er am nämlichen Tage aus Paris zum Mittagessen ge¬ kommen war. In seinen nachgelassenen Schriften sagt er vom 18. Januar 1803: "Dieser Tag, der meine sechziz Jahre erfüllt, hat mir eine neue Welt eröffnet. Meine geistlichen Hoffnungen wachsen immer mehr. Ich nähere mich, Gott sei es gedankt, den großen Genüssen, die mir seit langer Zeit angekündigt sind, und durch welche die Freuden aufs Höchste steigen werden, von denen mein Dasein in dieser Welt wie beständig begleitet gewesen." Sein Hinscheiden war sanft und freudig. Einen Priester, den man herzugerufen, wollte er nicht annehmen, durch die Weihe seiner geheimen Wissen¬ schaften und Verbindungen, wie er glaubte, schon höheren Graden einer Hierarchie einverleibt, in welcher die Kirche selbst nur als Mitbestandtheil angesehen wurde. Wir lassen die Geheimnisse dahingestellt, und halten uns an seine offenbare Erscheinung. Er war ein reiner und edler Mensch, seine Tugenden entsprachen seinem Geiste; bescheiden und still verhehlte sein Aeußeres die Schätze, die sein Inneres hegte; mild und freundlich in seinem Benehmen, heiter und lebhaft im Gespräch, konnte er unter Freunden hinreißend liebenswürdig sein. Er ge¬ hört zu den auserwählten Geistern, die von Zeit zu Zeit gleich Wesen einer höheren Ordnung unter den Menschen wandeln, damit deren ursprüngliche Würde und Schönheit in Abbildern sichtbar bleibe. Seine zahl¬ reichen Schriften tragen das Zeichen eines eigenthüm¬
er am naͤmlichen Tage aus Paris zum Mittageſſen ge¬ kommen war. In ſeinen nachgelaſſenen Schriften ſagt er vom 18. Januar 1803: „Dieſer Tag, der meine ſechziz Jahre erfuͤllt, hat mir eine neue Welt eroͤffnet. Meine geiſtlichen Hoffnungen wachſen immer mehr. Ich naͤhere mich, Gott ſei es gedankt, den großen Genuͤſſen, die mir ſeit langer Zeit angekuͤndigt ſind, und durch welche die Freuden aufs Hoͤchſte ſteigen werden, von denen mein Daſein in dieſer Welt wie beſtaͤndig begleitet geweſen.” Sein Hinſcheiden war ſanft und freudig. Einen Prieſter, den man herzugerufen, wollte er nicht annehmen, durch die Weihe ſeiner geheimen Wiſſen¬ ſchaften und Verbindungen, wie er glaubte, ſchon hoͤheren Graden einer Hierarchie einverleibt, in welcher die Kirche ſelbſt nur als Mitbeſtandtheil angeſehen wurde. Wir laſſen die Geheimniſſe dahingeſtellt, und halten uns an ſeine offenbare Erſcheinung. Er war ein reiner und edler Menſch, ſeine Tugenden entſprachen ſeinem Geiſte; beſcheiden und ſtill verhehlte ſein Aeußeres die Schaͤtze, die ſein Inneres hegte; mild und freundlich in ſeinem Benehmen, heiter und lebhaft im Geſpraͤch, konnte er unter Freunden hinreißend liebenswuͤrdig ſein. Er ge¬ hoͤrt zu den auserwaͤhlten Geiſtern, die von Zeit zu Zeit gleich Weſen einer hoͤheren Ordnung unter den Menſchen wandeln, damit deren urſpruͤngliche Wuͤrde und Schoͤnheit in Abbildern ſichtbar bleibe. Seine zahl¬ reichen Schriften tragen das Zeichen eines eigenthuͤm¬
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er am naͤmlichen Tage aus Paris zum Mittageſſen ge¬
kommen war. In ſeinen nachgelaſſenen Schriften ſagt
er vom 18. Januar 1803: „Dieſer Tag, der meine
ſechziz Jahre erfuͤllt, hat mir eine neue Welt eroͤffnet.
Meine geiſtlichen Hoffnungen wachſen immer mehr. Ich
naͤhere mich, Gott ſei es gedankt, den großen Genuͤſſen,
die mir ſeit langer Zeit angekuͤndigt ſind, und durch
welche die Freuden aufs Hoͤchſte ſteigen werden, von
denen mein Daſein in dieſer Welt wie beſtaͤndig begleitet
geweſen.” Sein Hinſcheiden war ſanft und freudig.
Einen Prieſter, den man herzugerufen, wollte er nicht
annehmen, durch die Weihe ſeiner geheimen Wiſſen¬
ſchaften und Verbindungen, wie er glaubte, ſchon hoͤheren
Graden einer Hierarchie einverleibt, in welcher die Kirche
ſelbſt nur als Mitbeſtandtheil angeſehen wurde. Wir
laſſen die Geheimniſſe dahingeſtellt, und halten uns an
ſeine offenbare Erſcheinung. Er war ein reiner und
edler Menſch, ſeine Tugenden entſprachen ſeinem Geiſte;
beſcheiden und ſtill verhehlte ſein Aeußeres die Schaͤtze,
die ſein Inneres hegte; mild und freundlich in ſeinem
Benehmen, heiter und lebhaft im Geſpraͤch, konnte er
unter Freunden hinreißend liebenswuͤrdig ſein. Er ge¬
hoͤrt zu den auserwaͤhlten Geiſtern, die von Zeit zu
Zeit gleich Weſen einer hoͤheren Ordnung unter den
Menſchen wandeln, damit deren urſpruͤngliche Wuͤrde
und Schoͤnheit in Abbildern ſichtbar bleibe. Seine zahl¬
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Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 1. Mannheim, 1837, S. 409. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten01_1837/423>, abgerufen am 22.11.2024.
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