vielmehr eine Wirkung des Zeiteinflusses, unter dem die Anfänge jenes Romans entstanden sind, und der bei Herausgabe desselben noch nicht so fern und fremd geworden war, um eine Abänderung dieses Kostüms zu bewirken. Die letzte Hälfte des achtzehnten Jahr¬ hunderts hatte nämlich den entschiedenen Hang, sich anders anzuziehen, als die vorhergegangene Zeit. Alles wurde versucht, armenische, türkische Tracht, für Kinder die mannigfachste Ausstaffirung, zuletzt überwog in Frank¬ reich die Männerkleidung der Engländer, der einfache, für Herren und Diener gleichförmige Frack, und diese Mode, welche von den Vornehmsten des Hofes aus¬ ging, half nicht wenig den Unterschied der Stände auf¬ heben, der sonst durch die Verschiedenheit der Kleidung bezeichnet war. In diese Bewegung fiel auch die Sucht der Frauen, sich der nun so bequemen, jeder Freiheit günstigen Kleidung zu bedienen; ja es fehlte nicht an der Behauptung, die Männerkleidung sei weit anstän¬ diger, für die Sitten günstiger und bewahrender als die bisherige Tracht der Frauen. (Bei uns hat Friedrich Schlegel in dieser Hinsicht eine pikante Bemerkung in seinem verrufenen Roman angebracht!) In Frankreich war es bald allgemein guter Ton, daß vornehme Damen in Männertracht ausgingen, unbegleitet und recht eigent¬ lich emancipirt, lange vorher, ehe dieses Wort gebraucht wurde! Die Königin Marie Antoinette machte große Promenaden auf diese Weise, besuchte sogar, was sonst
vielmehr eine Wirkung des Zeiteinfluſſes, unter dem die Anfaͤnge jenes Romans entſtanden ſind, und der bei Herausgabe deſſelben noch nicht ſo fern und fremd geworden war, um eine Abaͤnderung dieſes Koſtuͤms zu bewirken. Die letzte Haͤlfte des achtzehnten Jahr¬ hunderts hatte naͤmlich den entſchiedenen Hang, ſich anders anzuziehen, als die vorhergegangene Zeit. Alles wurde verſucht, armeniſche, tuͤrkiſche Tracht, fuͤr Kinder die mannigfachſte Ausſtaffirung, zuletzt uͤberwog in Frank¬ reich die Maͤnnerkleidung der Englaͤnder, der einfache, fuͤr Herren und Diener gleichfoͤrmige Frack, und dieſe Mode, welche von den Vornehmſten des Hofes aus¬ ging, half nicht wenig den Unterſchied der Staͤnde auf¬ heben, der ſonſt durch die Verſchiedenheit der Kleidung bezeichnet war. In dieſe Bewegung fiel auch die Sucht der Frauen, ſich der nun ſo bequemen, jeder Freiheit guͤnſtigen Kleidung zu bedienen; ja es fehlte nicht an der Behauptung, die Maͤnnerkleidung ſei weit anſtaͤn¬ diger, fuͤr die Sitten guͤnſtiger und bewahrender als die bisherige Tracht der Frauen. (Bei uns hat Friedrich Schlegel in dieſer Hinſicht eine pikante Bemerkung in ſeinem verrufenen Roman angebracht!) In Frankreich war es bald allgemein guter Ton, daß vornehme Damen in Maͤnnertracht ausgingen, unbegleitet und recht eigent¬ lich emancipirt, lange vorher, ehe dieſes Wort gebraucht wurde! Die Koͤnigin Marie Antoinette machte große Promenaden auf dieſe Weiſe, beſuchte ſogar, was ſonſt
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[504/0518]
vielmehr eine Wirkung des Zeiteinfluſſes, unter dem
die Anfaͤnge jenes Romans entſtanden ſind, und der
bei Herausgabe deſſelben noch nicht ſo fern und fremd
geworden war, um eine Abaͤnderung dieſes Koſtuͤms
zu bewirken. Die letzte Haͤlfte des achtzehnten Jahr¬
hunderts hatte naͤmlich den entſchiedenen Hang, ſich
anders anzuziehen, als die vorhergegangene Zeit. Alles
wurde verſucht, armeniſche, tuͤrkiſche Tracht, fuͤr Kinder
die mannigfachſte Ausſtaffirung, zuletzt uͤberwog in Frank¬
reich die Maͤnnerkleidung der Englaͤnder, der einfache,
fuͤr Herren und Diener gleichfoͤrmige Frack, und dieſe
Mode, welche von den Vornehmſten des Hofes aus¬
ging, half nicht wenig den Unterſchied der Staͤnde auf¬
heben, der ſonſt durch die Verſchiedenheit der Kleidung
bezeichnet war. In dieſe Bewegung fiel auch die Sucht
der Frauen, ſich der nun ſo bequemen, jeder Freiheit
guͤnſtigen Kleidung zu bedienen; ja es fehlte nicht an
der Behauptung, die Maͤnnerkleidung ſei weit anſtaͤn¬
diger, fuͤr die Sitten guͤnſtiger und bewahrender als
die bisherige Tracht der Frauen. (Bei uns hat Friedrich
Schlegel in dieſer Hinſicht eine pikante Bemerkung in
ſeinem verrufenen Roman angebracht!) In Frankreich
war es bald allgemein guter Ton, daß vornehme Damen
in Maͤnnertracht ausgingen, unbegleitet und recht eigent¬
lich emancipirt, lange vorher, ehe dieſes Wort gebraucht
wurde! Die Koͤnigin Marie Antoinette machte große
Promenaden auf dieſe Weiſe, beſuchte ſogar, was ſonſt
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Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 1. Mannheim, 1837, S. 504. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten01_1837/518>, abgerufen am 21.11.2024.
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