ruhig in Dover. Wir waren am dritten Abend zu Kensington, dem Ziel unsrer Reise.
Narbonne ist ein ziemlich hoher, etwas plump gebauter starker Mann, aber dessen Kopf etwas Auffallendes, Großes, Ueberlegenes hat. Er ist unerschöpflich an Witz, an Reichthum von Ideen. Er ist vollendet in allen gesellschaftlichen Tugenden. Er verbreitet Anmuth über das Dürrste. Er reißt unwidersteh¬ lich fort, und macht, wenn er will, einen Einzelnen wie eine ganze Gesellschaft trunken! -- Es war nur ein Mann in Frank¬ reich, der ihm in dieser Rücksicht an die Seite gesetzt wurde, und der ihn, meiner Meinung nach, noch bei Weitem übertrifft, -- dies ist sein Freund, Monsieur de Talleyrand, ehemals Eveque d'Autun. -- Narbonne gefällt, aber er ermüdet auf die Länge. Man könnte Talleyrand Jahre lang zuhören. -- Narbonne arbeitet und verräth Bedürfniß zu gefallen, Talleyrand entschlüpft, was er spricht, und es umgiebt ihn beständig eine leidenschaftlose Be¬ haglichkeit und Ruhe. Was Narbonne sagt, ist mehr glänzend; was Talleyrand sagt, mehr anmuthig, fein, niedlich. Narbonne ist nicht durchaus für alle Leute, sehr empfindsame mögen ihn nicht, er hat über sie keine Herrschaft. Talleyrand, ohne weniger moralisch verdorben zu sein, als Narbonne, kann die selbst bis zu Thränen rühren, welche ihn verachten! -- Ich weiß hievon merkwürdige Beispiele!
Alle Franzosen, vorzüglich die der großen Welt, streben nach obigen Vollkommenheiten, haben mehr oder weniger davon, und diese Vorzüge sind meistens das Beste, was sich an ihnen auffinden läßt. Vorzüglich fehlt ihrem Ruhme großherzige Sim¬ plicität und gesunde Vernunft. Sie können nichts grad und natürlich betreiben, sie wollen immer Gewandtheit mit in's Spiel bringen, und durch's Bestreben, recht fein zu handeln, gehn die meisten von ihren Unternehmungen zu Grunde. Sie wollen immer
ruhig in Dover. Wir waren am dritten Abend zu Kenſington, dem Ziel unſrer Reiſe.
Narbonne iſt ein ziemlich hoher, etwas plump gebauter ſtarker Mann, aber deſſen Kopf etwas Auffallendes, Großes, Ueberlegenes hat. Er iſt unerſchoͤpflich an Witz, an Reichthum von Ideen. Er iſt vollendet in allen geſellſchaftlichen Tugenden. Er verbreitet Anmuth uͤber das Duͤrrſte. Er reißt unwiderſteh¬ lich fort, und macht, wenn er will, einen Einzelnen wie eine ganze Geſellſchaft trunken! — Es war nur ein Mann in Frank¬ reich, der ihm in dieſer Ruͤckſicht an die Seite geſetzt wurde, und der ihn, meiner Meinung nach, noch bei Weitem uͤbertrifft, — dies iſt ſein Freund, Monſieur de Talleyrand, ehemals Evêque d'Autun. — Narbonne gefaͤllt, aber er ermuͤdet auf die Laͤnge. Man koͤnnte Talleyrand Jahre lang zuhoͤren. — Narbonne arbeitet und verraͤth Beduͤrfniß zu gefallen, Talleyrand entſchluͤpft, was er ſpricht, und es umgiebt ihn beſtaͤndig eine leidenſchaftloſe Be¬ haglichkeit und Ruhe. Was Narbonne ſagt, iſt mehr glaͤnzend; was Talleyrand ſagt, mehr anmuthig, fein, niedlich. Narbonne iſt nicht durchaus fuͤr alle Leute, ſehr empfindſame moͤgen ihn nicht, er hat uͤber ſie keine Herrſchaft. Talleyrand, ohne weniger moraliſch verdorben zu ſein, als Narbonne, kann die ſelbſt bis zu Thraͤnen ruͤhren, welche ihn verachten! — Ich weiß hievon merkwuͤrdige Beiſpiele!
Alle Franzoſen, vorzuͤglich die der großen Welt, ſtreben nach obigen Vollkommenheiten, haben mehr oder weniger davon, und dieſe Vorzuͤge ſind meiſtens das Beſte, was ſich an ihnen auffinden laͤßt. Vorzuͤglich fehlt ihrem Ruhme großherzige Sim¬ plicitaͤt und geſunde Vernunft. Sie koͤnnen nichts grad und natuͤrlich betreiben, ſie wollen immer Gewandtheit mit in's Spiel bringen, und durch's Beſtreben, recht fein zu handeln, gehn die meiſten von ihren Unternehmungen zu Grunde. Sie wollen immer
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ruhig in Dover. Wir waren am dritten Abend zu Kenſington,
dem Ziel unſrer Reiſe.
Narbonne iſt ein ziemlich hoher, etwas plump gebauter
ſtarker Mann, aber deſſen Kopf etwas Auffallendes, Großes,
Ueberlegenes hat. Er iſt unerſchoͤpflich an Witz, an Reichthum
von Ideen. Er iſt vollendet in allen geſellſchaftlichen Tugenden.
Er verbreitet Anmuth uͤber das Duͤrrſte. Er reißt unwiderſteh¬
lich fort, und macht, wenn er will, einen Einzelnen wie eine
ganze Geſellſchaft trunken! — Es war nur ein Mann in Frank¬
reich, der ihm in dieſer Ruͤckſicht an die Seite geſetzt wurde, und
der ihn, meiner Meinung nach, noch bei Weitem uͤbertrifft, —
dies iſt ſein Freund, Monſieur de Talleyrand, ehemals Evêque
d'Autun. — Narbonne gefaͤllt, aber er ermuͤdet auf die Laͤnge.
Man koͤnnte Talleyrand Jahre lang zuhoͤren. — Narbonne arbeitet
und verraͤth Beduͤrfniß zu gefallen, Talleyrand entſchluͤpft, was
er ſpricht, und es umgiebt ihn beſtaͤndig eine leidenſchaftloſe Be¬
haglichkeit und Ruhe. Was Narbonne ſagt, iſt mehr glaͤnzend;
was Talleyrand ſagt, mehr anmuthig, fein, niedlich. Narbonne
iſt nicht durchaus fuͤr alle Leute, ſehr empfindſame moͤgen ihn
nicht, er hat uͤber ſie keine Herrſchaft. Talleyrand, ohne weniger
moraliſch verdorben zu ſein, als Narbonne, kann die ſelbſt bis
zu Thraͤnen ruͤhren, welche ihn verachten! — Ich weiß hievon
merkwuͤrdige Beiſpiele!
Alle Franzoſen, vorzuͤglich die der großen Welt, ſtreben
nach obigen Vollkommenheiten, haben mehr oder weniger davon,
und dieſe Vorzuͤge ſind meiſtens das Beſte, was ſich an ihnen
auffinden laͤßt. Vorzuͤglich fehlt ihrem Ruhme großherzige Sim¬
plicitaͤt und geſunde Vernunft. Sie koͤnnen nichts grad und
natuͤrlich betreiben, ſie wollen immer Gewandtheit mit in's Spiel
bringen, und durch's Beſtreben, recht fein zu handeln, gehn die
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Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 1. Mannheim, 1837, S. 38. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten01_1837/52>, abgerufen am 21.11.2024.
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