Verwundete und Kranke dort geblieben, von welchen man die Genesenden hin und wieder schleichen sah.
Herzlich empfingen mich Harscher und Adolph Müller, die den Sturm ruhig überstanden und dem französischen Bannspruche nicht gehorcht hatten, eben so mit Trau¬ lichkeit Schleiermacher und Steffens, sehr freundschaft¬ lich und heiter Wolf.
Für die Universität waren alle Aussichten noch ver¬ schlossen, die Studenten unwiderruflich ausgetrieben, die Professoren ohne Wirksamkeit und Besoldung. Die Bür¬ ger hatten zu der überstandenen Plünderung auch noch die vorauszusehende Nahrungslosigkeit und mit den zu¬ rückgelassenen Schulden der akademischen Jugend zugleich die Lasten des fortwährenden Krieges, die Unterhaltung eines französischen Lazareths, und manches andre zu tragen, und diese Umstände mußten dem begonnenen Winter einen düstern Verlauf allgemein trostloser Lebens¬ tage verheißen. Aber es kam grade das Gegentheil. Zwar entbehrte man in allen Ständen viel des gewohn¬ ten Behagens; und selbst, was in andern Zeiten als Anständiges oder gar als Nothdürftiges gelten wollte, wurde knapp oder ging völlig ein; aber da man sich des Mangels nicht schämte, und die Zeitläufte grade nur stärker zur Mittheilung und zur Gemeinschaft hin¬ drängten, so rückte man gern näher zusammen, richtete sich kleiner und sparsam ein, sah einander darum an¬ spruchsloser und öfter, und da der Krieg durch seine
Verwundete und Kranke dort geblieben, von welchen man die Geneſenden hin und wieder ſchleichen ſah.
Herzlich empfingen mich Harſcher und Adolph Muͤller, die den Sturm ruhig uͤberſtanden und dem franzoͤſiſchen Bannſpruche nicht gehorcht hatten, eben ſo mit Trau¬ lichkeit Schleiermacher und Steffens, ſehr freundſchaft¬ lich und heiter Wolf.
Fuͤr die Univerſitaͤt waren alle Ausſichten noch ver¬ ſchloſſen, die Studenten unwiderruflich ausgetrieben, die Profeſſoren ohne Wirkſamkeit und Beſoldung. Die Buͤr¬ ger hatten zu der uͤberſtandenen Pluͤnderung auch noch die vorauszuſehende Nahrungsloſigkeit und mit den zu¬ ruͤckgelaſſenen Schulden der akademiſchen Jugend zugleich die Laſten des fortwaͤhrenden Krieges, die Unterhaltung eines franzoͤſiſchen Lazareths, und manches andre zu tragen, und dieſe Umſtaͤnde mußten dem begonnenen Winter einen duͤſtern Verlauf allgemein troſtloſer Lebens¬ tage verheißen. Aber es kam grade das Gegentheil. Zwar entbehrte man in allen Staͤnden viel des gewohn¬ ten Behagens; und ſelbſt, was in andern Zeiten als Anſtaͤndiges oder gar als Nothduͤrftiges gelten wollte, wurde knapp oder ging voͤllig ein; aber da man ſich des Mangels nicht ſchaͤmte, und die Zeitlaͤufte grade nur ſtaͤrker zur Mittheilung und zur Gemeinſchaft hin¬ draͤngten, ſo ruͤckte man gern naͤher zuſammen, richtete ſich kleiner und ſparſam ein, ſah einander darum an¬ ſpruchsloſer und oͤfter, und da der Krieg durch ſeine
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0144"n="130"/>
Verwundete und Kranke dort geblieben, von welchen<lb/>
man die Geneſenden hin und wieder ſchleichen ſah.</p><lb/><p>Herzlich empfingen mich Harſcher und Adolph Muͤller,<lb/>
die den Sturm ruhig uͤberſtanden und dem franzoͤſiſchen<lb/>
Bannſpruche nicht gehorcht hatten, eben ſo mit Trau¬<lb/>
lichkeit Schleiermacher und Steffens, ſehr freundſchaft¬<lb/>
lich und heiter Wolf.</p><lb/><p>Fuͤr die Univerſitaͤt waren alle Ausſichten noch ver¬<lb/>ſchloſſen, die Studenten unwiderruflich ausgetrieben, die<lb/>
Profeſſoren ohne Wirkſamkeit und Beſoldung. Die Buͤr¬<lb/>
ger hatten zu der uͤberſtandenen Pluͤnderung auch noch<lb/>
die vorauszuſehende Nahrungsloſigkeit und mit den zu¬<lb/>
ruͤckgelaſſenen Schulden der akademiſchen Jugend zugleich<lb/>
die Laſten des fortwaͤhrenden Krieges, die Unterhaltung<lb/>
eines franzoͤſiſchen Lazareths, und manches andre zu<lb/>
tragen, und dieſe Umſtaͤnde mußten dem begonnenen<lb/>
Winter einen duͤſtern Verlauf allgemein troſtloſer Lebens¬<lb/>
tage verheißen. Aber es kam grade das Gegentheil.<lb/>
Zwar entbehrte man in allen Staͤnden viel des gewohn¬<lb/>
ten Behagens; und ſelbſt, was in andern Zeiten als<lb/>
Anſtaͤndiges oder gar als Nothduͤrftiges gelten wollte,<lb/>
wurde knapp oder ging voͤllig ein; aber da man ſich<lb/>
des Mangels nicht ſchaͤmte, und die Zeitlaͤufte grade<lb/>
nur ſtaͤrker zur Mittheilung und zur Gemeinſchaft hin¬<lb/>
draͤngten, ſo ruͤckte man gern naͤher zuſammen, richtete<lb/>ſich kleiner und ſparſam ein, ſah einander darum an¬<lb/>ſpruchsloſer und oͤfter, und da der Krieg durch ſeine<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[130/0144]
Verwundete und Kranke dort geblieben, von welchen
man die Geneſenden hin und wieder ſchleichen ſah.
Herzlich empfingen mich Harſcher und Adolph Muͤller,
die den Sturm ruhig uͤberſtanden und dem franzoͤſiſchen
Bannſpruche nicht gehorcht hatten, eben ſo mit Trau¬
lichkeit Schleiermacher und Steffens, ſehr freundſchaft¬
lich und heiter Wolf.
Fuͤr die Univerſitaͤt waren alle Ausſichten noch ver¬
ſchloſſen, die Studenten unwiderruflich ausgetrieben, die
Profeſſoren ohne Wirkſamkeit und Beſoldung. Die Buͤr¬
ger hatten zu der uͤberſtandenen Pluͤnderung auch noch
die vorauszuſehende Nahrungsloſigkeit und mit den zu¬
ruͤckgelaſſenen Schulden der akademiſchen Jugend zugleich
die Laſten des fortwaͤhrenden Krieges, die Unterhaltung
eines franzoͤſiſchen Lazareths, und manches andre zu
tragen, und dieſe Umſtaͤnde mußten dem begonnenen
Winter einen duͤſtern Verlauf allgemein troſtloſer Lebens¬
tage verheißen. Aber es kam grade das Gegentheil.
Zwar entbehrte man in allen Staͤnden viel des gewohn¬
ten Behagens; und ſelbſt, was in andern Zeiten als
Anſtaͤndiges oder gar als Nothduͤrftiges gelten wollte,
wurde knapp oder ging voͤllig ein; aber da man ſich
des Mangels nicht ſchaͤmte, und die Zeitlaͤufte grade
nur ſtaͤrker zur Mittheilung und zur Gemeinſchaft hin¬
draͤngten, ſo ruͤckte man gern naͤher zuſammen, richtete
ſich kleiner und ſparſam ein, ſah einander darum an¬
ſpruchsloſer und oͤfter, und da der Krieg durch ſeine
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 2. Mannheim, 1837, S. 130. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten02_1837/144>, abgerufen am 16.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.