ist deutscher, als das, welches man an die Stelle von jenem bringen will!-- Das Leben in kleineren Städ¬ ten, von größeren Mittelpunkten der neuern Zeit entfernt, hat für Goethe'n vielleicht manche Ansicht nicht sogleich in volle Beleuchtung treten lassen, manche Anschauung dunkel gehalten: aber wie nimmt der weise Sinn den kleinsten Schimmer ächten Lichtes, das ihm dargeboten wird, sicher auf, und vertheilt ihn mit Blitzesschnellig¬ keit über das ganze Bild!-- Uebrigens ist Goethe alt, und grade darin jung, daß er die Wesenheit des Alters mit gleicher Frische und Wahrheit in sich aufnimmt, wie er jung die Jugend in sich aufnahm; es ist eine Freude des Lebens, im Hintergrunde der Jahre solche Alte möglich zu sehn, wie Schlabrendorf und Goethe sind. Schön von Antlitz und Bildung, kräftig von Hal¬ tung und mit hoffnungsvoller Gesundheit steht letzterer noch mitten in des Lebens Thätigkeit, auf Nahes be¬ dacht wie auf Fernes, aber die Zeit beisammenhaltend, und nicht das größere Zurückgelegte verkennend. Im Ganzen giebt das Werk über sein Leben -- diese ge¬ haltreichsten Denkwürdigkeiten, in welchen die tiefsinnige Kürze des alten Philosophen mit der homerischen Fülle des alten Dichters vereinigt ist -- den Standpunkt, auf welchem er sich als Mensch jetzt befindet, seine Art und Weise des Daseins, ziemlich vollständig und ungefälscht zu erkennen. Mehrere Theile werden noch folgen; eine Art Ersatz für so vieles, das nicht geschrieben zu haben
iſt deutſcher, als das, welches man an die Stelle von jenem bringen will!— Das Leben in kleineren Staͤd¬ ten, von groͤßeren Mittelpunkten der neuern Zeit entfernt, hat fuͤr Goethe'n vielleicht manche Anſicht nicht ſogleich in volle Beleuchtung treten laſſen, manche Anſchauung dunkel gehalten: aber wie nimmt der weiſe Sinn den kleinſten Schimmer aͤchten Lichtes, das ihm dargeboten wird, ſicher auf, und vertheilt ihn mit Blitzesſchnellig¬ keit uͤber das ganze Bild!— Uebrigens iſt Goethe alt, und grade darin jung, daß er die Weſenheit des Alters mit gleicher Friſche und Wahrheit in ſich aufnimmt, wie er jung die Jugend in ſich aufnahm; es iſt eine Freude des Lebens, im Hintergrunde der Jahre ſolche Alte moͤglich zu ſehn, wie Schlabrendorf und Goethe ſind. Schoͤn von Antlitz und Bildung, kraͤftig von Hal¬ tung und mit hoffnungsvoller Geſundheit ſteht letzterer noch mitten in des Lebens Thaͤtigkeit, auf Nahes be¬ dacht wie auf Fernes, aber die Zeit beiſammenhaltend, und nicht das groͤßere Zuruͤckgelegte verkennend. Im Ganzen giebt das Werk uͤber ſein Leben — dieſe ge¬ haltreichſten Denkwuͤrdigkeiten, in welchen die tiefſinnige Kuͤrze des alten Philoſophen mit der homeriſchen Fuͤlle des alten Dichters vereinigt iſt — den Standpunkt, auf welchem er ſich als Menſch jetzt befindet, ſeine Art und Weiſe des Daſeins, ziemlich vollſtaͤndig und ungefaͤlſcht zu erkennen. Mehrere Theile werden noch folgen; eine Art Erſatz fuͤr ſo vieles, das nicht geſchrieben zu haben
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0444"n="430"/>
iſt deutſcher, als das, welches man an die Stelle von<lb/>
jenem bringen will!— Das Leben in kleineren Staͤd¬<lb/>
ten, von groͤßeren Mittelpunkten der neuern Zeit entfernt,<lb/>
hat fuͤr Goethe'n vielleicht manche Anſicht nicht ſogleich<lb/>
in volle Beleuchtung treten laſſen, manche Anſchauung<lb/>
dunkel gehalten: aber wie nimmt der weiſe Sinn den<lb/>
kleinſten Schimmer aͤchten Lichtes, das ihm dargeboten<lb/>
wird, ſicher auf, und vertheilt ihn mit Blitzesſchnellig¬<lb/>
keit uͤber das ganze Bild!— Uebrigens iſt Goethe alt,<lb/>
und grade darin jung, daß er die Weſenheit des Alters<lb/>
mit gleicher Friſche und Wahrheit in ſich aufnimmt,<lb/>
wie er jung die Jugend in ſich aufnahm; es iſt eine<lb/>
Freude des Lebens, im Hintergrunde der Jahre ſolche<lb/>
Alte moͤglich zu ſehn, wie Schlabrendorf und Goethe<lb/>ſind. Schoͤn von Antlitz und Bildung, kraͤftig von Hal¬<lb/>
tung und mit hoffnungsvoller Geſundheit ſteht letzterer<lb/>
noch mitten in des Lebens Thaͤtigkeit, auf Nahes be¬<lb/>
dacht wie auf Fernes, aber die Zeit beiſammenhaltend,<lb/>
und nicht das groͤßere Zuruͤckgelegte verkennend. Im<lb/>
Ganzen giebt das Werk uͤber ſein Leben — dieſe ge¬<lb/>
haltreichſten Denkwuͤrdigkeiten, in welchen die tiefſinnige<lb/>
Kuͤrze des alten Philoſophen mit der homeriſchen Fuͤlle<lb/>
des alten Dichters vereinigt iſt — den Standpunkt, auf<lb/>
welchem er ſich als Menſch jetzt befindet, ſeine Art und<lb/>
Weiſe des Daſeins, ziemlich vollſtaͤndig und ungefaͤlſcht<lb/>
zu erkennen. Mehrere Theile werden noch folgen; eine<lb/>
Art Erſatz fuͤr ſo vieles, das nicht geſchrieben zu haben<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[430/0444]
iſt deutſcher, als das, welches man an die Stelle von
jenem bringen will!— Das Leben in kleineren Staͤd¬
ten, von groͤßeren Mittelpunkten der neuern Zeit entfernt,
hat fuͤr Goethe'n vielleicht manche Anſicht nicht ſogleich
in volle Beleuchtung treten laſſen, manche Anſchauung
dunkel gehalten: aber wie nimmt der weiſe Sinn den
kleinſten Schimmer aͤchten Lichtes, das ihm dargeboten
wird, ſicher auf, und vertheilt ihn mit Blitzesſchnellig¬
keit uͤber das ganze Bild!— Uebrigens iſt Goethe alt,
und grade darin jung, daß er die Weſenheit des Alters
mit gleicher Friſche und Wahrheit in ſich aufnimmt,
wie er jung die Jugend in ſich aufnahm; es iſt eine
Freude des Lebens, im Hintergrunde der Jahre ſolche
Alte moͤglich zu ſehn, wie Schlabrendorf und Goethe
ſind. Schoͤn von Antlitz und Bildung, kraͤftig von Hal¬
tung und mit hoffnungsvoller Geſundheit ſteht letzterer
noch mitten in des Lebens Thaͤtigkeit, auf Nahes be¬
dacht wie auf Fernes, aber die Zeit beiſammenhaltend,
und nicht das groͤßere Zuruͤckgelegte verkennend. Im
Ganzen giebt das Werk uͤber ſein Leben — dieſe ge¬
haltreichſten Denkwuͤrdigkeiten, in welchen die tiefſinnige
Kuͤrze des alten Philoſophen mit der homeriſchen Fuͤlle
des alten Dichters vereinigt iſt — den Standpunkt, auf
welchem er ſich als Menſch jetzt befindet, ſeine Art und
Weiſe des Daſeins, ziemlich vollſtaͤndig und ungefaͤlſcht
zu erkennen. Mehrere Theile werden noch folgen; eine
Art Erſatz fuͤr ſo vieles, das nicht geſchrieben zu haben
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 1. Mannheim, 1837, S. 430. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten01_1837/444>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.