ich mit ihm regelmäßig eintreffen, und ich widmete ihrer anziehenden Erscheinung die lebhafteste Aufmerk¬ samkeit, wobei doch ein so nah und leicht unter solchen Umständen sich ereignendes Anknüpfen des Gesprächs diesmal durch Eigensinn des Zufalls unterbleiben sollte.
1808.
-- In dieser Stimmung, so vorbereitet, so empfäng¬ lich, reif und bedürftig in Geist und Gemüth für neuen Reiz und neuen Trost, begegnete ich eines Nachmittags in noch schneeigem Frühlingswetter unter den Linden Rahel; ihre Begleiterin war mir wohlbekannt, ich redete diese an, und indem ich eine Strecke mitging, ergab sich, so unbefangen als erwünscht, auch ein Gespräch mit Rahel selbst. Ich fand mich außerordentlich ange¬ zogen, und bot all meinen Witz auf, um die schöne Gelegenheit nicht ungenutzt vergehen zu lassen; ich wußte unter andern eines ihrer eigenthümlich ausdrucksvollen Worte, das auf Umwegen bis zu mir gelangt war, mit Bedeutung so hinzuwerfen, daß darin halb eine schmeichelhafte Aufmerksamkeit, halb ein neckender Angriff lag. Sie bemerkte beides, sah mich durchdringend an, gleichsam mein Unterstehen an mir selber abzumessen, und erwiederte dann, sie könne es wohl vertragen, daß man sie citire, aber nicht füglich zugeben, daß es falsch geschehe; sie hatte in der That einiges in der Aeußerung, welche als die ihrige gegeben war, zu berichtigen. Ich
ich mit ihm regelmaͤßig eintreffen, und ich widmete ihrer anziehenden Erſcheinung die lebhafteſte Aufmerk¬ ſamkeit, wobei doch ein ſo nah und leicht unter ſolchen Umſtaͤnden ſich ereignendes Anknuͤpfen des Geſpraͤchs diesmal durch Eigenſinn des Zufalls unterbleiben ſollte.
1808.
— In dieſer Stimmung, ſo vorbereitet, ſo empfaͤng¬ lich, reif und beduͤrftig in Geiſt und Gemuͤth fuͤr neuen Reiz und neuen Troſt, begegnete ich eines Nachmittags in noch ſchneeigem Fruͤhlingswetter unter den Linden Rahel; ihre Begleiterin war mir wohlbekannt, ich redete dieſe an, und indem ich eine Strecke mitging, ergab ſich, ſo unbefangen als erwuͤnſcht, auch ein Geſpraͤch mit Rahel ſelbſt. Ich fand mich außerordentlich ange¬ zogen, und bot all meinen Witz auf, um die ſchoͤne Gelegenheit nicht ungenutzt vergehen zu laſſen; ich wußte unter andern eines ihrer eigenthuͤmlich ausdrucksvollen Worte, das auf Umwegen bis zu mir gelangt war, mit Bedeutung ſo hinzuwerfen, daß darin halb eine ſchmeichelhafte Aufmerkſamkeit, halb ein neckender Angriff lag. Sie bemerkte beides, ſah mich durchdringend an, gleichſam mein Unterſtehen an mir ſelber abzumeſſen, und erwiederte dann, ſie koͤnne es wohl vertragen, daß man ſie citire, aber nicht fuͤglich zugeben, daß es falſch geſchehe; ſie hatte in der That einiges in der Aeußerung, welche als die ihrige gegeben war, zu berichtigen. Ich
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0168"n="154"/>
ich mit ihm regelmaͤßig eintreffen, und ich widmete<lb/>
ihrer anziehenden Erſcheinung die lebhafteſte Aufmerk¬<lb/>ſamkeit, wobei doch ein ſo nah und leicht unter ſolchen<lb/>
Umſtaͤnden ſich ereignendes Anknuͤpfen des Geſpraͤchs<lb/>
diesmal durch Eigenſinn des Zufalls unterbleiben ſollte.</p><lb/><p><hirendition="#b">1808.</hi></p><lb/><p>— In dieſer Stimmung, ſo vorbereitet, ſo empfaͤng¬<lb/>
lich, reif und beduͤrftig in Geiſt und Gemuͤth fuͤr neuen<lb/>
Reiz und neuen Troſt, begegnete ich eines Nachmittags<lb/>
in noch ſchneeigem Fruͤhlingswetter unter den Linden<lb/>
Rahel; ihre Begleiterin war mir wohlbekannt, ich redete<lb/>
dieſe an, und indem ich eine Strecke mitging, ergab<lb/>ſich, ſo unbefangen als erwuͤnſcht, auch ein Geſpraͤch<lb/>
mit Rahel ſelbſt. Ich fand mich außerordentlich ange¬<lb/>
zogen, und bot all meinen Witz auf, um die ſchoͤne<lb/>
Gelegenheit nicht ungenutzt vergehen zu laſſen; ich wußte<lb/>
unter andern eines ihrer eigenthuͤmlich ausdrucksvollen<lb/>
Worte, das auf Umwegen bis zu mir gelangt war,<lb/>
mit Bedeutung ſo hinzuwerfen, daß darin halb eine<lb/>ſchmeichelhafte Aufmerkſamkeit, halb ein neckender Angriff<lb/>
lag. Sie bemerkte beides, ſah mich durchdringend an,<lb/>
gleichſam mein Unterſtehen an mir ſelber abzumeſſen,<lb/>
und erwiederte dann, ſie koͤnne es wohl vertragen, daß<lb/>
man ſie citire, aber nicht fuͤglich zugeben, daß es falſch<lb/>
geſchehe; ſie hatte in der That einiges in der Aeußerung,<lb/>
welche als die ihrige gegeben war, zu berichtigen. Ich<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[154/0168]
ich mit ihm regelmaͤßig eintreffen, und ich widmete
ihrer anziehenden Erſcheinung die lebhafteſte Aufmerk¬
ſamkeit, wobei doch ein ſo nah und leicht unter ſolchen
Umſtaͤnden ſich ereignendes Anknuͤpfen des Geſpraͤchs
diesmal durch Eigenſinn des Zufalls unterbleiben ſollte.
1808.
— In dieſer Stimmung, ſo vorbereitet, ſo empfaͤng¬
lich, reif und beduͤrftig in Geiſt und Gemuͤth fuͤr neuen
Reiz und neuen Troſt, begegnete ich eines Nachmittags
in noch ſchneeigem Fruͤhlingswetter unter den Linden
Rahel; ihre Begleiterin war mir wohlbekannt, ich redete
dieſe an, und indem ich eine Strecke mitging, ergab
ſich, ſo unbefangen als erwuͤnſcht, auch ein Geſpraͤch
mit Rahel ſelbſt. Ich fand mich außerordentlich ange¬
zogen, und bot all meinen Witz auf, um die ſchoͤne
Gelegenheit nicht ungenutzt vergehen zu laſſen; ich wußte
unter andern eines ihrer eigenthuͤmlich ausdrucksvollen
Worte, das auf Umwegen bis zu mir gelangt war,
mit Bedeutung ſo hinzuwerfen, daß darin halb eine
ſchmeichelhafte Aufmerkſamkeit, halb ein neckender Angriff
lag. Sie bemerkte beides, ſah mich durchdringend an,
gleichſam mein Unterſtehen an mir ſelber abzumeſſen,
und erwiederte dann, ſie koͤnne es wohl vertragen, daß
man ſie citire, aber nicht fuͤglich zugeben, daß es falſch
geſchehe; ſie hatte in der That einiges in der Aeußerung,
welche als die ihrige gegeben war, zu berichtigen. Ich
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 2. Mannheim, 1837, S. 154. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten02_1837/168>, abgerufen am 16.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.