er kundig, und vorzüglich der deutschen: Poesie in Kunstform steht ihm fern, aber vom Staat und von der Geschichte aus hat er den Shakespeare ausgefunden. Im Gegensatze der katholi¬ schen Umgebung, in der er sich meist befunden, ist er stets ein strenger Protestant. Von der Welt will er nichts; sein Leben ist ihm gleichgültig; freie Völker, und vorzugsweise freie Deutsche zu sehn, wäre ihm der einzige Trost: er hatte früher mit den Engländern unterhandelt, Deutsche als Kolonisten nach Sicilien zu führen, wo seiner Aussage nach für mehr als dreißigtausend Menschen unbebautes Land liegt; zu einer Auswanderung fände sonst er Candia am besten, das wenige Plätze zum Angriff, und fast überall gute Vertheidigung darbietet; daß dort aus geret¬ teten Deutschen gegen die Unterdrücker des Mutterlandes eine Art Malteserorden sich festsetzte, gehört unter die Ideen, die er vielfach genährt hat, und deren Nicht-Ausführung noch nichts gegen ihre Ausführbarkeit beweist. Dieser treffliche Mann, der wohl, wenn irgend einer, zum Staatsmann geboren ward, -- nur daß er nicht auch die Umstände, die seinen Gaben nöthig waren, schaffen konnte, und seiner Persönlichkeit keine glänzende Erscheinung zu geben wußte, -- der nun über fünfzig Jahre alt ist, und wohl unzählige Schmerzen und Leiden in seiner Laufbahn erfahren hat, wie jeder, der mit hellem Geiste die Verkehrtheit der Handelnden erkennt, und sein leises Reden und Warnen, bei allem Fehlschlagen seiner Mühe, doch immer wieder erneuern muß, hätte auf verschiedene Weise dreimal die Schlacht von Wagram entweder unmöglich gemacht, oder für uns ent¬ schieden, wenn man ihn gehört hätte! Er benutzte seine Be¬ kanntschaft und gewohnten Umgang mit Generalen und Vorneh¬ men, um anspruchslos, wie er war, Einzelnen, die ihm freund¬ lich Gehör gaben, folgende Vorschläge zu thun, die insgesammt unbeachtet blieben. Erstens gab er eine Zeichnung ein, wie ver¬
er kundig, und vorzüglich der deutſchen: Poeſie in Kunſtform ſteht ihm fern, aber vom Staat und von der Geſchichte aus hat er den Shakespeare ausgefunden. Im Gegenſatze der katholi¬ ſchen Umgebung, in der er ſich meiſt befunden, iſt er ſtets ein ſtrenger Proteſtant. Von der Welt will er nichts; ſein Leben iſt ihm gleichgültig; freie Völker, und vorzugsweiſe freie Deutſche zu ſehn, wäre ihm der einzige Troſt: er hatte früher mit den Engländern unterhandelt, Deutſche als Koloniſten nach Sicilien zu führen, wo ſeiner Ausſage nach für mehr als dreißigtauſend Menſchen unbebautes Land liegt; zu einer Auswanderung fände ſonſt er Candia am beſten, das wenige Plätze zum Angriff, und faſt überall gute Vertheidigung darbietet; daß dort aus geret¬ teten Deutſchen gegen die Unterdrücker des Mutterlandes eine Art Malteſerorden ſich feſtſetzte, gehört unter die Ideen, die er vielfach genährt hat, und deren Nicht-Ausführung noch nichts gegen ihre Ausführbarkeit beweiſt. Dieſer treffliche Mann, der wohl, wenn irgend einer, zum Staatsmann geboren ward, — nur daß er nicht auch die Umſtände, die ſeinen Gaben nöthig waren, ſchaffen konnte, und ſeiner Perſönlichkeit keine glänzende Erſcheinung zu geben wußte, — der nun über fünfzig Jahre alt iſt, und wohl unzählige Schmerzen und Leiden in ſeiner Laufbahn erfahren hat, wie jeder, der mit hellem Geiſte die Verkehrtheit der Handelnden erkennt, und ſein leiſes Reden und Warnen, bei allem Fehlſchlagen ſeiner Mühe, doch immer wieder erneuern muß, hätte auf verſchiedene Weiſe dreimal die Schlacht von Wagram entweder unmöglich gemacht, oder für uns ent¬ ſchieden, wenn man ihn gehört hätte! Er benutzte ſeine Be¬ kanntſchaft und gewohnten Umgang mit Generalen und Vorneh¬ men, um anſpruchslos, wie er war, Einzelnen, die ihm freund¬ lich Gehör gaben, folgende Vorſchläge zu thun, die insgeſammt unbeachtet blieben. Erſtens gab er eine Zeichnung ein, wie ver¬
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er kundig, und vorzüglich der deutſchen: Poeſie in Kunſtform
ſteht ihm fern, aber vom Staat und von der Geſchichte aus hat
er den Shakespeare ausgefunden. Im Gegenſatze der katholi¬
ſchen Umgebung, in der er ſich meiſt befunden, iſt er ſtets ein
ſtrenger Proteſtant. Von der Welt will er nichts; ſein Leben
iſt ihm gleichgültig; freie Völker, und vorzugsweiſe freie Deutſche
zu ſehn, wäre ihm der einzige Troſt: er hatte früher mit den
Engländern unterhandelt, Deutſche als Koloniſten nach Sicilien
zu führen, wo ſeiner Ausſage nach für mehr als dreißigtauſend
Menſchen unbebautes Land liegt; zu einer Auswanderung fände
ſonſt er Candia am beſten, das wenige Plätze zum Angriff, und
faſt überall gute Vertheidigung darbietet; daß dort aus geret¬
teten Deutſchen gegen die Unterdrücker des Mutterlandes eine
Art Malteſerorden ſich feſtſetzte, gehört unter die Ideen, die er
vielfach genährt hat, und deren Nicht-Ausführung noch nichts
gegen ihre Ausführbarkeit beweiſt. Dieſer treffliche Mann, der
wohl, wenn irgend einer, zum Staatsmann geboren ward, —
nur daß er nicht auch die Umſtände, die ſeinen Gaben nöthig
waren, ſchaffen konnte, und ſeiner Perſönlichkeit keine glänzende
Erſcheinung zu geben wußte, — der nun über fünfzig Jahre
alt iſt, und wohl unzählige Schmerzen und Leiden in ſeiner
Laufbahn erfahren hat, wie jeder, der mit hellem Geiſte die
Verkehrtheit der Handelnden erkennt, und ſein leiſes Reden und
Warnen, bei allem Fehlſchlagen ſeiner Mühe, doch immer wieder
erneuern muß, hätte auf verſchiedene Weiſe dreimal die Schlacht
von Wagram entweder unmöglich gemacht, oder für uns ent¬
ſchieden, wenn man ihn gehört hätte! Er benutzte ſeine Be¬
kanntſchaft und gewohnten Umgang mit Generalen und Vorneh¬
men, um anſpruchslos, wie er war, Einzelnen, die ihm freund¬
lich Gehör gaben, folgende Vorſchläge zu thun, die insgeſammt
unbeachtet blieben. Erſtens gab er eine Zeichnung ein, wie ver¬
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Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 1. Mannheim, 1837, S. 309. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten01_1837/323>, abgerufen am 22.11.2024.
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