verließ er nie die Sache, um die Person aufzusuchen. Auch Nicolai hatte ihn persönlich und sogar bürgerlich verunglimpft, eine Antwort mußte erfolgen, und sie erfolgte mit Bitterkeit. Dem öffentlichen Schreiben an Nicolai fügte er noch ein handschriftliches bei, welches eine Milderung bedeuten wollte, aber selbst bei solcher Absicht nicht vermochte, ohne Ironie zu bleiben. Die spätere Druckschrift an Jean Paul Richter und an Herder muß gleichfalls in der Tagesbeleuchtung jener Zeit be¬ urtheilt werden; sie ist ihr nicht eben ungünstig. Wie gemessen, nachgiebig und doch kräftig Erhard bürgerliche Beleidigungen zu behandeln wußte, sehen wir aus seiner Antwort an einen Arzt in Berlin, der ihn übereilt und grundlos einer Ungebühr beschuldigt hatte. Ueberhaupt stritt er, wo es Erkenntniß galt und eine Sache aus¬ zumitteln war, strenger und hartnäckiger; in Fällen andrer Art glaubte er oft lieber ein Unrecht oder einen Nachtheil halb oder ganz hinnehmen zu können, als sich in Kampf einzulassen, oder den begonnenen völlig durchzufechten. Seine späteren Lebensjahre waren im Ganzen milde und nachsichtig im geselligen wie im bür¬ gerlichen Verkehr, ohne darum der Strenge seines Ur¬ theils und der Beharrlichkeit seiner Ansicht das Geringste zu vergeben; wer diese unmittelbar herauszufordern versucht war, konnte leicht eine scharf treffende, in ihrer Wirkung schnöde abfertigende Zurechtweisung von ihm erfahren, er müßte denn selbst eine Aenderung
verließ er nie die Sache, um die Perſon aufzuſuchen. Auch Nicolai hatte ihn perſoͤnlich und ſogar buͤrgerlich verunglimpft, eine Antwort mußte erfolgen, und ſie erfolgte mit Bitterkeit. Dem oͤffentlichen Schreiben an Nicolai fuͤgte er noch ein handſchriftliches bei, welches eine Milderung bedeuten wollte, aber ſelbſt bei ſolcher Abſicht nicht vermochte, ohne Ironie zu bleiben. Die ſpaͤtere Druckſchrift an Jean Paul Richter und an Herder muß gleichfalls in der Tagesbeleuchtung jener Zeit be¬ urtheilt werden; ſie iſt ihr nicht eben unguͤnſtig. Wie gemeſſen, nachgiebig und doch kraͤftig Erhard buͤrgerliche Beleidigungen zu behandeln wußte, ſehen wir aus ſeiner Antwort an einen Arzt in Berlin, der ihn uͤbereilt und grundlos einer Ungebuͤhr beſchuldigt hatte. Ueberhaupt ſtritt er, wo es Erkenntniß galt und eine Sache aus¬ zumitteln war, ſtrenger und hartnaͤckiger; in Faͤllen andrer Art glaubte er oft lieber ein Unrecht oder einen Nachtheil halb oder ganz hinnehmen zu koͤnnen, als ſich in Kampf einzulaſſen, oder den begonnenen voͤllig durchzufechten. Seine ſpaͤteren Lebensjahre waren im Ganzen milde und nachſichtig im geſelligen wie im buͤr¬ gerlichen Verkehr, ohne darum der Strenge ſeines Ur¬ theils und der Beharrlichkeit ſeiner Anſicht das Geringſte zu vergeben; wer dieſe unmittelbar herauszufordern verſucht war, konnte leicht eine ſcharf treffende, in ihrer Wirkung ſchnoͤde abfertigende Zurechtweiſung von ihm erfahren, er muͤßte denn ſelbſt eine Aenderung
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><p><pbfacs="#f0315"n="301"/>
verließ er nie die Sache, um die Perſon aufzuſuchen.<lb/>
Auch Nicolai hatte ihn perſoͤnlich und ſogar buͤrgerlich<lb/>
verunglimpft, eine Antwort mußte erfolgen, und ſie<lb/>
erfolgte mit Bitterkeit. Dem oͤffentlichen Schreiben<lb/>
an Nicolai fuͤgte er noch ein handſchriftliches bei, welches<lb/>
eine Milderung bedeuten wollte, aber ſelbſt bei ſolcher<lb/>
Abſicht nicht vermochte, ohne Ironie zu bleiben. Die<lb/>ſpaͤtere Druckſchrift an Jean Paul Richter und an Herder<lb/>
muß gleichfalls in der Tagesbeleuchtung jener Zeit be¬<lb/>
urtheilt werden; ſie iſt ihr nicht eben unguͤnſtig. Wie<lb/>
gemeſſen, nachgiebig und doch kraͤftig Erhard buͤrgerliche<lb/>
Beleidigungen zu behandeln wußte, ſehen wir aus ſeiner<lb/>
Antwort an einen Arzt in Berlin, der ihn uͤbereilt und<lb/>
grundlos einer Ungebuͤhr beſchuldigt hatte. Ueberhaupt<lb/>ſtritt er, wo es Erkenntniß galt und eine Sache aus¬<lb/>
zumitteln war, ſtrenger und hartnaͤckiger; in Faͤllen<lb/>
andrer Art glaubte er oft lieber ein Unrecht oder einen<lb/>
Nachtheil halb oder ganz hinnehmen zu koͤnnen, als<lb/>ſich in Kampf einzulaſſen, oder den begonnenen voͤllig<lb/>
durchzufechten. Seine ſpaͤteren Lebensjahre waren im<lb/>
Ganzen milde und nachſichtig im geſelligen wie im buͤr¬<lb/>
gerlichen Verkehr, ohne darum der Strenge ſeines Ur¬<lb/>
theils und der Beharrlichkeit ſeiner Anſicht das Geringſte<lb/>
zu vergeben; wer dieſe unmittelbar herauszufordern<lb/>
verſucht war, konnte leicht eine ſcharf treffende, in<lb/>
ihrer Wirkung ſchnoͤde abfertigende Zurechtweiſung von<lb/>
ihm erfahren, er muͤßte denn ſelbſt eine Aenderung<lb/></p></div></div></div></div></body></text></TEI>
[301/0315]
verließ er nie die Sache, um die Perſon aufzuſuchen.
Auch Nicolai hatte ihn perſoͤnlich und ſogar buͤrgerlich
verunglimpft, eine Antwort mußte erfolgen, und ſie
erfolgte mit Bitterkeit. Dem oͤffentlichen Schreiben
an Nicolai fuͤgte er noch ein handſchriftliches bei, welches
eine Milderung bedeuten wollte, aber ſelbſt bei ſolcher
Abſicht nicht vermochte, ohne Ironie zu bleiben. Die
ſpaͤtere Druckſchrift an Jean Paul Richter und an Herder
muß gleichfalls in der Tagesbeleuchtung jener Zeit be¬
urtheilt werden; ſie iſt ihr nicht eben unguͤnſtig. Wie
gemeſſen, nachgiebig und doch kraͤftig Erhard buͤrgerliche
Beleidigungen zu behandeln wußte, ſehen wir aus ſeiner
Antwort an einen Arzt in Berlin, der ihn uͤbereilt und
grundlos einer Ungebuͤhr beſchuldigt hatte. Ueberhaupt
ſtritt er, wo es Erkenntniß galt und eine Sache aus¬
zumitteln war, ſtrenger und hartnaͤckiger; in Faͤllen
andrer Art glaubte er oft lieber ein Unrecht oder einen
Nachtheil halb oder ganz hinnehmen zu koͤnnen, als
ſich in Kampf einzulaſſen, oder den begonnenen voͤllig
durchzufechten. Seine ſpaͤteren Lebensjahre waren im
Ganzen milde und nachſichtig im geſelligen wie im buͤr¬
gerlichen Verkehr, ohne darum der Strenge ſeines Ur¬
theils und der Beharrlichkeit ſeiner Anſicht das Geringſte
zu vergeben; wer dieſe unmittelbar herauszufordern
verſucht war, konnte leicht eine ſcharf treffende, in
ihrer Wirkung ſchnoͤde abfertigende Zurechtweiſung von
ihm erfahren, er muͤßte denn ſelbſt eine Aenderung
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 1. Mannheim, 1837, S. 301. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten01_1837/315>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.