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Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 1. Mannheim, 1837.

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und Verborgenste seines Zustandes errathen sah, be¬
vor noch dessen mühsame Schilderung begonnen hatte.
Er konnte zerstreut scheinen, wahrend er sehr aufmerk¬
sam war, von fremdartigen Dingen reden, während
seine volle Theilnahme dem Kranken gewidmet blieb.
Zutrauen und Anhänglichkeit flößte er jedem ein, der
seine Hülfe erfuhr. Sein schlichtes, unbekümmertes
Wesen, das auf die äußeren Formen des geselligen
Umgangs wenig Werth legte, ihn Schmeicheleien weder
ausüben noch annehmen ließ, ihn von den niedrigen
Künsten der Sucht zu gelten, der heuchlerischen Welt¬
klugheit und des schnöden Eigennutzes fern hielt, und
dabei die klare Sicherheit und Bestimmtheit seines Ur¬
theilens und Handelns, kamen auch seiner ärztlichen
Wirksamkeit zu gut. In späteren Jahren verließ er,
wie schon vor ihm Röschlaub, das Brown'sche System,
welches durch anhaltende Erfahrung bei ihm erschüttert
worden war, doch gab er nicht zu, daß er den Sätzen
desselben aus bloßem Irrthum angehangen, sondern
meinte, die Stimmung des menschlichen Organismus
und der Karakter der Krankheiten selbst verändre sich,
und es sei daher gar wohl anzunehmen, daß eine ärzt¬
liche Methode, die wir jetzt verwerfen müssen, zu ihrer
Zeit vollkommen zweckmäßig gewesen sei. Den Wunder¬
kuren, dem magnetischen Treiben war er stets feind.
Gleichwohl hatte er in der Physik, mit der er sich vor¬
zugsweise gern beschäftigte, die eigenthümlichsten Ideen,

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und Verborgenſte ſeines Zuſtandes errathen ſah, be¬
vor noch deſſen muͤhſame Schilderung begonnen hatte.
Er konnte zerſtreut ſcheinen, wahrend er ſehr aufmerk¬
ſam war, von fremdartigen Dingen reden, waͤhrend
ſeine volle Theilnahme dem Kranken gewidmet blieb.
Zutrauen und Anhaͤnglichkeit floͤßte er jedem ein, der
ſeine Huͤlfe erfuhr. Sein ſchlichtes, unbekuͤmmertes
Weſen, das auf die aͤußeren Formen des geſelligen
Umgangs wenig Werth legte, ihn Schmeicheleien weder
ausuͤben noch annehmen ließ, ihn von den niedrigen
Kuͤnſten der Sucht zu gelten, der heuchleriſchen Welt¬
klugheit und des ſchnoͤden Eigennutzes fern hielt, und
dabei die klare Sicherheit und Beſtimmtheit ſeines Ur¬
theilens und Handelns, kamen auch ſeiner aͤrztlichen
Wirkſamkeit zu gut. In ſpaͤteren Jahren verließ er,
wie ſchon vor ihm Roͤſchlaub, das Brown'ſche Syſtem,
welches durch anhaltende Erfahrung bei ihm erſchuͤttert
worden war, doch gab er nicht zu, daß er den Saͤtzen
deſſelben aus bloßem Irrthum angehangen, ſondern
meinte, die Stimmung des menſchlichen Organismus
und der Karakter der Krankheiten ſelbſt veraͤndre ſich,
und es ſei daher gar wohl anzunehmen, daß eine aͤrzt¬
liche Methode, die wir jetzt verwerfen muͤſſen, zu ihrer
Zeit vollkommen zweckmaͤßig geweſen ſei. Den Wunder¬
kuren, dem magnetiſchen Treiben war er ſtets feind.
Gleichwohl hatte er in der Phyſik, mit der er ſich vor¬
zugsweiſe gern beſchaͤftigte, die eigenthuͤmlichſten Ideen,

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[273/0287] und Verborgenſte ſeines Zuſtandes errathen ſah, be¬ vor noch deſſen muͤhſame Schilderung begonnen hatte. Er konnte zerſtreut ſcheinen, wahrend er ſehr aufmerk¬ ſam war, von fremdartigen Dingen reden, waͤhrend ſeine volle Theilnahme dem Kranken gewidmet blieb. Zutrauen und Anhaͤnglichkeit floͤßte er jedem ein, der ſeine Huͤlfe erfuhr. Sein ſchlichtes, unbekuͤmmertes Weſen, das auf die aͤußeren Formen des geſelligen Umgangs wenig Werth legte, ihn Schmeicheleien weder ausuͤben noch annehmen ließ, ihn von den niedrigen Kuͤnſten der Sucht zu gelten, der heuchleriſchen Welt¬ klugheit und des ſchnoͤden Eigennutzes fern hielt, und dabei die klare Sicherheit und Beſtimmtheit ſeines Ur¬ theilens und Handelns, kamen auch ſeiner aͤrztlichen Wirkſamkeit zu gut. In ſpaͤteren Jahren verließ er, wie ſchon vor ihm Roͤſchlaub, das Brown'ſche Syſtem, welches durch anhaltende Erfahrung bei ihm erſchuͤttert worden war, doch gab er nicht zu, daß er den Saͤtzen deſſelben aus bloßem Irrthum angehangen, ſondern meinte, die Stimmung des menſchlichen Organismus und der Karakter der Krankheiten ſelbſt veraͤndre ſich, und es ſei daher gar wohl anzunehmen, daß eine aͤrzt¬ liche Methode, die wir jetzt verwerfen muͤſſen, zu ihrer Zeit vollkommen zweckmaͤßig geweſen ſei. Den Wunder¬ kuren, dem magnetiſchen Treiben war er ſtets feind. Gleichwohl hatte er in der Phyſik, mit der er ſich vor¬ zugsweiſe gern beſchaͤftigte, die eigenthuͤmlichſten Ideen, 18

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Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 1. Mannheim, 1837, S. 273. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten01_1837/287>, abgerufen am 24.11.2024.