in ihr das Vollkommenste, er erwartet von ihr jede geistige Erhebung und sittliche Förderung, er schwelgt in Bewunderung und leidenschaftlicher Zuneigung. Sein Geist macht inzwischen große Fortschritte, seine Denk¬ art entscheidet sich zu fester Bestimmtheit, er ist zwar für die Welt noch nicht, aber für sich zum Manne ge¬ worden, und auch diese Gewinnste sämmtlich haben die innigste Verknüpfung mit seiner Liebe, die an ihnen gebend und empfangend Theil hat. Und dennoch, bei allem Feuer, bei aller Begeisterung, bei aller Zärtlich¬ keit, welche hier ausgedrückt wird, fehlt im Grunde, wir müssen es sagen, doch eigentliche Liebe ganz! In Wahrheit, dies ist, wenn auch oft ihr Wort, nicht ihre, Art und Richtung. Das Leidenschaftliche, die Span¬ nung, das Bedürfniß, die Vertraulichkeit, dies alles entbehrt, wie wir wenigstens hier es sehen, des einen Vorzuges, der einzig den Karakter wahrer Liebe aus¬ macht, -- der Nothwendigkeit dieser bestimmten Per¬ sönlichkeit! Das unbedingt Individuelle des Menschen, als tiefster Grund der unerklärbaren Zuneigung, er¬ scheint hier nicht als Gegenstand; Eigenschaften sind es vielmehr, die mit Bewußtsein gefaßt, geschätzt sind, vielleicht vorausgesetzt. Könnte dem äußeren Sinne die Täuschung bereitet, dem Bewußtsein die Versetzung entzogen werden, so ließe solche blos auf Eigenschaften gerichtete allgemeine Leidenschaft mit all ihrem Zubehör sich auf die verschiedensten Personen leichtlich übertra¬
in ihr das Vollkommenſte, er erwartet von ihr jede geiſtige Erhebung und ſittliche Foͤrderung, er ſchwelgt in Bewunderung und leidenſchaftlicher Zuneigung. Sein Geiſt macht inzwiſchen große Fortſchritte, ſeine Denk¬ art entſcheidet ſich zu feſter Beſtimmtheit, er iſt zwar fuͤr die Welt noch nicht, aber fuͤr ſich zum Manne ge¬ worden, und auch dieſe Gewinnſte ſaͤmmtlich haben die innigſte Verknuͤpfung mit ſeiner Liebe, die an ihnen gebend und empfangend Theil hat. Und dennoch, bei allem Feuer, bei aller Begeiſterung, bei aller Zaͤrtlich¬ keit, welche hier ausgedruͤckt wird, fehlt im Grunde, wir muͤſſen es ſagen, doch eigentliche Liebe ganz! In Wahrheit, dies iſt, wenn auch oft ihr Wort, nicht ihre, Art und Richtung. Das Leidenſchaftliche, die Span¬ nung, das Beduͤrfniß, die Vertraulichkeit, dies alles entbehrt, wie wir wenigſtens hier es ſehen, des einen Vorzuges, der einzig den Karakter wahrer Liebe aus¬ macht, — der Nothwendigkeit dieſer beſtimmten Per¬ ſoͤnlichkeit! Das unbedingt Individuelle des Menſchen, als tiefſter Grund der unerklaͤrbaren Zuneigung, er¬ ſcheint hier nicht als Gegenſtand; Eigenſchaften ſind es vielmehr, die mit Bewußtſein gefaßt, geſchaͤtzt ſind, vielleicht vorausgeſetzt. Koͤnnte dem aͤußeren Sinne die Taͤuſchung bereitet, dem Bewußtſein die Verſetzung entzogen werden, ſo ließe ſolche blos auf Eigenſchaften gerichtete allgemeine Leidenſchaft mit all ihrem Zubehoͤr ſich auf die verſchiedenſten Perſonen leichtlich uͤbertra¬
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in ihr das Vollkommenſte, er erwartet von ihr jede
geiſtige Erhebung und ſittliche Foͤrderung, er ſchwelgt
in Bewunderung und leidenſchaftlicher Zuneigung. Sein
Geiſt macht inzwiſchen große Fortſchritte, ſeine Denk¬
art entſcheidet ſich zu feſter Beſtimmtheit, er iſt zwar
fuͤr die Welt noch nicht, aber fuͤr ſich zum Manne ge¬
worden, und auch dieſe Gewinnſte ſaͤmmtlich haben die
innigſte Verknuͤpfung mit ſeiner Liebe, die an ihnen
gebend und empfangend Theil hat. Und dennoch, bei
allem Feuer, bei aller Begeiſterung, bei aller Zaͤrtlich¬
keit, welche hier ausgedruͤckt wird, fehlt im Grunde,
wir muͤſſen es ſagen, doch eigentliche Liebe ganz! In
Wahrheit, dies iſt, wenn auch oft ihr Wort, nicht ihre,
Art und Richtung. Das Leidenſchaftliche, die Span¬
nung, das Beduͤrfniß, die Vertraulichkeit, dies alles
entbehrt, wie wir wenigſtens hier es ſehen, des einen
Vorzuges, der einzig den Karakter wahrer Liebe aus¬
macht, — der Nothwendigkeit dieſer beſtimmten Per¬
ſoͤnlichkeit! Das unbedingt Individuelle des Menſchen,
als tiefſter Grund der unerklaͤrbaren Zuneigung, er¬
ſcheint hier nicht als Gegenſtand; Eigenſchaften ſind es
vielmehr, die mit Bewußtſein gefaßt, geſchaͤtzt ſind,
vielleicht vorausgeſetzt. Koͤnnte dem aͤußeren Sinne
die Taͤuſchung bereitet, dem Bewußtſein die Verſetzung
entzogen werden, ſo ließe ſolche blos auf Eigenſchaften
gerichtete allgemeine Leidenſchaft mit all ihrem Zubehoͤr
ſich auf die verſchiedenſten Perſonen leichtlich uͤbertra¬
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Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 1. Mannheim, 1837, S. 287. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten01_1837/301>, abgerufen am 22.11.2024.
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