waren wir allein, denn in den französischen Sitten sind die Do¬ mestiken so gut wie Niemand. -- Ich stand an der einen Ecke des Kamins, schwarz angezogen von Kopf bis zu Fuß, gar herr¬ lich gepudert, und meinen Hut in der Hand haltend; sie an der andern im Unterröckchen und bloßen Hemde, ein Stückchen Pa¬ pier zwischen den Fingern rollend, ohne welches sie nie sein kann. Sie steht damit auf, und geht damit zu Bette. -- Unter diesen Umständen fing sie an, Narbonne's Vertheidigung und Lobrede zu machen, mit einer seltnen Wärm' und einer außerordentlichen Fluth von Worten. -- Ich wußte dem allem nichts entgegenzu¬ setzen, als: die Obligation habe mich gedrückt, ich wisse nicht warum, ich habe sie zurückgegeben, nicht um Jemand zu kränken, sondern um von einer Last mich zu befreien. "Sie sind empfind¬ lich wie Jean Jaques Rousseau," sagte sie, und damit war unsre Unterhaltung für diesmal zu Ende. Beim zweiten Besuch war sie vertraulich, sie erzählte mir manches aus der Geschichte ihres Lebens, sprach vorzüglich viel von ihrer unglücklichen Verheira¬ thung, von ihren dermaligen Verhältnissen mit Monsieur de Stael, und beklagte vorzüglich das Schicksal der Großen, die, mehr Sklaven wie Jemand, mannichfaltigem Druck unterworfen wären, woraus vielerlei Uebel entsprängen. Sie sagte, Narbonne sei ihre erste, ihre einzige Liebe; er hab' umsonst um sie geworben als Mädchen; er sei ihr Mann, u. s. w.
Beim drittenmal, wo Narbonne zugegen war, sagte sie: "wir sind alle gute Kinder, und müssen nicht zusammen kritteln." So war die Geschichte wieder in Ordnung. Wir waren noch einige Tage zusammen in London; hernach ging die Stael mit Narbonne auf's Land, wo ich sie mehrmals besucht habe. Sie unterließ nicht, mir scherzend sehr sanfte italienische Arien vor¬ zusingen und vorzuspielen, wir wurden nach und nach ganz freundschaftlich, und alles Vergangene wurde vergessen.
waren wir allein, denn in den franzoͤſiſchen Sitten ſind die Do¬ meſtiken ſo gut wie Niemand. — Ich ſtand an der einen Ecke des Kamins, ſchwarz angezogen von Kopf bis zu Fuß, gar herr¬ lich gepudert, und meinen Hut in der Hand haltend; ſie an der andern im Unterroͤckchen und bloßen Hemde, ein Stuͤckchen Pa¬ pier zwiſchen den Fingern rollend, ohne welches ſie nie ſein kann. Sie ſteht damit auf, und geht damit zu Bette. — Unter dieſen Umſtaͤnden fing ſie an, Narbonne's Vertheidigung und Lobrede zu machen, mit einer ſeltnen Waͤrm' und einer außerordentlichen Fluth von Worten. — Ich wußte dem allem nichts entgegenzu¬ ſetzen, als: die Obligation habe mich gedruͤckt, ich wiſſe nicht warum, ich habe ſie zuruͤckgegeben, nicht um Jemand zu kraͤnken, ſondern um von einer Laſt mich zu befreien. „Sie ſind empfind¬ lich wie Jean Jaques Rouſſeau,“ ſagte ſie, und damit war unſre Unterhaltung fuͤr diesmal zu Ende. Beim zweiten Beſuch war ſie vertraulich, ſie erzaͤhlte mir manches aus der Geſchichte ihres Lebens, ſprach vorzuͤglich viel von ihrer ungluͤcklichen Verheira¬ thung, von ihren dermaligen Verhaͤltniſſen mit Monſieur de Staël, und beklagte vorzuͤglich das Schickſal der Großen, die, mehr Sklaven wie Jemand, mannichfaltigem Druck unterworfen waͤren, woraus vielerlei Uebel entſpraͤngen. Sie ſagte, Narbonne ſei ihre erſte, ihre einzige Liebe; er hab' umſonſt um ſie geworben als Maͤdchen; er ſei ihr Mann, u. ſ. w.
Beim drittenmal, wo Narbonne zugegen war, ſagte ſie: „wir ſind alle gute Kinder, und muͤſſen nicht zuſammen kritteln.“ So war die Geſchichte wieder in Ordnung. Wir waren noch einige Tage zuſammen in London; hernach ging die Staël mit Narbonne auf's Land, wo ich ſie mehrmals beſucht habe. Sie unterließ nicht, mir ſcherzend ſehr ſanfte italieniſche Arien vor¬ zuſingen und vorzuſpielen, wir wurden nach und nach ganz freundſchaftlich, und alles Vergangene wurde vergeſſen.
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waren wir allein, denn in den franzoͤſiſchen Sitten ſind die Do¬
meſtiken ſo gut wie Niemand. — Ich ſtand an der einen Ecke
des Kamins, ſchwarz angezogen von Kopf bis zu Fuß, gar herr¬
lich gepudert, und meinen Hut in der Hand haltend; ſie an der
andern im Unterroͤckchen und bloßen Hemde, ein Stuͤckchen Pa¬
pier zwiſchen den Fingern rollend, ohne welches ſie nie ſein kann.
Sie ſteht damit auf, und geht damit zu Bette. — Unter dieſen
Umſtaͤnden fing ſie an, Narbonne's Vertheidigung und Lobrede
zu machen, mit einer ſeltnen Waͤrm' und einer außerordentlichen
Fluth von Worten. — Ich wußte dem allem nichts entgegenzu¬
ſetzen, als: die Obligation habe mich gedruͤckt, ich wiſſe nicht
warum, ich habe ſie zuruͤckgegeben, nicht um Jemand zu kraͤnken,
ſondern um von einer Laſt mich zu befreien. „Sie ſind empfind¬
lich wie Jean Jaques Rouſſeau,“ ſagte ſie, und damit war unſre
Unterhaltung fuͤr diesmal zu Ende. Beim zweiten Beſuch war
ſie vertraulich, ſie erzaͤhlte mir manches aus der Geſchichte ihres
Lebens, ſprach vorzuͤglich viel von ihrer ungluͤcklichen Verheira¬
thung, von ihren dermaligen Verhaͤltniſſen mit Monſieur de Staël,
und beklagte vorzuͤglich das Schickſal der Großen, die, mehr
Sklaven wie Jemand, mannichfaltigem Druck unterworfen waͤren,
woraus vielerlei Uebel entſpraͤngen. Sie ſagte, Narbonne ſei ihre
erſte, ihre einzige Liebe; er hab' umſonſt um ſie geworben als
Maͤdchen; er ſei ihr Mann, u. ſ. w.
Beim drittenmal, wo Narbonne zugegen war, ſagte ſie:
„wir ſind alle gute Kinder, und muͤſſen nicht zuſammen kritteln.“
So war die Geſchichte wieder in Ordnung. Wir waren noch
einige Tage zuſammen in London; hernach ging die Staël mit
Narbonne auf's Land, wo ich ſie mehrmals beſucht habe. Sie
unterließ nicht, mir ſcherzend ſehr ſanfte italieniſche Arien vor¬
zuſingen und vorzuſpielen, wir wurden nach und nach ganz
freundſchaftlich, und alles Vergangene wurde vergeſſen.
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Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 1. Mannheim, 1837, S. 61. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten01_1837/75>, abgerufen am 24.11.2024.
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