Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 1. Mannheim, 1837.

Bild:
<< vorherige Seite

zweien wackern Franzosen finden, einen doppelten Reiz
haben. Der erste ist der fromme und liebenswürdige
Cazotte, der in dem zweiten Bändchen seiner Oeuvres
choisies et badines
so von ihm spricht:

"Rameau war unter allen Menschen, die ich ge¬
kannt habe, derjenige, der von Natur der ergötzlichste
war. Er war Neffe des berühmten Musikers, und auf
der Schule mein Kamerad gewesen; er hatte zu mir
eine Freundschaft gefaßt, die sich nie, weder von seiner
Seite noch von der meinigen, erkaltet hat. Dies Men¬
schenkind, der sonderbarste Mann, den ich gekannt habe,
war mit einem natürlichen Talent zu mehr als einem
Fache geboren, was ihm aber der Mangel von Haltung
und Ruhe in seinem Geiste nie erlaubte auszubilden.
Ich kann seine Art des Scherzens nur der vergleichen,
die der Doktor Sterne in seiner empfindsamen Reise
aufthut. Die Einfälle Rameau's waren Einfälle aus
Instinkt von einer so pikanten Art, daß es nöthig wäre
sie zu mahlen, um sie wiedergeben zu können. Es wa¬
ren keine Wizworte, es waren treffende Strahlen, die
aus der tiefsten Kenntniß des menschlichen Herzens her¬
vorzubrechen schienen. Seine Gesichtszüge, die in der
That possirlich waren, gaben diesen Einfällen, die von
ihm desto unerwarteter kamen, als er gewöhnlich nur
albernes Zeug schwazte, ein außerordentliches Salz.
Er, der ein eben so großer und vielleicht größerer Mu¬
siker als sein Oheim, geboren war, konnte sich nie in

28

zweien wackern Franzoſen finden, einen doppelten Reiz
haben. Der erſte iſt der fromme und liebenswuͤrdige
Cazotte, der in dem zweiten Baͤndchen ſeiner Oeuvres
choisies et badines
ſo von ihm ſpricht:

„Rameau war unter allen Menſchen, die ich ge¬
kannt habe, derjenige, der von Natur der ergoͤtzlichſte
war. Er war Neffe des beruͤhmten Muſikers, und auf
der Schule mein Kamerad geweſen; er hatte zu mir
eine Freundſchaft gefaßt, die ſich nie, weder von ſeiner
Seite noch von der meinigen, erkaltet hat. Dies Men¬
ſchenkind, der ſonderbarſte Mann, den ich gekannt habe,
war mit einem natuͤrlichen Talent zu mehr als einem
Fache geboren, was ihm aber der Mangel von Haltung
und Ruhe in ſeinem Geiſte nie erlaubte auszubilden.
Ich kann ſeine Art des Scherzens nur der vergleichen,
die der Doktor Sterne in ſeiner empfindſamen Reiſe
aufthut. Die Einfaͤlle Rameau's waren Einfaͤlle aus
Inſtinkt von einer ſo pikanten Art, daß es noͤthig waͤre
ſie zu mahlen, um ſie wiedergeben zu koͤnnen. Es wa¬
ren keine Wizworte, es waren treffende Strahlen, die
aus der tiefſten Kenntniß des menſchlichen Herzens her¬
vorzubrechen ſchienen. Seine Geſichtszuͤge, die in der
That poſſirlich waren, gaben dieſen Einfaͤllen, die von
ihm deſto unerwarteter kamen, als er gewoͤhnlich nur
albernes Zeug ſchwazte, ein außerordentliches Salz.
Er, der ein eben ſo großer und vielleicht groͤßerer Mu¬
ſiker als ſein Oheim, geboren war, konnte ſich nie in

28
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0447" n="433"/>
zweien wackern Franzo&#x017F;en finden, einen doppelten Reiz<lb/>
haben. Der er&#x017F;te i&#x017F;t der fromme und liebenswu&#x0364;rdige<lb/>
Cazotte, der in dem zweiten Ba&#x0364;ndchen &#x017F;einer <hi rendition="#aq">Oeuvres<lb/>
choisies et badines</hi> &#x017F;o von ihm &#x017F;pricht:</p><lb/>
          <p>&#x201E;Rameau war unter allen Men&#x017F;chen, die ich ge¬<lb/>
kannt habe, derjenige, der von Natur der ergo&#x0364;tzlich&#x017F;te<lb/>
war. Er war Neffe des beru&#x0364;hmten Mu&#x017F;ikers, und auf<lb/>
der Schule mein Kamerad gewe&#x017F;en; er hatte zu mir<lb/>
eine Freund&#x017F;chaft gefaßt, die &#x017F;ich nie, weder von &#x017F;einer<lb/>
Seite noch von der meinigen, erkaltet hat. Dies Men¬<lb/>
&#x017F;chenkind, der &#x017F;onderbar&#x017F;te Mann, den ich gekannt habe,<lb/>
war mit einem natu&#x0364;rlichen Talent zu mehr als einem<lb/>
Fache geboren, was ihm aber der Mangel von Haltung<lb/>
und Ruhe in &#x017F;einem Gei&#x017F;te nie erlaubte auszubilden.<lb/>
Ich kann &#x017F;eine Art des Scherzens nur der vergleichen,<lb/>
die der Doktor Sterne in &#x017F;einer empfind&#x017F;amen Rei&#x017F;e<lb/>
aufthut. Die Einfa&#x0364;lle Rameau's waren Einfa&#x0364;lle aus<lb/>
In&#x017F;tinkt von einer &#x017F;o pikanten Art, daß es no&#x0364;thig wa&#x0364;re<lb/>
&#x017F;ie zu mahlen, um &#x017F;ie wiedergeben zu ko&#x0364;nnen. Es wa¬<lb/>
ren keine Wizworte, es waren treffende Strahlen, die<lb/>
aus der tief&#x017F;ten Kenntniß des men&#x017F;chlichen Herzens her¬<lb/>
vorzubrechen &#x017F;chienen. Seine Ge&#x017F;ichtszu&#x0364;ge, die in der<lb/>
That po&#x017F;&#x017F;irlich waren, gaben die&#x017F;en Einfa&#x0364;llen, die von<lb/>
ihm de&#x017F;to unerwarteter kamen, als er gewo&#x0364;hnlich nur<lb/>
albernes Zeug &#x017F;chwazte, ein außerordentliches Salz.<lb/>
Er, der ein eben &#x017F;o großer und vielleicht gro&#x0364;ßerer Mu¬<lb/>
&#x017F;iker als &#x017F;ein Oheim, geboren war, konnte &#x017F;ich nie in<lb/>
<fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#b">28</hi><lb/></fw>
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[433/0447] zweien wackern Franzoſen finden, einen doppelten Reiz haben. Der erſte iſt der fromme und liebenswuͤrdige Cazotte, der in dem zweiten Baͤndchen ſeiner Oeuvres choisies et badines ſo von ihm ſpricht: „Rameau war unter allen Menſchen, die ich ge¬ kannt habe, derjenige, der von Natur der ergoͤtzlichſte war. Er war Neffe des beruͤhmten Muſikers, und auf der Schule mein Kamerad geweſen; er hatte zu mir eine Freundſchaft gefaßt, die ſich nie, weder von ſeiner Seite noch von der meinigen, erkaltet hat. Dies Men¬ ſchenkind, der ſonderbarſte Mann, den ich gekannt habe, war mit einem natuͤrlichen Talent zu mehr als einem Fache geboren, was ihm aber der Mangel von Haltung und Ruhe in ſeinem Geiſte nie erlaubte auszubilden. Ich kann ſeine Art des Scherzens nur der vergleichen, die der Doktor Sterne in ſeiner empfindſamen Reiſe aufthut. Die Einfaͤlle Rameau's waren Einfaͤlle aus Inſtinkt von einer ſo pikanten Art, daß es noͤthig waͤre ſie zu mahlen, um ſie wiedergeben zu koͤnnen. Es wa¬ ren keine Wizworte, es waren treffende Strahlen, die aus der tiefſten Kenntniß des menſchlichen Herzens her¬ vorzubrechen ſchienen. Seine Geſichtszuͤge, die in der That poſſirlich waren, gaben dieſen Einfaͤllen, die von ihm deſto unerwarteter kamen, als er gewoͤhnlich nur albernes Zeug ſchwazte, ein außerordentliches Salz. Er, der ein eben ſo großer und vielleicht groͤßerer Mu¬ ſiker als ſein Oheim, geboren war, konnte ſich nie in 28

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten01_1837
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten01_1837/447
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 1. Mannheim, 1837, S. 433. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten01_1837/447>, abgerufen am 01.11.2024.