahmte. Durch ein freies Spiel meiner Gei¬
ſteskraͤfte mit allen Gegenſtaͤnden des Wiſſens und
Koͤnnens, unter dem Titel: Arkeſilas, wollte ich mich

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0275" n="261"/>
lachen mußte, und wurde noch bo&#x0364;&#x017F;er, als ich, da er<lb/>
mit hochwei&#x017F;er Miene u&#x0364;ber mein <hi rendition="#aq">thema de nutritione</hi><lb/>
bemerkte, daß ich darinnen der <hi rendition="#aq">membrana ruyschiana</hi><lb/>
nicht einmal erwa&#x0364;hnt ha&#x0364;tte, ihm &#x017F;agte, daß zu ihrer<lb/>
Erzeugung keine Gelegenheit im ge&#x017F;unden lebenden Ko&#x0364;<lb/>
per &#x017F;ich fa&#x0364;nde. Ich wurde aber doch zur Disputation<lb/>
zugela&#x017F;&#x017F;en und promovirt. Ich weiß mir nur aus mei¬<lb/>
ner melancholi&#x017F;chen Gemu&#x0364;ths&#x017F;timmung, die ich oben<lb/>
&#x017F;childerte, und die mich verhinderte, frei u&#x0364;ber die Be¬<lb/>
gebenheiten zu reflektiren, zu erkla&#x0364;ren, daß mich mein<lb/>
Examen weniger belehrte, als mein Streit mit meiner<lb/>
Großmutter u&#x0364;ber die Ge&#x017F;pen&#x017F;ter, und daß ich er&#x017F;t &#x017F;eit<lb/>
kurzem lernte, daß, &#x017F;o wie der Aberglaube nicht durch<lb/>
Erfahrung, der Eigendu&#x0364;nkel der Gelehr&#x017F;amkeit auch nicht<lb/>
durch gru&#x0364;ndliche Beurtheilung der von ihm nachgebeteten<lb/>
angeblichen Erfahrung zu bezwingen i&#x017F;t. Nach erlangter<lb/>
Doctorwu&#x0364;rde heirathete ich, und wollte mich einer bloß<lb/>
&#x017F;chrift&#x017F;telleri&#x017F;chen Laufbahn widmen, um meinen &#x017F;ehr<lb/>
fru&#x0364;he gemachten Entwurf einer Theorie der Ge&#x017F;etzgebung<lb/>
auszufu&#x0364;hren. Mein Organon der Heilkunde, eine Un¬<lb/>
ter&#x017F;uchung u&#x0364;ber die Verru&#x0364;ckungen, und der philo&#x017F;ophi&#x017F;che<lb/>
Roman: Mimer und &#x017F;eine jungen Freunde, &#x017F;ollten in<lb/>
Zwi&#x017F;chenzeiten zur Erholung ausgearbeitet werden, da¬<lb/>
mit mein Gei&#x017F;t nicht durch Einfo&#x0364;rmigkeit des Gegen¬<lb/>
&#x017F;tandes erlahmte. Durch ein freies Spiel meiner Gei¬<lb/>
&#x017F;teskra&#x0364;fte mit allen Gegen&#x017F;ta&#x0364;nden des Wi&#x017F;&#x017F;ens und<lb/>
Ko&#x0364;nnens, unter dem Titel: Arke&#x017F;ilas, wollte ich mich<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[261/0275] lachen mußte, und wurde noch boͤſer, als ich, da er mit hochweiſer Miene uͤber mein thema de nutritione bemerkte, daß ich darinnen der membrana ruyschiana nicht einmal erwaͤhnt haͤtte, ihm ſagte, daß zu ihrer Erzeugung keine Gelegenheit im geſunden lebenden Koͤr¬ per ſich faͤnde. Ich wurde aber doch zur Disputation zugelaſſen und promovirt. Ich weiß mir nur aus mei¬ ner melancholiſchen Gemuͤthsſtimmung, die ich oben ſchilderte, und die mich verhinderte, frei uͤber die Be¬ gebenheiten zu reflektiren, zu erklaͤren, daß mich mein Examen weniger belehrte, als mein Streit mit meiner Großmutter uͤber die Geſpenſter, und daß ich erſt ſeit kurzem lernte, daß, ſo wie der Aberglaube nicht durch Erfahrung, der Eigenduͤnkel der Gelehrſamkeit auch nicht durch gruͤndliche Beurtheilung der von ihm nachgebeteten angeblichen Erfahrung zu bezwingen iſt. Nach erlangter Doctorwuͤrde heirathete ich, und wollte mich einer bloß ſchriftſtelleriſchen Laufbahn widmen, um meinen ſehr fruͤhe gemachten Entwurf einer Theorie der Geſetzgebung auszufuͤhren. Mein Organon der Heilkunde, eine Un¬ terſuchung uͤber die Verruͤckungen, und der philoſophiſche Roman: Mimer und ſeine jungen Freunde, ſollten in Zwiſchenzeiten zur Erholung ausgearbeitet werden, da¬ mit mein Geiſt nicht durch Einfoͤrmigkeit des Gegen¬ ſtandes erlahmte. Durch ein freies Spiel meiner Gei¬ ſteskraͤfte mit allen Gegenſtaͤnden des Wiſſens und Koͤnnens, unter dem Titel: Arkeſilas, wollte ich mich

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten01_1837
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten01_1837/275
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 1. Mannheim, 1837, S. 261. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten01_1837/275>, abgerufen am 20.05.2024.