und Liebe schuldig ist, und der im Ganzen sie verdient. Da mir's indessen nicht so leicht wurde, wie's billigerweise mir hätte werden sollen, so war ich recht sehr aus meiner Behaglichkeit herausgeworfen, gab also auch meinen Freunden in Straßburg keine Nachricht von mir -- denn Unthätigkeit ist von Unzufriedenheit eine natürliche Folge -- und so kam's denn, daß ich Ihren Brief vom 14. Februar erst heute erhielt. -- Die Wahrheit zu sagen, ich hab' ihn nicht erwartet. Der Mangel an Antwort auf mein erstes an Sie Erlassenes (um kaufmännisch zu reden), die Ueber¬ zeugung, meine Zeit in Karlsruhe nicht ganz so regelmäßig zu¬ gebracht zu haben, wie ich's gesollt hätte, und ein gewisser Hang zu melancholischen Ideen, der aus alten Zeiten Ihnen noch bekannt sein wird, ließen das Schlimmste mich fürchten. Aeußerst gefreut hat mich daher Ihr lieber, Ihr guter, Ihr herzlicher Brief, weil er mich äußerst überraschte. Er hat mich mehr entzückt, wie das erste gesehene große pantomimische Ballet in der hiesigen großen Opera -- welches sehr stark gesagt ist, und dennoch nicht weniger wahr.
Mein Aufenthalt in Paris wird fünf bis sechs Monate dauern, weil ich gern diese Stadt ganz kennen lernen und der Sprache ganz mächtig werden möchte. Ich werde einige Vorlesungen über Chemie und Physik hören, in der Entbindungskunst unter Bau¬ deloque's Anleitung mich praktisch vervollkommnen, und die Hospi¬ täler besuchen, um zu sehen, wie man nicht praktisiren muß. Um mir indeß Erfahrung in einem Zweige meiner Kunst zu ver¬ schaffen, den ich vorzüglich liebe, um mich unabhängiger von meinem Onkel zu machen, um dessen eigene Wünsche zu erfüllen, und um -- Geld zu verdienen, werd' ich mich in den öffentlichen Blättern als Okulisten ankündigen und dem geneigten Publiko meine Dienste gegen baare Bezahlung entbieten. Der glückliche oder unglückliche Erfolg dieses Projekts hängt von vielen Um¬
und Liebe ſchuldig iſt, und der im Ganzen ſie verdient. Da mir's indeſſen nicht ſo leicht wurde, wie's billigerweiſe mir haͤtte werden ſollen, ſo war ich recht ſehr aus meiner Behaglichkeit herausgeworfen, gab alſo auch meinen Freunden in Straßburg keine Nachricht von mir — denn Unthaͤtigkeit iſt von Unzufriedenheit eine natuͤrliche Folge — und ſo kam's denn, daß ich Ihren Brief vom 14. Februar erſt heute erhielt. — Die Wahrheit zu ſagen, ich hab' ihn nicht erwartet. Der Mangel an Antwort auf mein erſtes an Sie Erlaſſenes (um kaufmaͤnniſch zu reden), die Ueber¬ zeugung, meine Zeit in Karlsruhe nicht ganz ſo regelmaͤßig zu¬ gebracht zu haben, wie ich's geſollt haͤtte, und ein gewiſſer Hang zu melancholiſchen Ideen, der aus alten Zeiten Ihnen noch bekannt ſein wird, ließen das Schlimmſte mich fuͤrchten. Aeußerſt gefreut hat mich daher Ihr lieber, Ihr guter, Ihr herzlicher Brief, weil er mich aͤußerſt uͤberraſchte. Er hat mich mehr entzuͤckt, wie das erſte geſehene große pantomimiſche Ballet in der hieſigen großen Opera — welches ſehr ſtark geſagt iſt, und dennoch nicht weniger wahr.
Mein Aufenthalt in Paris wird fuͤnf bis ſechs Monate dauern, weil ich gern dieſe Stadt ganz kennen lernen und der Sprache ganz maͤchtig werden moͤchte. Ich werde einige Vorleſungen uͤber Chemie und Phyſik hoͤren, in der Entbindungskunſt unter Bau¬ deloque's Anleitung mich praktiſch vervollkommnen, und die Hoſpi¬ taͤler beſuchen, um zu ſehen, wie man nicht praktiſiren muß. Um mir indeß Erfahrung in einem Zweige meiner Kunſt zu ver¬ ſchaffen, den ich vorzuͤglich liebe, um mich unabhaͤngiger von meinem Onkel zu machen, um deſſen eigene Wuͤnſche zu erfuͤllen, und um — Geld zu verdienen, werd' ich mich in den oͤffentlichen Blaͤttern als Okuliſten ankuͤndigen und dem geneigten Publiko meine Dienſte gegen baare Bezahlung entbieten. Der gluͤckliche oder ungluͤckliche Erfolg dieſes Projekts haͤngt von vielen Um¬
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und Liebe ſchuldig iſt, und der im Ganzen ſie verdient. Da
mir's indeſſen nicht ſo leicht wurde, wie's billigerweiſe mir haͤtte
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herausgeworfen, gab alſo auch meinen Freunden in Straßburg keine
Nachricht von mir — denn Unthaͤtigkeit iſt von Unzufriedenheit
eine natuͤrliche Folge — und ſo kam's denn, daß ich Ihren Brief
vom 14. Februar erſt heute erhielt. — Die Wahrheit zu ſagen,
ich hab' ihn nicht erwartet. Der Mangel an Antwort auf mein
erſtes an Sie Erlaſſenes (um kaufmaͤnniſch zu reden), die Ueber¬
zeugung, meine Zeit in Karlsruhe nicht ganz ſo regelmaͤßig zu¬
gebracht zu haben, wie ich's geſollt haͤtte, und ein gewiſſer Hang
zu melancholiſchen Ideen, der aus alten Zeiten Ihnen noch bekannt
ſein wird, ließen das Schlimmſte mich fuͤrchten. Aeußerſt gefreut
hat mich daher Ihr lieber, Ihr guter, Ihr herzlicher Brief,
weil er mich aͤußerſt uͤberraſchte. Er hat mich mehr entzuͤckt,
wie das erſte geſehene große pantomimiſche Ballet in der hieſigen
großen Opera — welches ſehr ſtark geſagt iſt, und dennoch nicht
weniger wahr.
Mein Aufenthalt in Paris wird fuͤnf bis ſechs Monate dauern,
weil ich gern dieſe Stadt ganz kennen lernen und der Sprache
ganz maͤchtig werden moͤchte. Ich werde einige Vorleſungen uͤber
Chemie und Phyſik hoͤren, in der Entbindungskunſt unter Bau¬
deloque's Anleitung mich praktiſch vervollkommnen, und die Hoſpi¬
taͤler beſuchen, um zu ſehen, wie man nicht praktiſiren muß.
Um mir indeß Erfahrung in einem Zweige meiner Kunſt zu ver¬
ſchaffen, den ich vorzuͤglich liebe, um mich unabhaͤngiger von
meinem Onkel zu machen, um deſſen eigene Wuͤnſche zu erfuͤllen,
und um — Geld zu verdienen, werd' ich mich in den oͤffentlichen
Blaͤttern als Okuliſten ankuͤndigen und dem geneigten Publiko
meine Dienſte gegen baare Bezahlung entbieten. Der gluͤckliche
oder ungluͤckliche Erfolg dieſes Projekts haͤngt von vielen Um¬
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Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 1. Mannheim, 1837, S. 14. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten01_1837/28>, abgerufen am 21.11.2024.
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