einigen Spott erfuhr, so wurde sie doch in offenbarer Weise nicht leicht streitig gemacht. Selbst die Studen¬ ten, von denen er in einer Zeitschrift allzu leichtsinnig gesagt, sie seien leider noch sehr roh und ungesittet, und die ihm deßhalb kürzlich die Fenster eingeworfen hatten, erkannten seine Ueberlegenheit mit lächelnder Billigung an, als er gleich darauf in derselben Zeit¬ schrift, unter Berufung auf das Vorgefallene, seine frühere Aeußerung widerrief. Auch für mich und Neu¬ mann eröffnete sich freundlich seine Gönnerschaft, und er machte es zu einer Hauptsache, daß wir seinen Schwiegersohn Steffens, und dessen und seinen Freund Schleiermacher, für welche wir unbegränzte Verehrung bezeigten, zuerst bei ihm sehen sollten. Dies geschah am nächsten Sonntage zu Mittag, und grade in der reichen Umgebung weniger günstig. Denn der heitre, jugendliche, hübsche, von beredter Geistigkeit sprudelnde Steffens ließ zwar unter keinen Umständen sich in seiner Lebhaftigkeit stören, und war eine so liebenswürdige als geniale Erscheinung, aber der unansehnliche, in seinem Benehmen zurückhaltende, Gemüth und Begeiste¬ rung verläugnende, und nur zuweilen kurz und scharf dazwischenredende Schleiermacher verschwamm in der Gesellschaft, die ihn mehr bedeckte als trug, und beide Freunde zeigten sich in eingeübten Scherzen und über¬ einkömmlichen Redensarten dieses Kreises mehr daheim und behaglich, als uns, die wir solchen Männern vor
einigen Spott erfuhr, ſo wurde ſie doch in offenbarer Weiſe nicht leicht ſtreitig gemacht. Selbſt die Studen¬ ten, von denen er in einer Zeitſchrift allzu leichtſinnig geſagt, ſie ſeien leider noch ſehr roh und ungeſittet, und die ihm deßhalb kuͤrzlich die Fenſter eingeworfen hatten, erkannten ſeine Ueberlegenheit mit laͤchelnder Billigung an, als er gleich darauf in derſelben Zeit¬ ſchrift, unter Berufung auf das Vorgefallene, ſeine fruͤhere Aeußerung widerrief. Auch fuͤr mich und Neu¬ mann eroͤffnete ſich freundlich ſeine Goͤnnerſchaft, und er machte es zu einer Hauptſache, daß wir ſeinen Schwiegerſohn Steffens, und deſſen und ſeinen Freund Schleiermacher, fuͤr welche wir unbegraͤnzte Verehrung bezeigten, zuerſt bei ihm ſehen ſollten. Dies geſchah am naͤchſten Sonntage zu Mittag, und grade in der reichen Umgebung weniger guͤnſtig. Denn der heitre, jugendliche, huͤbſche, von beredter Geiſtigkeit ſprudelnde Steffens ließ zwar unter keinen Umſtaͤnden ſich in ſeiner Lebhaftigkeit ſtoͤren, und war eine ſo liebenswuͤrdige als geniale Erſcheinung, aber der unanſehnliche, in ſeinem Benehmen zuruͤckhaltende, Gemuͤth und Begeiſte¬ rung verlaͤugnende, und nur zuweilen kurz und ſcharf dazwiſchenredende Schleiermacher verſchwamm in der Geſellſchaft, die ihn mehr bedeckte als trug, und beide Freunde zeigten ſich in eingeuͤbten Scherzen und uͤber¬ einkoͤmmlichen Redensarten dieſes Kreiſes mehr daheim und behaglich, als uns, die wir ſolchen Maͤnnern vor
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einigen Spott erfuhr, ſo wurde ſie doch in offenbarer
Weiſe nicht leicht ſtreitig gemacht. Selbſt die Studen¬
ten, von denen er in einer Zeitſchrift allzu leichtſinnig
geſagt, ſie ſeien leider noch ſehr roh und ungeſittet,
und die ihm deßhalb kuͤrzlich die Fenſter eingeworfen
hatten, erkannten ſeine Ueberlegenheit mit laͤchelnder
Billigung an, als er gleich darauf in derſelben Zeit¬
ſchrift, unter Berufung auf das Vorgefallene, ſeine
fruͤhere Aeußerung widerrief. Auch fuͤr mich und Neu¬
mann eroͤffnete ſich freundlich ſeine Goͤnnerſchaft, und
er machte es zu einer Hauptſache, daß wir ſeinen
Schwiegerſohn Steffens, und deſſen und ſeinen Freund
Schleiermacher, fuͤr welche wir unbegraͤnzte Verehrung
bezeigten, zuerſt bei ihm ſehen ſollten. Dies geſchah
am naͤchſten Sonntage zu Mittag, und grade in der
reichen Umgebung weniger guͤnſtig. Denn der heitre,
jugendliche, huͤbſche, von beredter Geiſtigkeit ſprudelnde
Steffens ließ zwar unter keinen Umſtaͤnden ſich in ſeiner
Lebhaftigkeit ſtoͤren, und war eine ſo liebenswuͤrdige
als geniale Erſcheinung, aber der unanſehnliche, in
ſeinem Benehmen zuruͤckhaltende, Gemuͤth und Begeiſte¬
rung verlaͤugnende, und nur zuweilen kurz und ſcharf
dazwiſchenredende Schleiermacher verſchwamm in der
Geſellſchaft, die ihn mehr bedeckte als trug, und beide
Freunde zeigten ſich in eingeuͤbten Scherzen und uͤber¬
einkoͤmmlichen Redensarten dieſes Kreiſes mehr daheim
und behaglich, als uns, die wir ſolchen Maͤnnern vor
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Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 2. Mannheim, 1837, S. 92. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten02_1837/106>, abgerufen am 24.11.2024.
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