Kampfe des Dänen mit der damals nur halb bezwun¬ genen deutschen Sprache einen neuen Reiz empfing. Diese Vorlesungen waren auf solche Weise ein stets erneuertes Fest, ein Genuß, dem man mit gleichem Vergnügen nachsah und wieder entgegenblickte; sie zeig¬ ten aber ihren höchsten Werth erst dann, wenn man sie mit den Schleiermacher'schen gleichsam in ein Ganzes verflocht; diese Besonnenheit und jene Begeisterung schienen sich wechselseitig zu vervollständigen, und beide Männer, in den Hauptsachen einverstanden und zusam¬ menstimmend, sahen sich gern in diese Gemeinschaft ge¬ stellt, welche für die näheren und vertrauteren ihrer Jünger in aller Kraft wirklich bestand, so daß die Theologen auch Steffens hörten und die Naturbeflisse¬ nen sich Schleiermachern anschlossen.
Mit treuem Fleiße setzten wir neben allem andern unsre griechischen Studien fort, und besonders blieb unser Eifer dem Homer zugethan. Wir verschafften uns leicht die früheren Vorlesungen Wolf's über die Ilias in nach¬ geschriebenen Heften, die Prolegomena wurden nach Inhalt und Form wiederholt in Betracht gezogen, und selbst die Weitläuftigkeiten des Eustathios schreckten nicht ab, ich las einen großen Theil seines Kommentars mit ge¬ nauem Aufmerken durch. Wie das Homerische durch Wolf war aber auch das Platonische durch Schleier¬ macher jetzt in Halle stark im Schwunge, und wir selbst hatten dessen auch schon zu viel mitgebracht, als
II. 7
Kampfe des Daͤnen mit der damals nur halb bezwun¬ genen deutſchen Sprache einen neuen Reiz empfing. Dieſe Vorleſungen waren auf ſolche Weiſe ein ſtets erneuertes Feſt, ein Genuß, dem man mit gleichem Vergnuͤgen nachſah und wieder entgegenblickte; ſie zeig¬ ten aber ihren hoͤchſten Werth erſt dann, wenn man ſie mit den Schleiermacher'ſchen gleichſam in ein Ganzes verflocht; dieſe Beſonnenheit und jene Begeiſterung ſchienen ſich wechſelſeitig zu vervollſtaͤndigen, und beide Maͤnner, in den Hauptſachen einverſtanden und zuſam¬ menſtimmend, ſahen ſich gern in dieſe Gemeinſchaft ge¬ ſtellt, welche fuͤr die naͤheren und vertrauteren ihrer Juͤnger in aller Kraft wirklich beſtand, ſo daß die Theologen auch Steffens hoͤrten und die Naturbefliſſe¬ nen ſich Schleiermachern anſchloſſen.
Mit treuem Fleiße ſetzten wir neben allem andern unſre griechiſchen Studien fort, und beſonders blieb unſer Eifer dem Homer zugethan. Wir verſchafften uns leicht die fruͤheren Vorleſungen Wolf's uͤber die Ilias in nach¬ geſchriebenen Heften, die Prolegomena wurden nach Inhalt und Form wiederholt in Betracht gezogen, und ſelbſt die Weitlaͤuftigkeiten des Euſtathios ſchreckten nicht ab, ich las einen großen Theil ſeines Kommentars mit ge¬ nauem Aufmerken durch. Wie das Homeriſche durch Wolf war aber auch das Platoniſche durch Schleier¬ macher jetzt in Halle ſtark im Schwunge, und wir ſelbſt hatten deſſen auch ſchon zu viel mitgebracht, als
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Kampfe des Daͤnen mit der damals nur halb bezwun¬
genen deutſchen Sprache einen neuen Reiz empfing.
Dieſe Vorleſungen waren auf ſolche Weiſe ein ſtets
erneuertes Feſt, ein Genuß, dem man mit gleichem
Vergnuͤgen nachſah und wieder entgegenblickte; ſie zeig¬
ten aber ihren hoͤchſten Werth erſt dann, wenn man ſie
mit den Schleiermacher'ſchen gleichſam in ein Ganzes
verflocht; dieſe Beſonnenheit und jene Begeiſterung
ſchienen ſich wechſelſeitig zu vervollſtaͤndigen, und beide
Maͤnner, in den Hauptſachen einverſtanden und zuſam¬
menſtimmend, ſahen ſich gern in dieſe Gemeinſchaft ge¬
ſtellt, welche fuͤr die naͤheren und vertrauteren ihrer
Juͤnger in aller Kraft wirklich beſtand, ſo daß die
Theologen auch Steffens hoͤrten und die Naturbefliſſe¬
nen ſich Schleiermachern anſchloſſen.
Mit treuem Fleiße ſetzten wir neben allem andern
unſre griechiſchen Studien fort, und beſonders blieb unſer
Eifer dem Homer zugethan. Wir verſchafften uns leicht
die fruͤheren Vorleſungen Wolf's uͤber die Ilias in nach¬
geſchriebenen Heften, die Prolegomena wurden nach Inhalt
und Form wiederholt in Betracht gezogen, und ſelbſt
die Weitlaͤuftigkeiten des Euſtathios ſchreckten nicht ab,
ich las einen großen Theil ſeines Kommentars mit ge¬
nauem Aufmerken durch. Wie das Homeriſche durch
Wolf war aber auch das Platoniſche durch Schleier¬
macher jetzt in Halle ſtark im Schwunge, und wir
ſelbſt hatten deſſen auch ſchon zu viel mitgebracht, als
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Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 2. Mannheim, 1837, S. 97. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten02_1837/111>, abgerufen am 21.11.2024.
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